Rückführung
Eine Therapie für Freiheit im Hier und Jetzt

Samuel Sagan

Danksagung
Vielen Dank an die Herausgeber und Korrekturleser, die am Manuskript dieses Buches gearbeitet haben: Catherine Ross, Rosa Droescher, Orna Lankry, Jonathan Marshall, Anne und Michael Barbato, Peter Twigg, David McKenzie

Regression, Past–Life Therapy for Here and Now Freedom
Copyright © Samuel Sagan 1996, 2004
E–Mail: info@clairvision.org
Aus dem Englischen übersetzt von Hans Babendreyer
© 1999 Clairvision School Foundation – Clairvision is a registered trademark of Clairvision School Ltd.

Inhalt



Einleitung

Rückführung ist eine Technik der Zukunft im Bereich der Selbsterfahrung und Psychotherapie. Eines ihrer wesentlichen Merkmale ist, dass sie zwei Dimensionen im selben Prozess verbindet: eine psychotherapeutische und eine spirituelle.
Für Psychotherapeuten ist Rückführung eine transpersonale Technik, die eine Erkundung und Befreiung in einer bislang ungekannten Tiefe ermöglicht, und durch die eine höchst notwendige spirituelle Dimension in die Psychotherapie eingebracht werden kann.
Für Menschen, die sich spirituell auf der Suche befinden, ist Rückführung ein wichtiges Werkzeug zur öffnung der Wahrnehmung, ein kraftvolles Mittel zur Anregung des dritten Auges, und vor allem ein Weg zur Befreiung von geistigen Konditionierungen. Durch sie wird eine grundlegende und systematische Reinigung der emotionalen Schichten erreicht – nicht unähnlich der Reinigung, die Bernhard von Clairvaux, der Schutzpatron der Tempelritter, gewöhnlich mit dem lateinischen Wort defaecatio beschrieb, eine Reinigung, die er für eine unverzichtbare Vorbereitung zu höheren spirituellen Erfahrungen hielt.
Rückführung zielt darauf ab, emotionale Blockaden und Komplexe zu erkennen und abzubauen, so wie es auch viele andere Therapieformen tun. Das Besondere an der Rückführung ist jedoch ihre unübertroffene Fähigkeit, verborgene unbewusste und bewusste Erinnerungen zu erreichen. Schon in den ersten Sitzungen ist es nicht ungewöhnlich, dass blitzartig Erinnerungsfetzen auftauchen, die in keinerlei Bezug zu den Erfahrungen in diesem Leben gebracht werden können, die aber von tiefen Gefühlen begleitet werden und von der inneren Gewissheit, dass sie einen selbst betreffen. Daher wird Rückführungstherapie häufig eine »Rückführung in frühere Leben« genannt.
Hinsichtlich früherer Leben müssen einige Punkte gleich von Anfang an klargestellt werden. Erstens ist es in keiner Weise notwendig, an frühere Leben zu glauben, um sich einem Rückführungsprozess zu unterziehen. IST, die Rückführungstechnik, die ich entwickelt habe, benutzt weder Vorstellungsübungen noch Visualisierungen. Sie verlangt nicht, dass Sie an irgendetwas glauben, nur, dass Sie an einem Prozess teilnehmen und ihm folgen. Je weniger Glaubensinhalte und überzeugungen Sie mitbringen, desto größer ist tatsächlich die Aussicht auf einen Erfolg, denn überzeugungen erzeugen Erwartungen, die die unmittelbare Erfahrung verzerren können.
Einige der Erinnerungsbruchstücke, die während der Rückführung zutage kommen, haben eine extreme Deutlichkeit und lassen dem Klienten wenig Zweifel daran, dass sie sich auf wirkliche Ereignisse beziehen. Doch worauf es bei den Rückführungserfahrungen ankommt, ist nicht, ob sie aus früheren Leben herstammen, sondern was für Fortschritte sie Ihnen in der Gegenwart möglich machen. In den Worten eines meiner Klienten unmittelbar nach einer intensiven Rückführungserfahrung: »Ich weiß nichts über frühere Leben, aber was mein Leben angeht, hat das hier eine Menge zu bedeuten.« Worauf es ankommt, ist wie das gegenwärtige Leben des Klienten verändert werden kann, und nicht so sehr der Ursprung der jeweiligen Erfahrung. Man kann es den Leuten überlassen, für sich selbst zu entscheiden, was das wirkliche Wesen dieser blitzartigen Erinnerungen sein könnte. Die Leser wären jedoch schlecht beraten, sollten sie versuchen, sich selbst eine Meinung zu bilden, bevor sie sich selbst einen Rückführungsprozess unterzogen haben, denn die Intensität und Schärfe der Erinnerung sind viel größer als es sich die meisten Menschen vorstellen, wenn sie an eine Rückführung in frühere Leben denken. Darüberhinaus sind manche dieser Erinnerungen von einen 'Geschmack des Selbst' begleitet – einer Empfindung der eigenen Kontinuität in der Zeit, die sich kaum in Worte fassen lässt, so lange Sie nicht selbst diese Erfahrung gemacht haben.
Ein zweiter wesentlicher Punkt ist, dass der Zweck der IST–Rückführungsmethode nicht darin besteht, einen Roman über Ihre früheren Leben zu schreiben, sondern an der Klärung der Gegenwart zu arbeiten. Rückführung beschäftigt sich mit den gegenwärtigen mentalen und emotionalen Blockierungen des Klienten und damit, wie man sie auflösen kann. Sie mag dazu führen, dass man Episoden der frühen Kindheit wieder erlebt, oder möglicherweise auch bestimmte Episoden, die man mit keinerlei Ereignissen des gegenwärtigen Lebens in Verbindung bringen kann. Wenn die Klienten jedoch anfangen, sich mehr für die Einzelheiten der Geschichten aus früheren Leben zu interessieren als dafür, wie die Rückführung ihnen helfen kann, freier und bewusster zu werden, dann kann der Prozess rasch sinnlos werden, und außerdem zu allerlei Arten von wahnhaften Vorstellungen führen. Diese Warnung ist von wesentlicher Bedeutung und wird deshalb mehrmals in diesem Buch wiederholt werden. Die Ziele von IST sind der Abbau von Konditionierungen, emotionale Freiheit im Hier und Jetzt, und Selbsterfahrung. IST zielt darauf ab, Ihre wahre Natur zu enthüllen, und legt wenig Wert darauf, wer Sie einmal gewesen sind.
Drittens ist es in diesem Buch nicht meine Absicht, für die Realität früherer Leben zu argumentieren oder sie gar zu »beweisen«. Tatsächlich glaube ich nicht, dass man die Realität früherer Leben beweisen kann, genauso wie es absolut keine Möglichkeit gibt, die Realität von Träumen zu beweisen. Nur ist es eben so, dass fast alle Leute sich an ihre Träume erinnern, zumindest von Zeit zu Zeit, so dass es wenig Zweifel daran gibt, ob Träume existieren oder nicht. Doch nehmen Sie einmal an, Sie lebten in einer Welt, in der außer Ihnen sich niemand an seine Träume erinnern würde. Wie könnten Sie ihre Realität beweisen? Jedesmal, dass Sie Ihre Geschichte erzählten, würden die meisten Menschen sogleich »Unsinn!« rufen. Sie könnten versuchen, ein EEG zu bekommen, das zeigen würde, dass jedesmal, wenn Sie geträumt haben, Ihre Gehirnwellen verändert waren. Doch dann würden die Skeptiker argumentieren, dass dies nur bewiese, dass sich Ihre Gehirnwellen änderten, und dass es nicht nötig sei, etwas so Phantastisches wie Träume zu erfinden, um dieses Phänomen zu erklären.
In ähnlicher Weise kann nur die unmittelbare Erfahrung ein wirkliches Verständnis für das Thema der früheren Leben erzeugen. Es ist besser, Techniken zu zeigen, die diese unmittelbare Erfahrung ermöglichen, und ansonsten die Zeit ihr erhabenes Werk tun zu lassen. Wie Einstein zu sagen pflegte, kommt es selten vor, dass Leute sich von neuen Ideen überzeugen lassen. Was wirklich geschieht, ist dass die Leute mit den alten Ideen nach und nach sterben, und die, die nachkommen, finden die neuen Ideen ganz natürlich und nehmen sie an. Wenn einmal ein hinreichender Teil der Bevölkerung die Art von blitzartigen Erinnerungen durchgemacht hat, wie sie in der Rückführung entstehen, dann ist es recht wahrscheinlich, dass Erfahrungen aus früheren Leben so normal und akzeptiert werden wie Träume es sind.
Ich war einmal zu einem Vortrag über Rückführung von einer Gesellschaft eingeladen worden, die Verbindung mit mir aufgenommen hatte, nachdem sie einen meiner Artikel in einem Gesundheitsmagazin gelesen hatten. Ich akzeptierte die Einladung ohne weitere Nachfrage. Ich kam eine Viertelstunde vor der Zeit an ihren Versammlungsort, und nachdem mich ihr Sekretär höflich aber distanziert begrüßt hatte, entschied ich mich dafür, in der verbleibenden Zeit in den Schriften dieser Organisation zu lesen. Mir wurde sogleich klar, dass ich zu einer Gruppe von Skeptikern gekommen war, die mich nur eingeladen hatten, um meine Auffassungen anzugreifen. Ein kurzer, intensiver Augenblick des Nachdenkens folgte, in dem ich eine neue Strategie finden und den Aufbau meines Vortrags ändern musste.
Ich argumentiere dann folgendermaßen (und ich würde skeptische Leser bitten, dieses Buch in der gleichen Weise zu betrachten): »Hier sind Fallstudien einiger meiner Klienten. Hier sind die Worte, die sie gesagt haben, als sie durch diese Erinnerungen hindurchgingen. Ich behaupte nicht, dass dies irgendetwas zeigt oder beweist. Dennoch muss hier eine Art von neuartiger Erfahrung zum Ausdruck kommen, denn andere Rückführungstherapeuten und ich haben ähnliche Muster in Tausenden von Sitzungen beobachtet. Es ist Ihnen überlassen, Ihre eigenen Schlüsse daraus zu ziehen. Worauf es für mich wirklich ankommt, ist, dass es den Klienten nach diesen Sitzungen besser geht. Nicht allen, natürlich, aber einer bedeutenden Anzahl von ihnen. Sie können ohne Tranquilizer und Schlaftabletten auskommen. Es fällt ihnen leichter, sich auf andere Menschen einzustellen, und die Schwere ihrer Neurose lässt nach. Eine Anzahl von ihnen machen sogar eine tief greifende Verwandlung durch und ändern ihre Werthaltungen. Einige nehmen eine deutlich philosophischere Haltung dem Leben gegenüber ein und beginnen, sich nach dem Sinn ihres Lebens auf der Erde zu fragen.«
Indem ich nicht versuchte, sie von irgendetwas zu überzeugen, konnte ich die Skeptiker überrumpeln. Das führte letztlich dazu, dass sie sich als überraschend aufnahmebereit erwiesen. Wir lachten ziemlich viel über die absonderliche Art einiger meiner Fallgeschichten, und ihr Vorsitzender beschloss den Abend, indem er erklärte, dass ihre Gesellschaft letztlich für jede Technik sei, die es erlaube, den Mülleimer der Seele auszuleeren – und genau das ist es, was Rückführung tut.
Rückführung ist nicht so sehr eine neue Technik wie eine neue Erfahrung, oder vielmehr die Ausbreitung einer alten Erfahrung in Proportionen, wie sie bisher noch nicht da gewesen sind. Die Geschichte hindurch, von den indischen Rishis bis hin zu Goethe, über Plato und eine ungebrochene Kette von »Sehern«, gab es immer Individuen, die sich an Erfahrungen aus früheren Inkarnationen auf der Erde erinnerten. Doch diese Erfahrungen waren selten. In den letzten 15 Jahren habe ich deutliche Veränderungen beobachtet in der Art und Weise, wie Menschen Zugang zu Erinnerungen aus früheren Leben finden (oder wie man diese Erfahrung sonst immer nennen mag).
Als ich Anfang der achtziger Jahre Rückführung verwandte, musste ich meine Klienten für zwei Wochen in einem Haus zusammennehmen und die Techniken pausenlos anwenden. Der Prozess war tief greifend und kam nur für Leute in Frage, die durch jahrelange Arbeit an sich selbst schon einen gewissen Grad an emotionaler Stabilität erreicht hatten. Für gewöhnlich war es erst nach sieben oder zehn Tagen, in denen sich innerer Druck aufbaute, dass einige der Teilnehmer begannen, Rückführungserfahrungen zu machen.
Jetzt, in der Mitte der neunziger Jahre, hat sich die Situation ganz erheblich verändert. Stationäre Behandlungen oder Kurse sind nicht mehr nötig. Wöchentliche ambulante Sitzungen von ein oder zwei Stunden Länge reichen aus. Wenn sie sich das erste Mal in meinem Praxisraum hinlegen, beginnen einige Klienten schon zu regredieren, bevor ich noch mit der Anwendung meiner Techniken zu Ende gekommen bin! Der Prozess ist relativ glatt und sanft geworden und ist deshalb auch für nahezu jeden zugänglich. Außerdem sind die Rückführungserfahrungen, die diese Leute machen, oft tiefer und echter als die ihrer Vorgänger vor 15 Jahren. Offensichtlich hat sich etwas verändert. Immer öfter hört man von Leuten, die sich wegen einer Halsentzündung oder sonst einem kleineren Problem einer Akupunkturbehandlung unterziehen, und die gänzlich unerwartet eine eindrucksvolle Erinnerung aus früheren Leben haben, sobald die Nadeln in ihren Körper gesetzt werden – und dies, obwohl weder sie noch ihr Akupunkturpraktiker irgendetwas über Rückführung wussten. Natürlich bleiben dies relativ vereinzelte Fälle, und es wäre nicht richtig zu erwarten, dass Sie einfach im Handumdrehen über Ihre früheren Leben Bescheid wissen werden; jede qualitativ hochwertige Arbeit kostet Zeit und Mühe. Doch ist der Zugang zu Rückführungszuständen unendlich viel einfacher geworden als er es früher war, was auf die Dauer beträchtliche Konsequenzen nicht nur für verschiedene therapeutische Arbeitsbereiche haben kann, sondern sogar für einige der Grundlagen unserer Gesellschaft.


IST, Verbinder und Klient

Die IST–Technik der Rückführung beruht auf drei Hauptprinzipien:

1.) dem inneren Raum des dritten Auges, der durch den Bereich zwischen den Augenbrauen zugänglich ist.
2.) der Interaktion zwischen zwei Menschen, einem, der sich hinlegt und sich der Rückführungserfahrung unterzieht, und dem anderen, der nahe dabeisitzt und die Energie während der Sitzung überwacht. Man nennt den ersten den 'Klienten' und den zweiten den 'Verbinder'.
3.) der Ergründung, der systematischen Suche nach dem Grund aller emotionalen Prägungen und der verhaltensmäßigen Konditionierungen.

Die Anfangsbuchstaben der drei zentralen Begriffe kürzen sich auf Englisch (Inner Space, Interactive, Sourcing) glücklich zu IST ab.
Es muss betont werden, dass die IST–Technik keinerlei Form von hypnotischer Suggestion oder Hyperventilation gebraucht. Sie funktioniert durch die Aktivierung des Energiekörpers, und insbesondere des dritten Auges. Sie führt deshalb zu einer gänzlich neuen Wahrnehmung Ihrer Emotionen als Formen und Wellen in Ihrem Bewusstsein. Diese Sicht auf die Strukturen bietet im Verlauf des Buches mehrfach die Möglichkeit, einige grundlegende Mechanismen feinstofflicher Körper und ihr Schicksal nach dem Tode zu erforschen.




Kapitel 1

Die Mechanismen der Samskaras

Samskara ist einer der wichtigsten Sanskrit–Begriffe in der hinduistischen Philosophie. Es heißt, dass Yoga, die Vereinigung mit dem Höheren Selbst, erreicht wird, sobald das letzte Samskara abgearbeitet ist. Deshalb ist es das vordringlichste Ziel aller Yoga–Richtungen, aller Wege zur Verwandlung des Selbst, die Samskaras des Verstandes auszulöschen. Deshalb ist es auch so wichtig für diejenigen, die sich selbst kennen wollen (oder vielmehr ihr Höheres Selbst), dass sie ein klares Bild von allen Mechanismen ihrer Samskaras haben.


1.1 Der grundlegende Mechanismus

Sie haben an einem ganz bestimmten Ort einen Autounfall. Danach fühlen sie sich lange Zeit jedes Mal unwohl, wenn Sie an diesem Ort vorbeifahren, eine Welle von Angst steigt in Ihnen auf. Sie fühlen sich vielleicht sogar unwohl, wenn Sie nur an das Ereignis denken. Die traumatische Prägung, die in Ihrem Verstand nach dem Unfall zurückbleibt, nennt man ein Samskara. Das schlechte Gefühl, das jedes Mal auftritt, wenn Sie an dem Ort vorbeifahren, nennt man eine emotionale Reaktion, oder einfach eine Emotion. Die Tendenz des Samskara, jedes Mal eine Welle von Angst auszulösen, wenn Sie sich an den Unfall erinnern, nennt man die Dynamik des Samskara.
Grundsätzlich funktionieren alle Samskaras auf die gleiche Weise. Ganz einfach. Und doch, folgt man den Upanishaden, den abschließenden Kapiteln der Veden, dann wird der höchste Bewusstseinszustand erreicht, sobald der letzte Knoten der Samskaras im Herzen gelöst worden ist. Man erreicht absolute Freiheit, und martyo 'mrto bhavati , »das Sterbliche wird unsterblich«. [1]

[1 Katha–Upanishad 6.15 und Brihad–Aranyaka–Upanishad 4.4.7.]

1.2. Wie können wir ein Samskara definieren?

Samskaras sind die Spuren, die im Verstand von früheren traumatischen Erfahrungen zurückbleiben. Etwas vergröbert gesagt, sind Samskaras die «Narben des Verstandes». In dem vierfachen Modell der feinstofflichen Körper, das in diesem Buch benutzt wird, entspricht die Ebene des Verstandes dem Astralkörper.[2]

[2 Dieses einfache Modell, das den physischen Körper, den ätherischen Körper, den Astralkörper und das höhere Ego umfasst, wird im Abschnitt 4.3 dargestellt.]

Samskaras können daher als Prägungen oder Narben im Astralkörper verstanden werden, und dies wird im Folgenden im Detail untersucht.
Betrachten wir einige Beispiele, um den Begriff des Samskara zu klären. Wenn eine Frau im Alter von 16 Jahren von ihrem Vater vergewaltigt wird, dann hinterlässt das eine Spur in ihrer psychischen Organisation, und diese Spur ist ein Samskara. Ihre Art, mit Männern umzugehen, wird nie wieder die selbe sein. In verschiedenen Lebenssituationen wird diese Spur ihre Emotionen und ihr Verhalten zutiefst beeinflussen. Das heißt für uns, dass ein Samskara weder neutral noch stumm ist. Stattdessen führt es eine kraftvolle Dynamik mit sich – eine emotionale Ladung. Es erzeugt Emotionen, Kräfte von Anziehung und Abstoßung, die das innere Leben dieser Person signifikant verändern. Da es mit derartig schmerzhaften und traumatischen Erinnerungen verbunden ist, kann das Samskara nicht stumm bleiben, es muss sich auf bewusste oder unbewusste Weise zum Ausdruck bringen. Das trifft auf alle Samskaras zu, nicht nur in einigen besonderen Fällen. Ob Sie dessen gewahr werden oder nicht, in der Tiefe Ihres Selbst rufen Ihre Samskaras fortwährend danach, geheilt zu werden.
Nehmen Sie nun an, dass diese Frau, anstatt mit 16 vergewaltigt zu werden, mit drei Jahren missbraucht worden ist. Ihre Erfahrung war dann noch schrecklicher und traumatischer, denn als kleines Mädchen hatte sie keinerlei Möglichkeit zu verstehen was passierte. Für sie war dieser Angriff wie ein Mordanschlag. Doch der Schock war so unerträglich, dass sie alles vergaß, dass er die ganze Episode aus ihrem bewusstem Gedächtnis wegwischte. Das Samskara wurde mit einer noch größeren emotionalen Ladung gespeichert als im Fall der Sechzehnjährigen, doch in diesem Falle ist das Samskara vollständig unbewusst. Später, als Erwachsene, wird ihr gesamtes emotionales und sexuelles Leben von dem verborgenen Trauma untergraben werden, von dem sie überhaupt nichts weiß. Vielleicht läuft sie vor Männern davon, oder vielleicht läuft sie ihnen auch nach, oder sie zeigt alle möglichen Arten von irrationalem Verhalten, die sie eigentlich gar nicht bewusst will. Vielleicht entwickelt sie auch eine schwere Unterleibserkrankung oder hat eine Fehlgeburt, wenn sie eigentlich ein Kind haben will. Ohne einen Prozess, der es ihr erlaubt, die Tiefen ihres Unbewussten zu erkunden, wird sie nie im Stande sein zu verstehen, warum ihr Leben so durcheinander ist. Jeder Versuch, ihr Leben in geordnete Bahnen zu bringen, wird von Anfang an zum Scheitern verurteilt sein, denn ihr fehlt das wichtigste Stück aus ihrem persönlichen Puzzle.
Bis hierher passen alle Beispiele recht gut in psychoanalytische Modelle und in gewöhnliche psychologische Erklärungsmuster. Man könnte freilich über die Tatsache nachdenken, dass die Sanskrit–Texte diese Themen schon einige Jahrtausende vor Freud erörtert haben. Doch auf den hauptsächlichen Unterschied stößt man, wenn man Rückführung anwendet – die Klienten entdecken eine Reihe von Samskaras, die man nicht mit irgendeiner Erfahrung ihres gegenwärtigen Lebens in Verbindung bringen kann.

Fallstudie – Zweiundzwanzigjährige Frau. Während des Beginns der IST–Sitzung zeigte sich ein schmerzhafter Punkt in der Magengegend. Nach zwanzig oder dreißig Minuten der Anwendung der Technik wurde die Klientin sehr ruhig und klar, und begann die folgende Episode wiederzuerleben. [3]

[3 Die Fragen zu Beginn der Absätze wurden von dem Verbinder gestellt. Die Antworten sind die der Klientin.]

Was fühlen Sie? – Es sieht einfach matt und grau aus. Es fühlt sich sehr niedergeschlagen an. Eine Frau, deren Kopf zwischen ihren Schultern hängt, rückwärts. Sie ist ziemlich jung, mit langen Haaren, sie hat ein weißes Kleid an. Ich kann ihr Gesicht nicht sehen.
Fühlt sie sich glücklich oder traurig? – Sie ist sehr, sehr traurig.
Weint sie? – Nein.
Fühlt es sich warm oder kalt an um sie herum? – Kalt.
Gibt es irgendwelche Geräusche? – Nein, es ist totenstill. Sie ist wirklich müde. Es fühlt sich jetzt gespannter an im Magen.
Was will sie? – Sie will etwas zurück, das sie verloren hat. Sie weiß, dass sie nichts tun kann.
Ist sie allein? – Ja. Sie ist sehr jung. Sie ist verletzt.
Körperlich verletzt? – Ja.
Hat sie Schmerzen? – Sie hat viel Blut verloren. Doch sie achtet nicht darauf. Ihr ist sehr kalt.
Können Sie ihre Schmerzen spüren? – Sie beginnen im Magen, dann die Rippen, und sie ziehen sich zum Rücken durch, zwischen die Schulterblätter. Sie fühlt ihr Herz schlagen. Sie trauert um etwas. Ihre Familie ist fort, und sie können nicht zurückkommen. Sie möchte einfach nur sterben.
Ihre Familie? – Ein Mann. Und ihr Kind. Der Junge war drei. Er hatte weiches, lockiges Haar... Es war ein überfall. Der Mann war sehr stark, deshalb hat man ihn irgendwohin weggebracht.
Und das Kind? –– Das Kind wurde umgebracht. Er starb vor ihren Augen.
Wie? – Es war sehr schwierig, sehr grausam. Sie erinnert sich nicht richtig daran.
Wie ist er gestorben? – Ein Speer durch ihn durch. Ihre Lippen sind blau geworden... Auch die Frau wurde angegriffen.
Was haben sie ihr getan? – Ungefähr sechs Soldaten.
Wie sahen sie aus? – Dunkle Mäntel, kurzes Haar, mit Helmen. Irgendwas oben auf den Helmen drauf. Keine Bärte. Sie waren dunkelhäutig. Kleiner als ihr Mann.
Was haben sie ihr getan? – Ich weiß nicht. Sie erinnert sich nicht daran. Es ist nicht wichtig.
Versuchen Sie es zu sehen. – Vier Männer hielten sie fest. Es ist schwer zu sagen. Sie hielten sie fest und vergewaltigten sie gleich neben der Leiche von ihrem Kind.
War es tot? – Ja.
Und dann? – Als sie fertig waren, trat ihr der Letzte in den Magen und in die Rippen. Das ist der Grund, dass sie Blut in ihrem Mund schmecken kann.
Und dann? – Sie kriecht zurück in ihr Haus... Und sie stirbt kurze Zeit später.

Wie es oft der Fall ist, lag dieses Samskara vergraben und die junge Frau hatte nie zuvor gedacht, dass es es gäbe. Doch es war nicht allzu tief vergraben, denn es konnte in der Rückführungssitzung – die erst die zweite im Prozess war – an die Oberfläche geholt und wiedererlebt werden. Da es eine derartig dramatische emotionale Ladung bekommen hatte, konnte das Samskara auf keinen Fall neutral und untätig bleiben. Ein Jahr bevor diese Rückführungssitzungen stattfanden, hatte die junge Frau ein Kind durch eine Fehlgeburt wenige Wochen vor dem erwarteten Geburtstermin verloren. Während sie die Rückführung durchmachte, erkannte sie unmittelbar, dass der Schmerz, den sie bei ihrer Fehlgeburt erlebt hatte, genau der gleiche war wie der jener Frau, als sie vergewaltigt und ihr Sohn umgebracht wurde.
Die überlagerung dieser beiden Episoden ist in der Tat verblüffend. Es ist, als ob das Drama aus der Vergangenheit hätte wiederholt werden müssen, weil die Wunden, die es geschlagen hatte, nicht geheilt worden waren. Ohne zu erkennen, dass dieses Samskara in ihrem Unbewussten lag und sie beeinflusste, was für eine Chance hatte die junge Frau zu verstehen, was in ihrem gegenwärtigen Leben vor sich ging? In einem Fall wie diesem kann man schwer sagen, ob die Fehlgeburt auch dann geschehen wäre, wenn die Rückführung vor ihrer Schwangerschaft ausgeführt worden wäre. Sobald jedoch die Klientin dieses Samskara entdeckt hatte, begann sich ihr Leben zu verändern. Ihre Traurigkeit ließ nach und die emotionale Wunde, die von der Fehlgeburt zurückgeblieben war, begann zu heilen. Sie gewann wieder eine gewisse Zentriertheit und ein größeres Zielbewusstsein.

1.3 Haben Samskaras immer mit negativen Erfahrungen zu tun?

Das Kriterium dafür, dass sich ein größeres Samskara einprägt, ist nicht der Schmerz, sondern die Intensität. Starke Samskaras werden in den Astralkörper eingegraben, wenn eine Episode mit emotionaler Intensität verbunden ist. Wir wissen alle aus unserer Lebenserfahrung, dass wir dazu neigen, öfter zu unglücklich als zu glücklich zu sein. Man kann erwarten, dass es sich in früheren Leben genauso verhalten hat. Das erklärt, warum größere Samskaras, die aus unserer Vergangenheit zum Vorschein kommen, statistisch eine größere Chance haben, von schmerzhaften als von glücklichen Ereignissen herzurühren. Jedoch kann auch irgendeine intensive Freude ein Samskara schaffen, in genau der gleichen Weise wie man in der chinesischen Medizin annimmt, dass Freude einen Herzanfall auslösen kann.

Fallstudie– Vierundzwanzigjähriger Mann.

Ich bin in einem sehr kleinen Raum, es ist wie wenn Metall überall um mich herum wäre. Da ist ein Vibrieren, ein metallisches Vibrieren... Ich sehe alle diese Leute. Ich weiß, dass ich an der rechten Seite verletzt bin, aber ich spüre noch nicht einmal etwas davon. Ich bin vollständig erschöpft, erledigt. Und gleichzeitig fühle ich mich so gut! Wie wenn ich drei Tage und drei Nächte ohne Pause gekämpft hätte. Es fühlt sich so... so anders an als alles. Es ist gar nichts von mir übrig, da ist nur der Himmel.
Es ist ein Cockpit. Ich bin in einem Flugzeug. Ich kann den Lärm hören, und da ist auch das Vibrieren. Das Flugzeug wird landen. Das ist mehr als nur erschöpft sein, das ist auch wie wenn ich alles von ganz weit weg sehen würde.
Es gibt einen Schlag, als das Flugzeug auf den Boden aufsetzt. Und ich kann alle diese Leute sehen, eine Menschenmenge, die auf mich wartet. Da ist ein Gefühl von Stolz... Oh! Mein Gott! Es ist groß. In meinem Herzen ist ein ungeheures Gefühl von Stolz. Ich weiß nicht, was ich getan habe, aber sie scheinen das sehr zu schätzen. Es ist Krieg...
Mein Flugzeug ist gelandet und sie winken alle mit den Armen. Sie rennen auf das Flugzeug zu. Oh! Mein Gott! [Er beginnt zu weinen.] Ich glaube, ich breche jetzt zusammen. Ich habe so lange, so lange nicht geschlafen... Ich habe nicht gewusst, dass man solchen Stolz spüren kann.

1.4 Wie verstärken Emotionen die Samskaras?

Es gibt verschiedene Gründe, warum ein Samskara viel tiefer in Ihre Struktur eingeprägt wird, wenn es von einer intensiven Emotion begleitet wird. Stellen Sie sich vor, sie sollen geköpft werden. Diese Erfahrung wird einen viel tieferen Eindruck auf Ihre Seele machen, als wenn sie zum Frisör gingen. Sie können gedankenlos zum Frisör gehen und dabei Tagträumen nachhängen, ohne dass die Sache Sie eigentlich betrifft. Sie können nicht zu Ihrer Hinrichtung gehen, ohne dass Sie davon betroffen sind. Sie mögen viele Frisörbesuche vergessen haben, doch wenn Sie aus den Kerker entkommen sind, werden Sie das auf keinen Fall je vergessen, denn im Kerker waren Sie in dem völligen Gegenteil von einem gedankenlosen Zustand. Dort sind alle Ihre Sinne weit offen. Sie sind auf das äußerste bewusst und wachsam. Das ist nicht eine dunstige Wolke, die sich Ihrem Gedächtnis einprägt, sondern ein scharfes und deutliches Bündel von Gedanken, Gefühlen und Wahrnehmungen. Wenn Sie mit dem Leben davonkommen, werden Sie sich sogar noch nach 30 Jahren an jede kleinste Einzelheit erinnern können. Jedes Bit der Information wird gespeichert sein: wie die Zelle aussah und wie sie sich anfühlte, die Farben der Wände, jedes Geräusch und jeder Geruch, alle Ihre Gefühle. Und wenn Sie schließlich im Kerker sterben, werden Sie dieses ganze Bündel von Erinnerungen als eines der brillantesten Ihres ganzen Lebens zurückbehalten, und Sie werden es in die folgenden Leben hinein mitnehmen.

1.5 Werden alle Samskaras von bedeutenden Ereignissen oder Gefühlen geschaffen?

Einige größere Samskaras können durch relativ geringfügige Ereignisse zustande kommen, denn das Samskara entsteht nicht durch das Ereignis selbst, sondern durch Ihre emotionale Reaktion darauf. So kann zum Beispiel ein Kind durch ein Tier außerordentlich erschreckt werden. Für ein Kind kann sich sogar ein zahmer Hund plötzlich in ein schreckliches und lebensbedrohliches Monster verwandeln und eine irrationale panische Angst auslösen, wodurch ein starkes Samskara entsteht. Umgekehrt bleiben manche Leute auch in äußerst dramatischen Umständen emotional stabil, und so erleben sie sehr intensive Ereignisse, ohne dass sich ein größeres Samskara einprägt.

1.6 Mikro–Samskaras und eigentliche Samskaras

Bislang haben wir nur die Samskaras betrachtet, die eine starke emotionale Ladung mit sich führen. Neben diesen größeren Prägungen werden jedoch auch unzählige kleinere in Ihrem Geist gespeichert.
Der Input, den Sie ständig von Ihren Sinnesorganen bekommen, wird in unbewussten Regionen des Geistes aufbewahrt. Sie wissen, dass die Einzelheiten nicht verloren sind, weil sie jederzeit wieder ins Gedächtnis zurückgerufen werden können, wenn ein entsprechender auslösender Reiz auftritt. So kommen Sie zum Beispiel an einen Ort, an dem ein bestimmter Geruch in der Luft hängt, und plötzlich stellt sich eine Verbindung zu einer lange vergangenen Episode her. Im Bruchteil einer Sekunde sind Sie wieder in einen Raum versetzt, in dem Sie sich vor 30 Jahren aufgehalten haben. Die Farben, die Geräusche, die Atmosphäre jenes Raumes kommen wieder in Ihr Bewusstsein, weil der Geruch darin ähnlich war wie der, den Sie jetzt wahrnehmen. Diese Erinnerung kommt Ihnen nicht, weil Ihnen in jenem Raum irgendetwas Dramatisches zugestoßen wäre. Die Situation war ganz normal, Sie haben keine besonderen Gefühle oder Schmerzen gehabt. Der gleiche Mechanismus funktioniert oft genauso mit einem alten Musikstück oder Lied, das Sie unmittelbar in einen Abschnitt ihrer Vergangenheit versetzen kann, und das dabei alle damit zusammenhängenden Emotionen und Gefühle wachruft.
In diesem Muster kann man die Mechanismen eines Samskara erkennen. Ein Bündel von Sinneseindrücken wird Ihrem unbewussten oder bewussten Verstand eingeprägt. Es wird dort aufbewahrt, ohne dass Sie es wissen, doch es ist immer noch lebendig, denn es kann jederzeit wieder zurückgeholt werden. Wenn der richtige Reiz kommt, so wie der Geruch oder das Musikstück, wird die Prägung ausgelöst und eine Reaktion findet statt. Sie erleben erneut die Wahrnehmungen und Gefühle, die zu diesem besonderen Teil Ihrer Vergangenheit gehören.

1.7 Was ist der Unterschied zwischen Karma und Samskara?

Die wörtliche Bedeutung des Sanskritwortes Karma ist Tat, Handlung. Karma bezeichnet alle Handlungen, die Sie in Ihrer Vergangenheit ausgeführt haben, sowohl in diesem Leben wie in früheren. Der Mechanismus des Karmas sieht so aus, dass jede Handlung, die sie vornehmen, wie ein Impuls ist, den Sie in das Universum hinausschicken. Nach einem gewissen Zeitraum, der beträchtliche Unterschiede aufweisen kann (bis hin zu einer Anzahl von Leben!), kommt der Impuls wie ein Bumerang zurück zu Ihnen und schafft entsprechende Umstände in Ihrem Leben. Negative Taten schaffen normalerweise ungünstige Umstände, wenn der Impuls zurückkehrt, während positive Handlungen in glücklichen Umständen Früchte tragen. Dies ist der Aspekt der Karmalehre, der klar ist und dem jeder mehr oder weniger zustimmen kann. Es besteht jedoch keine Einigkeit darüber, wie direkt sich die Umstände der Vergangenheit in der Gegenwart widerspiegeln. Müssen die, die mit dem Schwert getötet haben, auch durch das Schwert umkommen? Was diese Frage angeht, so haben ausgesprochen erleuchtete Leute recht unterschiedliche Ansichten geäußert. [4]

[4 Vergleichen Sie als zwei wesentliche Beiträge zum Thema des Karmas Rudolf Steiner, Karmische Beziehungen, und Sri Aurobindo, Das Problem der Wiedergeburt.]

Samskaras sind von ganz anderer Natur. Anstatt um Schwingungen, die Ihnen von außen her vom Universum geschickt werden, handelt es sich bei ihnen um interne Faktoren. Genauer gesagt handelt es sich um emotionale Prägungen, die in Ihrem unbewussten Verstand zurückgeblieben sind, und die ihrerseits dazu neigen, Ihre gegenwärtigen emotionalen Reaktionen zu beeinflussen.
Ein anderer wichtiger Unterschied liegt in der Tatsache, dass einige unbedeutende Karmas (Taten) mit großen Samskaras (emotionalen Narben) verbunden sein können, zum Beispiel, wenn ein kleiner Junge von Panik befallen wird, wenn er den gutmütigen Deutschen Schäferhund des Nachbarn trifft, oder wenn ein Säugling von einem Sturm erschreckt wird. Obwohl es in diesen Fällen so gut wie keine Handlung, und das heißt kein bedeutendes Karma gibt, kann es genug Samskara geben, dass das Kind für den Rest seines Lebens neurotische Symptome zeigt. Umgekehrt können die abscheulichsten Verbrechen – die sehr viel schlechtes Karma bedeuten – kalt und gedankenlos verübt werden, ohne dass ein tiefes Samskara eingeprägt würde. [5]

[5 Wer vipassana, die buddhistische Form der Meditation, ausgeübt hat, hat wahrschein–lich eine Menge über die sammkaras gehört, die das genaue Gegenstück der Samskaras sind. Der Unterschied der Schreibweise rührt davon her, dass vipassana zum Hinanyana–Buddhismus gehört, dessen Texte in Pali aufgezeichnet wurden, einer Sprache, die vom Sanskrit abstammt. Viele Sanskritworte haben sich im Pali so verändert, dass wenn zwei Konsonanten aufeinanderfolgen, der hintere in den vorderen geändert wurde. So wurde ‘ms’ zu ‘mm’ und aus samskara im Sanskrit wurde sammkara in Pali. ähnlich wird aus ‘sy’ ‘ss’, und aus dem Sanskritwort vipashyana (durchdringende, unterscheidende Sicht) wurde im Pali vipassana.]

1.8 Haben Tiere auch Samskaras?

Da Tiere neurotisch werden können, können wir davon ausgehen, dass sie auch Samskaras haben. Die Reflexe, die Iwan Pawlow in seiner Arbeit mit Hunden beobachtet hat, bieten klare Analogien mit der Konditionierung der Samskaras.
Ein weiteres wichtiges Sanskritwort, das sich auf Samskaras bezieht, ist »manas«. Manas bezieht sich auf die Ebene, auf der wir denken und Emotionen erleben. Manas hat genauer mit den Gedanken und Gefühlen zu tun, die direkte Reaktionen auf Samskaras sind. Der Begriff des 'reagierenden Verstandes' (manas) wird weiter unten ausführlicher entwickelt werden.
Manas wird für gewöhnlich auf Englisch mit 'mind' übersetzt. Das englische Wort mind wird jedoch von verschiedenen Leuten mit grundverschiedenen Bedeutungen benutzt (und da entsprechend mind auf Deutsch Seele, Geist, Verstand, Vernunft heißen kann, macht es übersetzer auch nicht gerade glücklich, Anm. d. ü.). Im Zusammenhang der Arbeit der Clairvision–Schule benutze ich das Wort mind in der Bedeutung reagierender Verstand, was dasselbe bedeutet wie das Sanskritwort manas, die Ebene des Geistes, auf der reagierende Gedanken und Emotionen stattfinden. Es gibt mehrere Gründe für diese Wahl, wie sich später genauer zeigen wird.
Wenn der Verstand (mind) so definiert wird, entspricht er ziemlich genau dem, was Rudolf Steiner den Astralkörper nennt. [6]

[Nach dieser Definition entspricht �Verstand� (mind) auch ziemlich genau dem griechischen dianoia im Gegensatz zum nous. Verstand kann auch mit dem lateinischen ratio im Gegensatz zu intellectus gleichgesetzt werden.]

Im gegenwärtigen Zusammenhang kann der Leser die folgenden Begriffe miteinander gleichsetzen:

Verstand (mind) = reagierender Verstand = manas = Ebene der Samskaras = Astralkörper


Zuweilen werden wir allerdings unterscheiden zwischen dem Astralkörper, der ein Träger des Bewusstseins ist und dem reagierenden Verstand als Inbegriff der Bewusstseinsakte und –inhalte, die in diesem Medium vorkommen.
Vom Standpunkt der hinduistischen Tradition aus haben Tiere Manas, einen reagierenden Verstand, genauso wie sie nach der Lehre von Rudolf Steiner einen Astralkörper haben. Tiere können Fakten geistig verknüpfen und Schlüsse ziehen, zum Beispiel, wenn eine Maus ihren Weg aus einem Labyrinth findet. Tiere haben auch Gefühle wie ärger oder Eifersucht. Da der Astralkörper, in den die Samskaras eingeprägt werden, kein spezifisch menschlicher Besitz ist, sondern auch zu Tieren gehört, könnte man Samskaras sogar als einen Teil von uns beschreiben, den wir mit den Tieren gemeinsam haben! Das mag paradox klingen, da Menschen dazu neigen, ihre Emotionen hoch zu schätzen und sie für etwas spezifisch Menschliches zu halten, für etwas, was ihnen erst menschlichen Wert verleiht. In Wirklichkeit sind die meisten dieser Emotionen von der selben Art wie die, die Tiere haben. Sie sind vielleicht komplizierter und raffinierter, doch in ihrem Wesen sind sie nicht grundlegend von denen der Tiere verschieden.
Eine der wesentliche Aufgaben der Rückführungsarbeit ist es, bestimmte Gefühle freizulegen, die nicht das Produkt von Samskaras sind und die jenseits des Gefühlsbereichs der Tiere liegen. Um diese Gefühle von den auf Samskaras bezogenen Emotionen zu unterscheiden, werde ich von ihnen als 'Gefühle' sprechen.
Ein entscheidendes Resultat des Rückführungsprozesses ist, dass wir erkennen, dass wir Tag und Nacht dazu neigen, auf die Welt entsprechend stereotyper Konditionierungen zu reagieren, genauso wie Pawlows Hunde, anstatt auf unsere menschlichen Möglichkeiten 'schöpferischen Seins' zuzugreifen. In den Begriffen unseres vierfachen Modells der Körper besteht der entscheidende Unterschied zwischen einem Menschen und einem Tier darin, dass der Mensch ein Höheres Selbst erlangt hat. Wie viel von Ihrem Höheren Selbst geht in Ihre emotionalen Reaktionen ein? Das ist eine Schlüsselfrage, und durch sie erhalten wir auch die Antwort darauf, welche unser Gefühle menschlich und welche tierhaft sind.

1.9 Die Geschichte von König Janaka und dem Sohn des Rishi

Beschließen wir dieses Kapitel mit einer Geschichte aus der Sanskritliteratur.
Es war einmal ein großer Rishi (Seher–Weiser) im alten Indien, der schickte seinen dreizehnjährigen Sohn an den Hof des Königs Janaka und bat den angesehenen Herrscher, die Ausbildung des Jungen zu vollenden. Sobald der Junge am Hofe ankam, stellte Janaka einen Krug Milch auf seinen Kopf. Der Krug war bis zum Rand gefüllt, und Janaka befahl dem Jungen, drei Mal um den Palast herumzugehen, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten.
Der Palast war voller seltener Statuen und edler Steine, voller Jongleure, fremdartiger Tiere und schöner, tanzender Frauen – eine Menge von Versuchungen für einen jungen Mann, der nie zuvor den Ashram seines Vaters im Dschungel verlassen hatte. Doch der Sohn des Rishi konnte sehen ohne zu reagieren, und er ging drei Mal um den Palast herum, ohne einen einzigen Tropfen zu verschütten.
König Janaka war sehr zufrieden mit dem Jungen. Er sprach zu ihm: »Sohn, geh zurück zu deinem Vater, und sag ihm, dass es nichts mehr gibt, was ich dich noch lehren könnte.«
Das bedeutet gewiss nicht, dass das Gefühlsleben des Jungen unterdrückt war. Doch eine bestimmte Art von reaktionshafter Emotion war ausgelöscht worden. Der Junge konnte lieben, sich freuen und fühlen, doch seine Gefühle kamen aus seiner Seele und waren nicht einfach Reaktionen auf seine Umgebung. Er konnte durch die Welt gehen und innerlich voll bleiben, was immer ihn auch umgab. Er hatte alle seine Samskaras abgearbeitet und war frei, in der höchsten Bedeutung dieses Wortes. Sogar der erleuchtete König Janaka, der sprichwörtlich ist für seine Weisheit, konnte ihm nichts mehr beibringen.



Kapitel 2

Samskaras und die Suche nach Freiheit

2.1 Die Tyrannei der Samskaras

Wenn wir auf der Suche nach Freiheit sind, dann sollte es klar sein, dass unser hauptsächliches Hindernis unsere eigenen Samskaras sind. Es gibt Lebensumstände, die uns einschränken und behindern. Wenn die ölpreise steigen, dann können wir nicht mehr so freizügig mit dem Auto herumfahren, wie wir es gewohnt sind. Wenn eine Behörde von uns verlangt, dass wir stapelweise Formulare ausfüllen, dann erschwert das unsere Geschäfte erheblich. Doch selbst in dem am stärksten totalitär geprägten Land wird man nie eine Herrschaft finden, die so einengend und so dauerhaft ist wie die der Samskaras. Die meisten Leute haben etwas gegen Dikaturen, doch wer macht sich schon wirklich Gedanken über Samskaras? Diese Vergleiche können Ihnen helfen zu verstehen, was sowohl Hindus wie Buddhisten unter maya oder Illusion verstehen. Im Sanskrit bedeutet maya 'Magie'. Samskaras üben eine absolute und magische Diktatur aus, um die sich noch nicht einmal jemand kümmert. Diese Diktatur beginnt schon vor der Geburt und hört mit dem Tode nicht auf. Sie behindert Ihre Willensfreiheit von Morgen bis Abend, an jedem einzelnen Tag, den Sie auf diesem Planeten zubringen. Und Sie sehen noch nicht einmal etwas davon – das ist das wahrhaft Magische dabei. [7]

[7 Der Begriff der magischen Illusion der Emotionen findet sich nicht nur in der hinduistischen Philosophie. Der christliche Mystiker Gregor von Nyssa zum Beispiel benutzte den Begriff goethia, Magie, um die vielfältigen Illusionen dieses Lebens zu bezeichnen, von denen die Menschen zum Narren gehalten werden, und die sie ihre wahre Natur ablegen und sich wie die Tiere benehmen lassen, ganz so, als hätten sie den Zaubertrank der Zauberin Circe getrunken. Das gleiche Konzept findet sich auch bei Plotin (Enneaden iv, 3, 17). Für eine eingehendere Erörterung dieses Themas vgl. Jean Daniélou, Platonisme et Théologie Mystique, Paris: Ed. Montaigne, 1944, S. 126.]

Denken Sie noch einmal an das Beispiel der Frau, die sexuell missbraucht wurde, als sie drei Jahre alt war, und die jegliche bewusste Erinnerung an dieses Ereignis vollständig verloren hatte. Können wir wirklich behaupten, dass sie frei ist in ihren Beziehungen zu Männern? Von außen betrachtet ist sie vollkommen »frei«. Niemand zwingt sie, sich einen so oder anders beschaffenen Mann auszusuchen, und wenn sie sich vier Mal scheiden lässt, dann liegt es ganz allein in ihrer Verantwortung. Doch wenn wir den schrecklichen Druck der latenten Emotion kennen, das Samskara und seine Dynamik kennen, können wir diese Behauptung dann noch genauso aufrechterhalten? Diese Frau weiß nicht einmal, dass ihre Entscheidungen hinsichtlich der Partnerwahl von dem Samskara beeinflusst werden. Tatsächlich weiß sie noch nicht einmal, dass sich ihr das Samskara eingeprägt hat; sie hält sich vielleicht für frei, während ihr emotionales Leben von einer Kraft manipuliert wird, die sie niemals sieht. Das ist das erste, häufig vorkommende Schema, das beschreibt, wie ein Samskara, ein emotionaler Eindruck, der in der Vergangenheit zustande gekommen ist, Sie versklaven kann, ohne dass Sie es vermuten.
Dieses Schema muss jedoch erweitert werden, denn wenn man Rückführung praktiziert, wird es deutlich, dass Menschen nicht nur durch Samskaras aus ihrer frühen Kindheit beeinflusst werden. Einige der Samskaras, die zu Tage kommen, können unmöglich mit irgendwelchen Umständen dieses gegenwärtigen Lebens in Verbindung gebracht werden. Man muss dabei erneut betonen, dass es nicht darauf ankommt, ob Sie an vergangene Leben glauben oder nicht. Tatsächlich ist es so, dass es umso besser ist, je weniger überzeugungen und Glaubenssätze Sie mitbringen, denn Glaubenssätze erzeugen Erwartungen, und Erwartungen wiederum neigen dazu, die Reinheit der Erfahrung zu verzerren. Der wichtige Punkt ist hier, dass man einige Samskaras entdeckt, die man unmöglich mit dem gegenwärtigen Leben in Zusammenhang bringen kann. Dennoch erweisen sich diese Samskaras als entscheidend, wenn es darum geht, die Neigungen und Abneigungen zu verstehen, die Ihre gegenwärtigen Entscheidungen und die Art bestimmen, wie Sie Ihr Leben führen. Sehen wir uns einige Beispiele an, die die Hauptmechanismen illustrieren, durch die Samskaras stören.


2.2 überlagerung (superimposition)

Fallstudie – Mary war eine vierundzwanzigjährige Frau, die durch eine Phase intensiver Depression hindurchging. Sie heiratete, als sie achtzehn war, erwies sich jedoch als unfähig, ihrem Ehemann treu zu bleiben. Sie hatte nach achtzehn Monaten Ehe einen ersten Liebhaber und fünf Monate darauf wieder einen, woran ihre Ehe zerbrach. Dann kam sie vollends auf den Hund. Sie begann, von einem Mann zu anderen zu gehen, und hatte immer mehr kurze, oberflächliche Erfahrungen, die sie in immer schlimmerem Zustand hinterließen. Hier ist die Erzählung eines Schlüsselerlebnisses, das sie während einer Rückführungssitzung hatte.

Wie fühlen sie sich jetzt? – Kalt. Schrecklich kalt.
Innerlich oder äußerlich kalt? – Beides.
Wie sieht es um sie herum aus? – Es ist feucht. Es ist kalt, kalt, kalt... aus Steinen gemacht. Ich kann dieses große, steinerne Gebäude sehen, und es ist... schrecklich, schlimmer als alles. Es ist so kalt... Ich wollte nicht hierher kommen. Oder vielleicht wollte ich es doch, aber jetzt will ich nicht mehr hier sein.
Was geschieht in diesem Gebäude? – Es ist ein Kloster. Ich bin eingesperrt. Ich will weggehen. Es ist entsetzlich, als ob die Kälte draußen mein Herz erfrieren lassen würde. Niemand kümmert sich. Niemand lächelt. Manchmal weine ich, doch ich bin ganz allein. Manchmal kann ich noch nicht einmal weinen, da bin ich wie tot...
Fühlen Sie manchmal diese Kälte auch in ihrem gegenwärtigen Leben? – Oh, ja. Wenn ich jemand brauche, der sich um mich kümmert. Wirklich, ich will nur Wärme finden, nichts anderes.
Aber dieses Gefühl, ist das Ihres oder das der Frau, die in dem Kloster eingesperrt ist? – Es ist ihr Gefühl. Es kommt von ihr. Doch dann kommt es zu mir... es wird zu meinem Gefühl.
Das nächste Mal wenn es zu Ihnen kommt, könnten sie dann erkennen, dass es ihr Gefühl ist, nicht Ihr eigenes? – Ja, das ist ziemlich klar.

Dieses Beispiel ist relativ typisch für ein Samskara einer entfernten Vergangenheit, das störend in das gegenwärtige Alltagsleben hineinwirkt. Mary war in ihrem gegenwärtigen Leben nie in einem Kloster gewesen. Doch seit ihrer Kindheit hatte sie sehr gemischte Gefühle gegenüber einer kontemplativen Lebensweise gezeigt. Sie hatte sich manchmal dazu hingezogen gefühlt, und war manchmal erschreckt davon gewesen. Nach und nach wurde ihr Interesse an einem religiösen Leben zu einem Witz unter ihren Freunden, die ihren promiskuitiven Lebenswandel kannten. [8]

[8 Bei der Regression entdeckt man nicht selten solche Muster, in denen ein asketisches Leben von einem mit wahlloser sexueller Aktivität und einer Hingabe an sinnliche Erfahrungen gefolgt wird.]

Es kommt darauf an zu erkennen, wie Mary sich fühlte, wenn sie in ihrem gegenwärtigen Leben allein war. Die schreckliche Einsamkeit der eingesperrten Nonne überlagerte ihr aktuelles Gefühlsleben. Die Emotionen dieser jungen Frau im Hier und Jetzt waren ein Knäuel aus Gegenwart und Vergangenheit, das unmöglich zu entwirren war. Dieses auf sie übertragene Leid ließ sie sich elend fühlen, und ließ sie bereit dazu sein, alles zu tun, damit sich jemand um sie kümmerte und nett zu ihr war. Von außen her betrachtet war Mary jedoch frei, sich einen Liebhaber nach dem anderen anzulachen – was zeigt, wie man vollkommen in die Irre geführt werden kann, wenn man jemanden nach den so genannten moralischen Kriterien beurteilt. Sobald das zu Grunde liegende Samskara durch den Rückführungsprozess erkannt war, konnte das Leiden dieser Frau nie wieder so intensiv sein wie zuvor.

Fallstudie – Samantha, fünfundzwanzig Jahre alt. Der Anfang der IST–Sitzung zeigte eine schmerzhafte Stelle am Brustkorb. Samantha fing an, sich sehr elend zu fühlen und schnell Luft zu holen, als sei sie außer Atem. Sie sah aus, als würde sie beträchtlich leiden.

Was fühlen Sie jetzt? – Furcht. Man fügt mir Schmerzen zu. Da sind Tritte gegen meinen Kopf und gegen meinen Rücken. [Sie weinte und zitterte, rollte sich auf der Matte zusammen, als wollte sie Tritten und Schlägen entkommen.]
Können Sie sich bewegen? – Ich kann bloß versuchen, mich zu schützen.
Warum tun sie das? – Weil es so einfach ist, auf mich einzuschlagen.
Fühlt es sich eher so an, als seien Sie jung, oder eher als seien Sie alt? – Ziemlich jung. Männlich.
Dauert es lange? – Eine ganze Zeit. Und dann lassen sie mich im Deck liegen und rennen weg und lachen. Sie waren jung ... in meinem Alter.
Und dann? – ärger. Frustration. Demütigung. [Sie weint immer noch.]
Haben Sie manchmal in Ihrem [gegenwärtigen] Leben dieses Gefühl? – Ja, genau dieses Gefühl.
Ist jemand in der Nähe? – Nein, das war draußen vor dem Dorf.
Wie sieht das Dorf aus? – Klein. Schmutzige Straßen. Die meisten Häuser haben flache Dächer. Schmutzig.
Sind da Bäume? – Nein. Es ist sehr warm und trocken. Das Dorf macht so einen arabischen, jedenfalls muslimischen Eindruck. [Die Klientin war immer noch außer Atem.]
Gibt es auch gute Leute in diesem Dorf? – Meine Mutter. Ich habe keine Freunde. Ich kann meinen Vater da sitzen sehen, er trinkt Kaffee. Er redet nicht viel mit mir. Es kommt mir vor, als sei ich zwölf oder dreizehn Jahre alt. Manchmal muss ich meinen Arm halten. Er sieht verschrumpelt aus, er ist nicht so groß wie der andere.
Können Sie ihn bewegen? – Ein bisschen. [Die restliche Sitzung hindurch massierte die Klientin ihren rechten Arm.]
Sind die Beine in Ordnung? – Die sind in Ordnung, aber ich bin nicht sehr stark. Ich bin lang und dürr.
Was ist mit dem Arm passiert? Der war immer so, seit ich kein war. Ich kann nicht viel damit tun.
Was machen Sie, nachdem man Sie geschlagen hat? – Ich stehe einfach auf und gehe weg. Ich gehe weg von dem Dorf. Ich laufe Stunden und Stunden. Ich fühle mich so hoffnungslos, so erniedrigt. [Sie weint.] Was kann ich denn tun? Ich möchte einfach bloß abhauen.
Und wo gehen Sie dann hin? – Ich kann nirgendwo hingehen und bleiben, ich muss zurück ins Dorf. Ich weiß, dass es wieder passieren wird, das tut es immer. Ich kann nicht mit meinem Vater darüber reden, denn der denkt, ich sollte mich selbst durchsetzen. Ich gehe zu meiner Mutter, doch sie kann nichts für mich tun. Sie tröstet mich einfach, so gut sie kann. Ich wünsche mir bloß die ganze Zeit, ich wäre kräftiger, stärker zur Welt gekommen. Ich wünschte, ich könnte mich verteidigen... Wie schwach ich doch bin! Ich mag mich nicht.
Fühlen Sie sich in Ihrem Leben [dem gegenwärtige Leben in Australien] so? – Ja, genau das gleiche Gefühl, dass ich mich nicht wehren kann.
Hat der Junge irgendwelche Freunde? – Nein. Ich bin nicht so wie die anderen. Ich schäme mich, und sie halten sich von mir fern, meiden mich. Und sie hänseln mich, verspotten mich.
Haben Sie dieses Gefühl auch in ihrem [gegenwärtigen] Leben? – Ja, ich distanziere mich, ziehe mich zurück von Menschen. Ich komme mir nicht gut genug vor und riskiere es deshalb nicht, dass man über mich spottet.
Können Sie spüren, dass diese Emotion nicht eigentlich Ihnen gehört, sondern dass es die Emotion dieses Jungen ist? – Ja. Es fühlt sich nach ihm an.
Und dann? – Ich bin auf einer Straße. Da sind Esel. Keine Autos, aber Eselskarren. Wenn ich auf die Straße gehe, dann gibt es immer Spott. Die Leute reden hinter meinem Rücken. Es ist ein richtig elendiges Leben. Ich mache ein wenig Landarbeit, aber es kommt gar nicht darauf an, was ich tue, ich muss immer wieder darüber nachdenken, wie ich bin. Ich fühle mich total niedergeschlagen. Ich wache am Morgen auf, ich gehe und arbeite an diesem Stück Land, ich komme zurück, das ist alles was für mich übrig ist. Ich trage einen Turban. Ich bin sehr groß.

[Im weiteren Verlauf der Sitzung kam es dazu, dass die Klientin den Tod dieses verkrüppelten Mannes wiedererlebte.] – Ich scheine zu liegen. Es fühlt sich an, als ob ich im Schlaf sterben würde. Ich werde irgendwie angehoben. Etwas geht aus meinem Kopf hinaus. Dann kommt es mir vor, als würde ich meine Mutter treffen, so als hätte sie auf mich gewartet. Da ist ein Gefühl von Erleichterung. Und dann, nach einiger Zeit, ist da diese Schwärze. Alles verschwindet in dieser Schwärze.

Das ist ein perfektes Beispiel dafür, wie ein Samskara von einem Leben zum anderen weitergetragen wird. Man kann verstehen, warum dieser behinderte junge Araber sich absonderlich, ausgeschlossen und unsicher gefühlt hat. Natürlich kann man behindert und dabei dennoch ausgesprochen glücklich und erleuchtet sein. Doch zumindest hatte die Verzweiflung dieses Jungen eine greifbare Grundlage. Sie war nicht unvermeidlich, aber sie war verständlich.
Doch Samantha leidet an keinerlei Krankheit oder Behinderung. Wenn sie sich von möglichen Freundschaften zurückzieht, wenn sie sich aufgrund der gleichen Emotionen in ihrem Leben gehemmt und zurückgewiesen fühlt, dann wird die Sache absurd und bestürzend. Der verkrüppelte Arm ist schon lange verschwunden, doch die ihn begleitende Emotion hat sich erhalten. Das emotionale Muster dieses Behinderten hat von Kindheit an Samanthas Gefühlsleben überlagert, ohne dass sie es bemerkt hätte.
Absurd? In der Tat! Dennoch ist das genau die Art, wie wir funktionieren, und zwar ständig. Die Art und Weise und die Intensität mag sich jeweils unterscheiden, doch es ist immer das gleiche Schema. Ein unangemessenes Muster setzt sich tief innerlich fest, und es erhält sich lange Zeit weiter, auch wenn seine Ursache nicht mehr besteht. »Ich bin nicht mehr in einem Kloster eingesperrt, und doch verhalte ich mich weiter, als wollte ich um wirklich jeden Preis getröstet werden«, oder: »Ich habe keinen verkrüppelten Arm mehr, ich lebe auch nicht mehr in einer Gesellschaft, die mich ablehnen würde, wenn es so wäre. Doch ich fühle mich immer noch ausgeschlossen.« Diese Emotionen sind reine Reflektionen aus der Vergangenheit. Sie sind unwirklich und illusorisch in dem Sinne, dass sie keine greifbare Grundlage mehr besitzen, doch gleichzeitig ist das Leiden und ist die Verwirrung, die sie in unserem Leben anrichten, außerordentlich wirklich.

2.3 Endlose Wiederholungen

Fallstudie – dreiunddreißigjährige Frau.
Was fühlen sie? – Ich kann das Haus sehen. Es ist aus hellem Material gebaut. Die Farben sind ganz anders. Ich habe noch nie solche Farben gesehen. [9]

[9 In der Regression geschieht es durchaus öfters, dass Klienten Episoden wiedererleben, bei denen die Farben verschieden von den alltäglich wahrgenommenen zu sein scheinen. Das könnte daran liegen, dass wir jedes Mal, wenn wir uns in einem neuen Körper inkarnie–ren, leicht unterschiedliche Augen haben, die dem Verstand unterschiedliche Farbsignale übermitteln. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass die allgemeine Farbwahrneh–mung der Menschen sich über die Zeit hinweg entwickelt hat. Viele Beobachtungen haben mich dazu gebracht, diese zweite Möglichkeit zu akzeptieren – auch wenn die erstgenannte auch einen Teil zur Erklärung beitragen mag. In Episoden, die im 19. oder 20. Jahrhun–dert stattfinden, erscheinen die Farben und Bilder »flacher« und mit weniger deutlicher Perspektive und Räumlichkeit ausgestattet. Auch vermitteln diejenigen Episoden, die vor dem 19. Jahrhundert stattgefunden haben, oft das Gefühl einer viel größeren Vielfalt von Farben und Tönungen, die Farben wirken »lebendiger«. Es ist, als sei so ungefähr im 19. Jahrhundert etwas in unserer Farbwahrnehmung »geschrumpft«. Wenn wir noch weiter in der Zeit zurückgehen, vor die Flutkatastrophe von Atlantis, dann entdecken wir Farben, die mehr unserer peripheren Wahrnehmung in der Nacht entsprechen, und der Grund–färbung des Astrallichts nahe kommen.]

Es sind vorwiegend gelbe und orange Töne. Eine schöne Frau mit langem, dunklem Haar. Sie sieht japanisch aus. Sie steht an der Tür und blickt nach draußen.
Was tut sie? – Ihr Mann ist fortgegangen, er hat sie verlassen. Und ihr Leben hört damit auf. Sie weiß, dass sie ihn nie wieder sehen wird. Es ist vorbei. Es ist nicht einmal Schmerz, es ist schlimmer als das. Sie ist völlig zerschmettert. Sie hört einfach auf zu funktionieren.

In dieser Rückführungssitzung wurde ein größeres Samskara aufgedeckt, bei dem es um das Verlassenwerden ging. In ihrem gegenwärtigen Leben litt diese Frau unerträglich, wann immer sie von einem Mann verlassen wurde, denn das Leiden jener Japanerin überlagerte ihre eigenen emotionalen Reaktionen. Ihr Schmerz fand auf zwei Ebenen statt, doch bevor sie durch den Rückführungsprozess hindurchgegangen war, konnte sie das nicht einsehen. Was man nicht einsehen kann, ist zehn Mal so schmerzhaft, weil man es nicht verstehen kann. Verlassen zu werden, das war für sie wie in ein schwarzes Loch zu fallen, gefangen in einem Leiden ohne jede Möglichkeit zu rationaler Analyse.
Ein entscheidendes Detail ist, dass diese Klientin in ihrem gegenwärtigen Leben einen Ehemann gewählt hatte, der viel reist. Jedes Mal, wenn der Mann aufbrach, brachten die beiden es fertig, einen schrecklichen Streit anzufangen, so dass jeder Aufbruch einen Beigeschmack von endgültiger Trennung hatte und die Frau erneut die Qualen des Verlassenwerdens wiedererlebte. Statt sich zu sagen: »Wir haben uns gestritten, weil ich es hasse, wenn er weggeht, aber immerhin kommt er ja in zwei Monaten wieder«, stattdessen verfiel sie in Verzweiflung, so wie jene Japanerin. Und das gleiche Drama spielte sich zwei Mal im Jahr aufs Neue ab.
Diese Tendenz, immer wieder die gleiche leidvolle Situation zu wiederholen, ist eine unmittelbare Folge der Dynamik der Samskaras. Die emotionale Wunde des Samskara ist zu schmerzhaft, sie kann nicht in einem neutralen, ruhigen Zustand bleiben. Sie schreit danach, geheilt zu werden. Die emotionale Ladung, die mit dem Samskara verbunden ist, ist so intensiv, dass sie so lange, wie man nicht daran arbeitet, dazu neigt, Umstände zu schaffen, in denen sie zum Ausdruck kommen kann. In vielen Fällen wird das dazu führen, dass man von einem Leben zum anderen immer wieder ähnliche Umstände wiederholt und durchspielt.
Nachdem wir jetzt gesehen haben, wie Samskaras dazu neigen, unser normales Bewusstsein mit emotionalen Reaktionen zu überlagern, führen wir jetzt einen zweiten wesentlichen Mechanismus ein. Samskaras neigen dazu, Sie Lebensumstände schaffen zu lassen, in denen sie sich manifestieren können. Sie vergrößern nicht nur ihre gegenwärtigen Schmerzen und Emotionen durch überlagerung, sie manipulieren Sie auch dahingehend, sich Schwierigkeiten zu schaffen, in denen die Emotionen wieder zum Tragen kommen können. Sie wirken so als verborgene Tendenzen, die Ihr Schicksal sehr stark beeinflussen.

2.4 Maya, Illusion

Bisher haben wir nur die »großen Tiere« im Dschungel der Samskaras betrachtet – die großen emotionalen Traumata, die durch dramatische Umstände und Ereignisse geschaffen wurden. Wenn wir ein klares Bild davon bekommen möchten, wie der Verstand funktioniert, müssen wir auch die vielen anderen kleinen Spuren von Erfahrungen in Betracht ziehen, die nicht so intensiv waren. Doch diese Spuren haben sich erhalten und stören fortwährend Ihre aktuelle Wahrnehmung der Welt.
Nehmen wir ein Beispiel. Sie kommen bei einem Freund oder einer Freundin in die Küche und da hängt ein bestimmter Geruch in der Luft. Sogleich erinnert dieser Geruch Sie an eine Küche, in der Sie einen Teil Ihrer Kindheit verbracht haben. In jener Küche schlief oft eine Katze unter dem Tisch, und eine alte Dame arbeitete darin. Erinnerungen aller Art kommen Ihnen in den Kopf. Wenn Sie sich in jener Küche wohl gefühlt haben, dann kommt auch das gute Gefühl zurück, wenn sie bei Ihrem Freund in die Küche kommen. Daher fühlen sie sich wohl und sagen vielleicht zu Ihrem Freund: »Ich mag deine Küche.«
Nehmen Sie jedoch nun einmal an, dass Sie sich bei der alten Dame extrem unwohl gefühlt haben, denn sie zwang Sie dazu, Artischocken zu essen, die Ihnen zuwider waren. Und an genau diesem Tag bereitet Ihr Freund zufällig Artischocken zu. Sie werden sich an die schlechten Gefühle erinnern – die Angst in der Brust, die Anspannung im Bauch. Sie fühlen sich nicht wirklich ängstlich und angespannt, doch die Erinnerungen sind sehr lebhaft und deutlich. übrigens haben Sie sich vollständig von der Küche Ihres Freundes abgespalten, während diese Erinnerungen in ihnen aufsteigen. Wenn der Freund derweil mit Ihnen spricht, ist es gut möglich, dass Sie ihn bitten müssen, zu wiederholen, was er gesagt hat. Sie sind von jener vergangenen Episode gewissermaßen entführt worden.
Bei diesem Beispiel hatten wir vorausgesetzt, dass Sie sich bewusst an die Episode erinnern können, durch die sich das Samskara eingeprägt hat. Nehmen Sie nun jedoch an, dass sie alles, was mit jener alten Dame und ihrer Küche zu tun hat, vollkommen vergessen haben. Dann wird wahrscheinlich etwas anderes geschehen. Sie kommen zu ihrem Freund in die Wohnung, die ganze Atmosphäre und der Geruch lösen eine unbewusste Verbindung mit der vergessenen Episode aus, woraus ein gewisses Unwohlsein folgt. Da ist so eine Angst in ihrer Brust und eine Anspannung in Ihrem Bauch, und Sie wissen nicht warum. Sie erinnern sich nicht an irgendwelche Einzelheiten der Küche jener alten Dame, da ist nur Ihr Unbehagen. Die emotionale Ladung der Vergangenheit überlagert sich Ihrem gegenwärtigen Bewusstsein, vermittelt durch den Geruch – doch Sie nehmen nichts davon wahr. Sie sind sich nur zweier Dinge bewusst – der Küche und Ihres Unwohlseins. So kann es gut sein, dass Sie denken »Ich mag die Schwingungen in diesem Haus nicht«, oder: »Ich fühle mich bei diesen Leuten nicht wohl«. Natürlich bleibt die Küche ganz und gar dieselbe, nur Ihre Wahrnehmung davon hat sich verändert. Daher ist Ihre Beurteilung vollkommen irrelevant und absurd. Doch alles das scheint Ihnen sehr »natürlich« und in »logischer« Weise in den Kopf zu kommen.
Während Sie in diesem Zustand der emotionalen Reaktion befangen sind, glauben Sie vielleicht, dass Sie die Küche Ihres Freundes sehen. Doch Sie machen sich ganz und gar etwas vor. Sie sehen Ihre Küche, voll mit unbewussten Projektionen von Artischocken–Gespenstern, und was Ihr Freund von seiner Küche sieht, ist vollkommen verschieden davon. Ihre Küche, die Küche für Sie, hat nichts mit der wirklichen Küche zu tun, sie ist nichts anders als eine Konstruktion Ihres Verstandes. In einem solchen Augenblick haben Sie keinerlei Verbindung zur Wirklichkeit, Sie leben in einer imaginären Welt wie in einem Käfig. Sie sind irgendwo, aber nicht im »Hier und Jetzt«. Ihr Urteil wird durch einen unsichtbaren Faktor beeinträchtigt, und jede größere Entscheidung, die Sie vielleicht in dieser Küche fällen müssen, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit verzerrt und wird Sie in die Irre führen.
Der nächste Schritt ist zu sehen, dass derartige überlagerungsvorgänge fortwährend stattfinden, nicht nur den Tag hindurch, sondern sogar in Ihren Träumen. Ein einfaches Beispiel für die überlagerung, das viele Menschen bewusst erleben, ist das von Liedern oder Musikstücken, die sie in einer bestimmten Periode ihres Lebens oft gehört haben. Wenn sie Jahre später die gleiche Musik wieder hören, dann kommt ihnen der »Geschmack«, die Atmosphäre und die Gefühle dieser bestimmten Periode unmittelbar wieder ins Bewusstsein.
Ob Sie sich dessen bewusst sind oder nicht, die Situation ist so, dass unzählige ähnliche Erinnerungen fortwährend Ihre Wahrnehmung der Welt einfärben. Oft genug werden mehrere Samskaras gleichzeitig ausgelöst, wobei jedes sein eigenes Bündel von Emotionen und Eindrücken mitbringt, was zur Verwirrung beiträgt. Stellen Sie sich Ihren Freund in seiner Küche vor, wie er das Lied spielt, das Sie vor zehn Jahren immer gehört haben, als Sie an gebrochenem Herzen litten, oder als Sie vielleicht die beste Nachricht Ihres Lebens erhalten haben ... was für ein Durcheinander! Viele kleinere Samskaras sind nicht mit einer klaren Emotion verbunden, sondern nur mit einem gewissen Gefühl der Unwohlseins oder auch der Hochstimmung. Wenn sie aktiviert werden, fügen sie durch überlagerung nur ein kleines Stück Anziehungskraft oder Widerwillen hinzu, eine ununterscheidbare Einfärbung, die zu Ihrer gegenwärtigen Wahrnehmung hinzukommt.
Wenn wir die ganzen Einflüsse der Riesen–Samskaras, der mittelgroßen und der winzigen zusammennehmen, dann bekommen wir ein Bild davon, was maya, Illusion ist. Es ist durchaus nicht nötig, die physische Wirklichkeit der Welt zu leugnen, um doch zu dem Schluss zu kommen, dass wir in einer kompletten maya, einer Illusion, leben. Ob das Universum wirklich ist oder nicht, ist auf dieser Ebene kein Problem – denn wir leben nicht im Universum, sondern in der Welt unserer Samskaras. Wir sehen nie die Küche unseres Freundes, genauso wenig wie die Küche von sonst irgendjemand; wir nehmen nur eine unklare und fremdartige Mischung von dem Raum selbst und unseren eigenen Projektionen auf. Wir sehen nie den Baum an der Ecke, weil er uns wie ein anderer Baum vorkommt, in den wir vor einigen Jahren hineingerannt sind, und eine unbewusste Spannung tritt jedes Mal auf, wenn wir ihm nahe kommen. Wie sehen nie unsere Freunde so, wie sie wirklich sind, weil die Art, wie sie sprechen, die Art, wie sie sich kleiden, die Art, wie sie sich darstellen, bei uns Knöpfchen drückt und uns Eindrücke und Bilder auf sie projizieren lässt. Diese Eindrücke haben mehr mit unserem Vorrat an Samskaras zu tun als damit, wer oder wie unsere Freunde wirklich sind. Zwischen unseren bewussten Erinnerungen und den unbewussten überlagerungen sehen wir die Welt nicht, wir träumen sie.
Hinduistische Meister betonen gern den dramatischen Charakter dieser Situation. Wir verbringen unsere Zeit damit, uns über die Dramen in unserem Leben aufzuregen, doch alle diese Dramen sind nur Kleinigkeiten verglichen mit der Tragödie, permanent in einer durch Samskaras erzeugten Wolke von Illusion isoliert zu sein – in einem regelrechten Käfig. Wir sehen nie die Welt, wir können nur unsere Welt sehen, die voll von den Geistern unserer Vergangenheit ist. Wir sind abgeschnitten von der Wirklichkeit, leben in einer Wolke, und wir haben noch nicht einmal den Verdacht, dass es so sein könnte. Gleich von Anfang an sollte man klarstellen, dass der wirkliche Zweck einer echten Rückführungsarbeit darin besteht, diese Wolke der Illusion nach und nach aufzulösen, nicht aber darin, sich den Geschichten aus unserer Vergangenheit hinzugeben.

2.5 Vorlieben und Abneigungen

Wenn Sie danach streben, Ihr Selbst zu finden, ist es immer wertvoll, darüber nachzudenken, was sich denn in Ihnen zentral und wesentlich anfühlt – so anfühlt wie der Kern Ihres Selbst. In dieser Hinsicht ist es interessant, sich die Wurzeln Ihrer Vorlieben und Abneigungen anzusehen. Tatsächlich neigen viele Leute dazu, ihre Geschmacksurteile und das, wovon sie sich speziell angezogen fühlen, als einen recht zentralen Teil ihrer Persönlichkeit zu betrachten. Manche Menschen haben eine gewissen Affinität zu einer bestimmten Farbe zum Beispiel, und wählen sie daher für alle ihre Kleidungsstücke. Wenn sie in einen Raum kommen, dessen Wände die gleiche Farbe haben, dann fühlen sie sogleich: »Das ist meine Farbe, das ist ein Ort für mich.« Ob es mit Farben zu tun hat, mit Nahrungsmitteln oder irgendetwas anderem, Leute denken oft an ihre Vorlieben und Abneigungen, wenn sie versuchen, sich selbst zu definieren, zu erfassen, was ihr »Selbst« im Gegensatz zu dem ist, was »nicht sie selbst« an ihnen ist.

Fallstudie – fünfundzwanzigjähriger Mann
Was fühlen Sie jetzt? – Schmerz, Schmerz, Schmerz... immerfort Schmerz. Er hört nie auf.
Wie fühlt sich Ihr Körper an, groß oder klein? – Groß. Es ist ein großer Mann. Er hat breite Schultern. [Er lacht:] Ich fühle mich wie ein Winzling im Vergleich zu ihm. [Dann wird der Schmerz schlimmer und der junge Mann schreit fast.] Das hört nie auf, das hört nie auf!
Fühlt es sich an, als seien Sie drinnen, oder eher draußen? – Drinnen. Es ist dunkel. Es ist unterirdisch. Es ist ein kleiner Raum und es ist kalt. Schmerz, Schmerz, Schmerz ... sie foltern mich und es hört nie auf.
Was für eine Emotion ist dabei? – Hass. Wenn ich bloß von diesem Tisch wegkäme, würde ich diese drei da töten, da könnte mich nichts aufhalten, gar nichts. Aber ich bin fest angekettet, und es geht immer weiter. Einer von ihren rezitiert Verse auf Latein. [Er schreit:] Sie schneiden in meine Brust!
Diesen Hass, haben Sie den je in ihrem gegenwärtigen Leben gespürt? – Ja, ganz unerklärlicherweise habe ich immer Latein gehasst! Als ich in der Schule war, hatte ich diesen leidenschaftlichen Hass auf das Lateinische, ohne jeden wirklichen Grund. Ich empfand solche Verachtung für meine Lateinlehrerin, ich habe ständig versucht, fies zu ihr zu sein... Es ist aber nicht das Latein, es sind sie! Ich könnte sie umbringen, und auch den anderen Heuchler, der seine lateinischen Verse zitiert, während sie mich foltern. Oh! Gott! Oh Gott! Es ist mir, als würde ich mich Gott zuwenden, mit aller Kraft, die ich noch habe. Oh Gott! Hört das denn niemals auf?
[Die Qualität der Energie im Raum verändert sich, als ob ein Engel erschienen wäre; der Klient kann kaum sprechen.] – Da ist ein weißes Licht, das herunterkommt. Es ist gewaltig. Ich bin raus. Ich bin nicht mehr in meinem Körper. Ich kann von oben sehen, was sie mit meinem Körper anstellen wollen. Es kommt nicht mehr darauf an. Jetzt ist nur noch das Licht da.

Ein Rückführungsprozess läd Sie dazu ein, viele Ihrer Vorlieben und Abneigungen neu zu bedenken, und zu entdecken, ob sie mit den wirklichen Strebungen Ihres Höheren Selbst zu tun haben oder ob sie nichts anders sind als das mechanische Resultat von Samskaras. In dieser Weise kann Rückführung als ein Weg zum Abbau von Konditionierungen betrachtet werden.
Man muss jedoch betonen, dass dieser Weg wenig oder gar nichts mit einer »Absage an Ihre Begierden« zu tun hat. Wenn Menschen versuchen, ihre Wünsche und Begierden hinter sich zu lassen, dann endet es in der Mehrzahl der Fälle damit, dass sie sie unterdrücken. Schon von der logischen Struktur her ist etwas falsch daran, wenn man versucht, sich darauf zu konditionieren, ein Bedürfnis nicht zu haben. Vorausgesetzt, der Wunsch rührt selbst von der Konditionierung durch ein Samskara her, dann kann es einen nicht zufrieden stellen, wenn man versucht, noch eine weitere Konditionierung draufzusetzen. Das Ziel von IST ist die Auflösung von Konditionierungen. Das einzige, was IST von ihnen zu tun fordert, ist dass Sie systematisch nach den Quellen und Ursprüngen ihrer Reaktionen suchen, ihre Vorlieben und Abneigungen eingeschlossen. Es mag scheinen, dass eine Anzahl von Vorlieben und Abneigungen offensichtlich das Resultat des Einflusses von Samskaras sind, und in diesem Fall werden sie von selbst hinfällig, sobald einmal das Samskara gelöst ist. Das geschieht von selbst und hat nichts Schmerzhaftes an sich. Es hat mehr etwas davon, eine Last loszuwerden, als von irgendetwas anderem. Das Endresultat des Prozesses ist kein farbloser, wunschloser Zustand, sondern ein reifer Zustand, in dem die eigene echte Spontaneität zum Vorschein gekommen ist und man jenseits alles Konditionierungen seine wahren Ziele gefunden hat.

Fallstudie – dreiundvierzigjährige Frau
Was können Sie jetzt wahrnehmen? – Sie werden ihn töten. Sie haben ihn weggebracht. Es bricht mir das Herz. Ich hatte noch nicht einmal Zeit, diesem Mann zu sagen, wie sehr ich ihn geliebt habe. Und jetzt ist es zu spät. Er wird morgen hingerichtet, und niemand kann etwas daran ändern. Ich werde ihn nie wieder sehen... [eine Welle von Verzweiflung].
Gibt es irgendeinen Zusammenhang zwischen dieser Episode und einem Ereignis in Ihrem gegenwärtige Leben? – Ich habe mich einmal ganz wild in einen Mann verliebt, der genau solche Augen hatte. Es war eine unmögliche Situation. Er war verheiratet und ich war verheiratet. Monatelang ging er mir nicht aus dem Kopf. Ich hatte das selbe Gefühl von einem gebrochenen Herzen. Ich habe ein Jahr gebraucht, um darüber hinwegzukommen.

Es ist wichtig zu verstehen, dass man nicht notwendig daraus schließen kann, dass sie sich in einem früheren Leben bereits begegnet sind, wenn so eine »Liebe auf den ersten Blick« zwischen Menschen aufkommt. Man kann diesen Punkt gar nicht genug betonen, denn er kann einige romantische Seelen davor bewahren, riesige Fehler zu begehen und sie durch die Rückführungsprozesse zu rechtfertigen.
Erinnern Sie sich an den phantastischen Computer aus Per Anhalter durch die Galaxis? Man gibt dem Computer die Entscheidung ein, die man gefällt hat, und er präsentiert einem sofort eine Liste von brillianten Gründen, die beweisen, dass diese Entscheidung die einzig sinnvolle war. Interessanterweise versuchen manche Menschen genau das Gleiche mit dem Rückführungsprozess zu machen. Sie haben sich bereits entschlossen, eine neue Beziehung einzugehen oder ihren Partner zu verlassen, und sie versuchen im Rückführungsprozess einen Grund aus einem vergangenen Leben zu finden, der sie in ihrer Entscheidung bestätigen soll. Sie möchten glauben, dass das Schicksal seine Hand im Spiel hat, statt dass sie zu ihrer eigenen Entscheidung stehen. Sie möchten, dass beim Rückführungsprozess herauskommt, dass ihr neuer Partner eine verwandte Seele ist, mit der oder dem sie schon in einem früheren Leben zusammen waren. Vorausgesetzt jedoch, der Verbinder ist nicht bereit, sie einzulullen wie der Computer aus dem Roman, so finden diese Leute für gewöhnlich etwas ganz anders heraus.
Es gibt Verbindungen, die von früheren Leben herrühren, aber sie manifestieren sich nicht zwangsläufig in Form einer magnetischen Anziehungskraft. Tatsächlich hat es in den meisten Fällen nichts mit einer Verbindung in einem früheren Leben zu tun, wenn eine so starke Anziehung empfunden wird. Wenn wir an das letzte Fallbeispiel denken, was finden wir da? Die Klientin hat einen Mann getroffen, der ähnliche Augen hatte wie jemand, den sie in einem früheren Leben leidenschaftlich geliebt hat. Das, zusammen mit ein paar weiteren ähnlichkeiten, hat ein großes Samskara ausgelöst, das den Schmerz wieder aktivierte, den sie gefühlt hatte, als sie in jenem früheren Leben den anderen Mann verloren hat. Man muss damit sehr sorgfältig umgehen. Die Intensität der Emotion deutet lediglich darauf hin, dass ein großes Samskara ausgelöst worden ist, sie ist für sich noch keinerlei Zeichen einer Verbindung in einem früheren Leben. Je lauter die Emotion sich in Ihrem Gemüt aufführt, umso wahrscheinlicher ist es für gewöhnlich, dass sie ihre Wurzel in einem Samsakara hat.
Es mag schmerzhaft sein zu erkennen, dass die gleiche leidenschaftliche Anziehung auch jeder andere Person gegenüber gespürt werden könnte, die aus dem einen oder anderen Grund zufällig das gleiche Samskara auslöst. Diese Erkenntnis könnte Ihnen jedoch eine Menge Zeit und Verwirrung sparen, denn Beziehungen, die auf Samskaras aufgebaut sind, sind bei weitem nicht die erfüllendsten oder die haltbarsten. Man kann die Schicht der Samskaras mit einem Kaleidoskop vergleichen. Ihre Polaritäten, Anziehungen und Abstoßungen sind fortwährend in Bewegung und wechseln unter dem Einfluss von unzähligen irrationalen Mikro–Faktoren.
Lassen Sie mich klarstellen, dass ich nicht behaupte, dass Menschen sich nur ihrer Samskaras wegen verlieben – genau wie die Rückführung nicht behauptet, dass alle affektiven Ereignisse, alle Wellen von Emotion in einem Menschen nur den Samskaras geschuldet wären. Die Rückführung lehrt uns, dass wir manipuliert werden, wenn ein Samskara aktiviert wird. Wir mögen glauben, dass wir unsere Entscheidungen aus freiem Willen heraus treffen, doch in Wirklichkeit ist es das Samskara, das uns in die eine oder andere Richtung drängt. Es ist nichts anderes als eine fertig vorliegende Reaktion – eine Konditionierung, die ausgelöst wird und die uns zwingt, uns in eine bestimmte Richtung zu bewegen – solange wir nicht mitkriegen, was sich da abspielt. Früher oder später dreht sich das Kaleidoskop dann ein wenig und die Anziehung fällt fort. Wir kommen dazu, dass wir nicht verstehen, was wir mit solch einem Partner zu schaffen haben, oder in solch einem Beruf, oder in was auch immer für einer Situation, in die wir uns unter der magischen Kraft des Samskaras gebracht haben.




Kapitel 3

Emotionen versus Gefühle

3.1 Die Liebe der Katze und die Liebe Christi

Im Englischen (wie auch im Deutschen) kann das Wort »Liebe« in ganz verschiedenen Zusammenhängen gebraucht werden. Wenn zum Beispiel die Katze kommt und schmeichelt, bevor sie gefüttert wird, dann sagt man ganz leicht, dass die Katze einen liebt. Wenn Sie sensibel genug sind, dass Sie mit Katzen sprechen können, dann können sie sogar die Katze flüstern hören: »Ich liebe dich. Du bist so jemand Nettes. Du bist so klug, für einen Menschen.« Offensichtlich liebt die Katze Sie.
Das gleiche Wort »Liebe« wird auch verwendet, um das zu bezeichnen, was von Christus ausgeht, oder was von erleuchteten Meistern ausgeht, wenn sie sich ganz einem Schüler zuwenden. Einige dieser Meister haben eine unglaubliche Fähigkeit zu lieben. Liebe strahlt von ihnen mit einer atemberaubenden Kraft aus, so dass man es physisch fühlen kann. In ihrer Nähe ist es, als ob man in einem Ozean voll Süßigkeit und Wärme baden würde. Alle Sorge, Enttäuschung und Heftigkeit in Ihnen wird aufgeweicht und gelöst. Offensichtlich liebt Ihr Meister Sie.
Nun sind aber die Liebe der Katze und die Liebe Christi von einer ganz unterschiedlichen Größenordnung. Werfen Sie zum Beispiel die Katze aus dem Haus, anstatt sie zu füttern – sogleich hört die Katze auf, Sie zu lieben. Sie faucht. Wenn Sie ihre Sprache verstehen, dann hören Sie etwas ähnliches wie »Ich hasse dich! Früher oder später bringe ich dich um!« Wenn Sie dagegen Christus aus Ihrem Haus werfen, dann ändert das überhaupt nichts an seiner Liebe. Die Liebe Christi hängt nicht von Ihrer Erwiderung ab. Sie ist bedingungslos. Sie ereignet sich auf einer völlig anderen Ebene gegenüber den an Bedingungen geknüpften Zeichen der Zuneigung, die die Katze Ihnen gibt. Dennoch gebrauchen wir das gleiche Wort für die Katze wie für Christus.
In gleicher Weise wird das Wort »Emotionen« benutzt, um psychologische Strebungen oder Kräfte ganz unterschiedlicher Wesensart zu bezeichnen. Dies betrifft nicht nur das Englische, sondern die modernen Sprachen im Allgemeinen. Der ärger eines Autofahrers, der im Stau steckt, die Lust oder Eifersucht eines Liebhabers, die Furcht vor dem Tode, die Angst, die man vor einer Prüfung hat, die Anteilnahme eines erleuchteten Buddha, der ärger eines kleinen Kindes, die ästhetischen Gefühle, die beim Anblick einer schönen Landschaft entstehen, die erhabene innere Bewegtheit eines Heiligen in seiner Vereinigung mit Gott – all das wird mit dem gleichen Wort »Emotion« bezeichnet, ungeachtet der Tatsache, dass sie sich in ganz unterschiedlichen Sphären unseres Selbst vollziehen. Man sieht daran, dass in unserer Welt, was Emotionen angeht, eine ungeheure Verwirrung entstanden ist.

3.2 Emotionen und Samskaras

Ein großes Geheimnis der Weisheit ist: Um etwas zu erkennen, finde seinen Ursprung. Das kann auf eine ganze Reihe von spirituellen Geheimnissen angewandt werden, darunter auch auf unser gegenwärtiges Thema. Um zwischen den verschiedenen Arten von Emotionen unterscheiden lernen zu können, ist es wesentlich, ihre Ursprünge zu finden. Unterschiedliche Emotionen entstammen unterschiedlichen Teilen Ihres Selbst, was Ihnen Hinweise darauf geben kann, was man mit ihnen tun sollte.
Eines der grundsätzlichen Kennzeichen der Samskaras ist, dass sie Emotionen auslösen. Ein traumatischer Eindruck, oder ein Samskara, wird von einer Erlebnis hinterlassen. Wenn eine (sinn–)verwandte Erfahrung gemacht wird, wird wiederum eine Emotion ausgelöst. So haben Sie zum Beispiel einen schlimmen Autounfall irgendwo in der Stadt gehabt. Jedes Mal, wenn Sie an diesem Ort vorbeifahren, steigt eine Emotion in Ihnen auf. Die dramatischen Umstände des Unfalls werden erinnert und eine Reaktion findet statt. Sie spüren Furcht, Angst, oder ein gewisses Unwohlsein. Drei Elemente können an dieser situationsbedingten Emotion unterschieden werden:


  • der Reiz / Auslöser (am bestimmten, gleichen Ort vorbeikommen)
  • das Samskara (der emotionale Eindruck, den der Unfall hinterlassen hat)
  • die emotionale Reaktion (Angst, Unwohlsein)
  • Wir können den Ablauf so zusammenfassen:
  • Reiz – Samskara – emotionale Reaktion

Der Reiz löst das Samskara aus, und eine emotionale Reaktion findet statt. Zumindest gibt es kaum einen Zweifel, was das Wesen dieser Emotion betrifft: sie rührt von Konditionierung her. Die Emotion ist wie eine eingeschliffene Routine des Verstandes, sie ist hochgradig vorhersagbar. Jedes Mal, wenn Sie an diesem Ort vorbeifahren, spielt der reagierende Verstand seine einmal aufgenommene Botschaft ab wie ein Tonband. Es wird nicht schwer fallen, die Analyse dieses Mechanismus auf Ihr eigenes Leben zu übertragen und einen ganzen Bereich ähnlicher Emotionen zu finden, die zu bestimmten traumatischen Ereignissen zurückverfolgt werden können.
Diese Art von Emotionen wird Ihnen keine innere Klarheit bringen. Man kann sie eher mit einer falschen chemischen Reaktion vergleichen, die jedes Mal stattfindet, sobald das Samskara ausgelöst wird. Es hat etwas Krankhaftes an sich. Es ist wie eine Wunde, die nach Heilung verlangt. Außerdem rührt es offensichtlich nicht aus der Spontaneität Ihrer Seele her; es ist reine Konditionierung. Die emotionale Reaktion entspringt nicht aus Ihrem wahren Selbst. Es ist nichts anderes als eine einmal aufgezeichnete Botschaft, die jedes Mal wiederholt wird, wenn der passende Reiz auftritt.
Das Problem liegt darin, dass Sie häufig kein Bewusstsein von den Mechanismen haben, die in Ihnen ablaufen. Neunundneunzig Prozent der Zeit übersehen Sie sie vollständig. Erinnern Sie sich an die Beispiele von Samskaras, die in den letzten Kapiteln behandelt wurden. Erst, als die Klienten durch den Ergründungsprozess der Rückführung hindurchgegangen waren, konnten sie sehen, dass ihre Emotionen ihren Ursprung in Samskaras hatten. Wenn Sie jegliche bewusste Erinnerung an das Samskara verloren haben, ist es äußerst wahrscheinlich, dass sie den Zusammenhang übersehen werden. Eine Emotion platzt, von einem Reiz ausgelöst, in ihr Bewusstsein hinein und der gleiche Prozess findet wieder statt:

Reiz > Samskara > Emotion

Wenn jedoch das Samskara in den Tiefen Ihres Unbewussten begraben liegt, was nehmen Sie dann wahr? Den Reiz, die Emotion, und sonst nichts. Soweit es Ihre Wahrnehmung betrifft, ist die Abfolge verkürzt zu

Reiz > Emotion

So sagt etwa jemand ein paar Worte zu Ihnen und Sie haben unmittelbar darauf als Worte oder Gedanken die Reaktion »Ich mag diesen Menschen« oder »Dieser Mensch ist dumm«, je nach dem Inhalt dieses Reizes. Oder Sie fahren Auto und hören den Fahrer hinter sich hupen, und dann hören Sie sich selbst mit einem Schimpfwort antworten. Doch das vermittelnde Element – das wesentliche Verbindungsglied – wird übersehen. Sie sind sich überhaupt nicht des Samskara bewusst, das Sie auf den Reiz reagieren lässt. Sie sind quasi ausgetrickst worden. Sie denken vielleicht: »Ich habe reagiert«, doch in Wahrheit ist nichts von Ihnen selbst in dieser Reaktion. Es ist einfach wieder eine einmal aufgezeichnete Ansage, die automatisch abgespielt wird, sobald das entsprechende Knöpfchen gedrückt wird.
Dehnen Sie dieses Modell auf die Myriaden von Samskaras aus, die in Ihrem Verstand verborgen sind: auf die, die Sie kennen, und ebenso auf die, von denen Sie noch nicht einmal wissen, dass es sie gibt, und die doch immer noch aktiv sind. So wird es offenbar, dass ein Großteil der Emotionen in allen Bezügen Ihres Lebens, von den geringfügigsten bis hin zu den intensivsten, mit der Abfolge von Reiz – Samskara – Emotion in Verbindung gebracht werden können. Dieses Muster ist zu mechanisch, zu marionettenhaft, um das Streben des Geistes befriedigen zu können. Und doch ist es eine bittere Wahrheit, dass die meisten Ihrer Emotionen Reaktionen auf einen Reiz sind, der ein Samskara irgendeiner Art auslöst.
Die meisten, doch nicht alle. Von Zeit zu Zeit leuchtet ein Licht im Herzen auf, und man erfährt eine »andere Wellenlänge des Seins«. Eine Emotion tritt auf, die nicht der schreiende Ausdruck eines dringlichen Bedürfnisses ist und die nicht mechanisch von einem Samskara angetrieben wird.
Bei einer ernsthaften Suche nach Freiheit muss ein Teil der Arbeit auf den Abbau von Konditionierungen verwandt werden. Ihre Spontaneität wieder zu entdecken schließt ein, dass Sie das Sein von der Fassade trennen können, wahre Emotionen von konditionierten Emotionen, und den Ausdruck Ihres Selbst von den Reaktionen, die von Samskaras herrühren.

3.3 Emotionen versus Gefühle

Auf dieser Stufe ist es notwendig, zwei verschiedene Worte für Emotionen zu definieren: eins für die, die man mit der Zuneigung der Katze vergleichen kann, und eines für die, die mit der bedingungslosen Liebe Christi verwandt ist. Die bedingten Emotionen werde ich weiterhin mit dem Wort »Emotion« bezeichnen. Für die unbedingten werde ich das Wort »Gefühle« benutzen.
Man hätte auch andere Worte wählen können. Doch die Etymologie des Wortes »Emotion« passt recht gut zu dem Gebrauch, den ich hier vorschlage. »Motion« / »motio« bedeutet Bewegung. Die Vorsilbe »e–« ist eine Kurzform von »ex–«, was eine Bewegung nach außen hin bezeichnet, wie in dem Wort »Expedition«. »E–motion« bedeutet eine Bewegung nach außen, und Emotionen lassen einen typischerweise »außer sich« sein. Sie kommen aus der Schicht der Samskaras und nicht aus dem Selbst. Sie lassen Sie in einer Art reagieren, an der Ihr Selbst nicht beteiligt ist, sondern die einfach nur eine mechanische Reaktion in der Schicht der Samskaras (dem Astralkörper) darstellt. Emotionen entfernen Sie weit von Ihrer wahren Natur.
Der Begriff »Gefühl« hat den Vorteil, dass er sowohl von Rudolf Steiner wie den hinduistischen Meistern der Veden mit der gleichen Bedeutung eines »Wissens durch Identität«, durch Einheit von Subjekt und Objekt des Erkenntnisprozesses gebraucht wird, wie im nächsten Kapitel näher ausgeführt wird. So stimmt also unsere Begrifflichkeit mit so vielen Quellen und Traditionen wie möglich zusammen.

3.4 Emotion und Reaktion

Ein wesentliches Kriterium, um eine Emotion von einem Gefühl unterscheiden zu können, liegt darin, dass eine Emotion eine Reaktion ist, was bei einem Gefühl nicht der Fall ist. Aus dieser Perspektive sind die Ausdrücke »Emotion« und »emotionale Reaktion« gleich bedeutend.
Das Wort »Reaktion« ist ausgesprochen angemessen, denn es wird auch im Bereich der Chemie und Physik verwendet und verweist so auf das mechanische Funktionieren der Welt. Denken Sie an eine chemische Reaktion. Werfen Sie beispielsweise ein Stückchen Natrium in Wasser, und sie bekommen eine Explosion. Oder mischen Sie Salzsäure und Salmiakgeist, und es entstehen beeindruckende weiße Dunstschwaden. Eine bestimmte Kombination physischer Ursachen führt immer wieder zum gleichen Effekt.
Auch wenn Emotionen wegen der Beweglichkeit und Ungreifbarkeit des psychologischen Bereichs komplexer erscheinen, so können sie doch auf ein gleichartiges Muster zurückgeführt werden. Ein Reiz kommt aus der Außenwelt, er löst ein Samskara aus, und eine emotionale Reaktion erfolgt automatisch. In der Zeit des kalten Krieges etwa wurden manche Menschen sehr ärgerlich, wenn sie das Wort »Kommunismus« hörten. Es funktionierte wie ein Zauberspruch zuverlässig jedes Mal, wenn man das Wort in ihrer Gegenwart aussprach. Andere Menschen wiederum wurden sehr ärgerlich, wenn sie das Wort »Antikommunismus« hörten, und mit der gleichen Zuverlässigkeit. Selbst wenn sie ihre Emotion nicht nach außen hin zeigten, konnte man sehen, dass etwas in ihnen reagierte. Sie hielten sich für ganz verschieden von den Menschen der erstgenannten Gruppe, doch wenn man es hinsichtlich der Samskaras betrachtet, bestand da wirklich ein so großer Unterschied?
Emotionen sind nicht nur mechanisch, sondern auch »physiologisch« und sogar »chemisch«. Man kann das durch ein einfaches, aber schlagendes Experiment illustrieren – borgen Sie sich ein Stethoskop, und hören Sie Ihre Eingeweide ab. Halten Sie das flache Ende des Stethoskops, die Hörmuschel, auf die Haut, irgendwo in der Nähe des Nabels oder in der rechten Darmbeingegend. Hören Sie sich die natürlichen Geräusche an, die von der unaufhörlichen Bewegung Ihres Verdauungstrakts herrühren. Als Nächstes denken Sie an etwas Unerfreuliches, vielleicht an jemanden, den Sie nicht mögen, oder an etwas, was Ihnen Angst macht, oder an etwas, das Unwohlsein bei Ihnen auslöst. Augenblicklich verändern sich die Geräusche Ihrer Eingeweide! Wenn sich Ihr Ohr an das Hören mittels des Stethoskops gewöhnt hat, werden sie erkennen, dass die Veränderung alles andere als geringfügig ist. Der Klang wird plötzlich viel gröber und rauer, unglaublich disharmonisch. Offensichtlich reicht dieser kleine unangenehme Gedanke aus, das Funktionieren in Ihrem Bauch vollkommen zu verändern, die Bewegung seiner Muskelfasern, und infolgedessen auch die Chemie des Verdauungsprozesses. Hören Sie es sich selbst an! Wie kann eine ordentliche Verdauung solche Geräusche machen? Sie werden ganz leicht zu dem Schluss kommen, dass die Redensart »von seinen eigenen Emotionen vergiftet« auf eine Art buchstäblich wahr ist.


3.5 Emotionen können sich immer in ihr Gegenteil verwandeln

Ein großer Nachteil von Emotionen besteht darin, dass ihr Zauber vorübergehend und wechselhaft ist. Wenn Sie sich zu einer bestimmten Person oder zu einem bestimmten Berufsziel aufgrund des Windes eines Samskaras hingezogen gefühlt haben, so ist es ziemlich wahrscheinlich, dass sie früher oder später ihren Reiz verlieren, Sie das Interesse daran verlieren und sich von etwas anderem angezogen fühlen werden. Ein neuer Reiz wird ein anderes Samskara auslösen, und alle früheren Entschlüsse werden hinfällig. Samskaras wirken in ihrem Verstand wie ein Kaleidoskop. Eine kleine Bewegung genügt, und schon erscheint eine völlig verschiedene Konfiguration. Die Welt war grün, und plötzlich sieht sie rosa aus. In Wirklichkeit hat sich die Welt überhaupt nicht verändert, doch es dauert nur einen Sekundenbruchteil, bis Sie sie völlig neu sehen, wenn Sie durch die Kaleidoskopbrille der Samskaras schauen.
Ein guter Weg dazu herauszufinden, ob Ihre Liebe mit Emotionen oder Gefühlen zu tun hat, ist sich selbst zu fragen, was geschehen würde, wenn Sie abgelehnt oder betrogen würden. Eine Liebe, die Emotion ist, kann sich leicht in ihr Gegenteil verwandeln. Binnen einer Sekunde »siehst du deinen Freund als ein schmutziges Schwein, als eine Kutsche voller Teufel«. [10] Wenn Ihre Liebe in einem Gefühl gegründet ist, dann wird sie durch eine negative Reaktion der geliebten Person nicht zu Ende kommen. Das ist ein bitteres Kriterium, doch wenn es aufrichtig angewandt wird, kann es Ihnen eine Menge Selbstbetrug und vergebliche Bemühungen ersparen.

[10 I Ging, Hexagramm 38, Opposition, sechste, bewegliche, Linie.]

3.6 Die tausend Masken der Emotionen

Ärger, Wut, Enttäuschung, Reizbarkeit, Verzweiflung, Traurigkeit, Depression – alles dies kann man als Emotionen bezeichnen. Niemand wird sich über ein System beschweren, das Ihnen erlaubt, sie loszuwerden. Später mag es so erscheinen, als hingen Sie tatsächlich viel stärker an diesen Emotionen, als Sie anfangs dachten, es mag sich sogar herausstellen, dass Sie sie in der Tat hüten wie einen Schatz. Doch was für Verwirrungen Sie auch immer durchzumachen haben mögen, der Intellekt zumindest ist nicht schockiert von der Aussicht, ärger oder Depressionen loszuwerden.
Wenn Sie jedoch anfangen, Ihre Reaktionen in systematischer Weise zu betrachten, dann wird es Ihnen klar werden, dass das Muster »Reiz – Samskara – Emotion« nicht nur für ärger und Depression zutrifft, sondern auch für eine Reihe von so genannten »positiven Gefühlen«. In vielen Fällen, wenn Sie Liebe zeigen, Zuwendung, Mitleid oder verschiedene Formen moralischen Verhaltens, so ist die gleiche Abfolge, der gleiche Mechanismus im Spiel.
Um es einfach auszudrücken, so erkennen Sie, dass die meiste Zeit über Ihre Liebe ähnlich ist wie die Liebe der Katze. Sie geben, solange man Sie füttert. Natürlich verlangen Sie nicht nach genau den gleichen Dingen wie die Katze. Sie möchten hören, dass Sie schön sind, oder irgendetwas Entsprechendes, das Sie tröstet und Sie sich sicher fühlen lässt. Doch das Grundmuster ist das Gleiche – wenn man Sie rauswirft, dann ändert sich ihre Emotion sogleich, und verwandelt sich vielleicht sogar in ihr Gegenteil.
Diese Erkenntnis ist eine Herausforderung. Sie ruft eindeutig nach einer Neuordnung der Werte. Wenn »gute« Handlungen der marionettenhaften Ebene der Samskaras entspringen können, was ist dann wahrhaft gut oder schlecht? Ein schaler Geschmack von den moralischen Klischees über gut und böse kommt auf. Diese Begriffe erweisen sich als unangemessen, um die Wirklichkeit der Emotionen und Gefühle zu erfassen.



Kapitel 4

Der Kausalmechanismus von Emotionen und Gefühlen

4.1 Emotionen und Denkprozesse

Die Unterscheidung, die wir zwischen Emotionen und Gefühlen getroffen haben, kann auch auf verschiedene Formen von Gedanken angewandt werden. Viele Gedanken sind mit Emotionen in dem Sinne verwandt, dass sie nichts anderes als Reaktionen darstellen. Wenn wir diesen Punkt richtig verstehen, werden wir zu einer umfassenderen Definition der Emotionen kommen.
Versuchen Sie das folgende Experiment. Setzen Sie sich ruhig hin und beginnen Sie, Ihre Gedanken zu beobachten. Versuchen Sie nicht, sie anzuhalten. Werden Sie sich ihrer nur bewusst, während sie in Ihrem Verstand entstehen. Dies ist an und für sich schon eine bedeutsame Meditationstechnik. Zu Anfang können Sie nicht viel unterscheiden, weil der Verstand zu schnell arbeitet; die Gedanken folgen ohne Unterbrechung aufeinander, und das führt dazu, dass Sie nachdenken, anstatt zu meditieren. Indem Sie jedoch weiterhin üben, tendiert der Verstand dazu, langsamer zu werden, und Sie werden fähig, jeden einzelnen Gedanken für sich wahrzunehmen, während er im Feld des Bewusstseins auftaucht. An diesem Punkt können Sie eine wesentliche Beobachtung machen. Wenn Sie die einzelnen Gedanken ohne jede Art von Reaktion betrachten können, dann schwinden sie dahin. Dann kommt ein anderer Gedanke auf. Wiederholen Sie den Prozess. Sehen Sie ihn sich an, ohne darauf zu reagieren, und der Gedanke verschwindet. Wenn Sie diese Haltung des »Beobachtens ohne zu reagieren« beibehalten könnten, dann hätte Sie Ihren Seelenfrieden auf Dauer hergestellt, denn die Gedanken wären nur noch wie Vögel, die im Hintergrund einer Landschaft fliegen. [11] Sie würden Sie nicht viel stören und sie würden keine Spur in Ihrem Verstand hinterlassen.

[11 Ein Vergleich, der von Sri Aurobindo stammt.]

Doch so ist es nicht. Jedes Mal, wenn ein Gedanke oder eine Wahrnehmung auftritt, ist es die Tendenz des Verstands, sie zu ergreifen, sie festzuhalten und einen weiteren Gedanken durch irgendeinen Assoziationsmechanismus an sie anzuhängen. Zum Beispiel hören Sie ein Geräusch, das von Kühlschrank her kommt, und der Verstand sagt: »Der Kühlschrank ist leer«. Dann macht er weiter mit »Brünnhilde kommt zum Mittagessen« und »ich muss einkaufen gehen«, »aber erst muss ich zur Bank«, und so weiter. Oder sie denken an Ihren Freund Victor, und der Verstand setzt das fort mit »Er ist nicht so nett wie Zacharias«, und dann »Zacharias schuldet mir noch Geld«, und »Wie könnte ich ihn höflich daran erinnern?«, und so geht der Tanz endlos weiter.
Es sollte klar sein, dass die Funktionsweise in ihren Grundzügen dem Muster ähnlich ist, das wir für Emotionen beschrieben haben.

Reiz > Samskara > Emotion

Im Falle des Denkens ist der Reiz der erste Gedanke, so wie der an Victor, oder eine Sinneswahrnehmung, wie das Geräusch vom Kühlschrank. Die Reaktion ist der nachfolgende Gedanke, den der Verstand fasst und mit dem ursprünglichen Reiz verbindet. Dann wird der zweite Gedanke seinerseits ein Reiz für eine nachfolgende Reaktion, und so weiter.

Gedanke oder Wahrnehmung > Mikro–Samskara > neuer Gedanke

Wenn es jedoch kein Mikro–Samskara gäbe, das die Assoziation zwischen dem jeweils ersten und zweiten Gedanken herstellt, dann würde der Verstand einfach anhalten und ruhig werden. Diese Samskaras mögen nicht so viel emotionale Ladung tragen wie diejenigen, die wir bisher betrachtet haben, aber dennoch haben sie alle grundsätzlichen Charakteristika von Samskaras. Sie sind Eindrücke in der Substanz des Verstandes, die eine bestimmte Reaktion ablaufen lassen, wenn sie durch den richtigen Reiz ausgelöst werden.
Diese Herangehensweise wirft ein neues Licht auf den unaufhörlichen Strom der Gedanken, den Sie erleben, wenn Sie die Augen schließen und Ihren Verstand beobachten. Diese Gedanken sind nichts anderes als das Resultat der Dynamik Ihrer Samskaras. Wenn Sie keine Samskaras mehr hätten, oder wenn Sie die Schicht der Samskaras abschalten könnten, dann könnten Sie aufhören zu denken, wenn Sie die Augen schlössen, und direkt in höhere Bewusstseinszustände gehen.
Im Sanskrit werden all die Gedanken und kleinen Bewegungen, die ständig im Verstand stattfinden, vrttis genannt. Die Wurzel dieses Wortes, vrt, bedeutet 'drehen'. In dem grundlegenden Text der Yoga–Systeme, den Yoga–sutras des Patañjali, lautet die erste Anweisung yogas citta–vrtti–nirodah (1.2), »Yoga ist die Auslöschung der vrttis des Verstandes«. Die Botschaft ist klar – so lange Samskaras Ihr Bewusstsein mit ständigen reaktionshaften mentalen Bewegungen und Emotionen belasten, kann der Zustand des Yoga, der transzendenten Einheit, nicht erreicht werden. Im Sanskrit wird die Schicht, in der all diese Reaktionen stattfinden, und in die die Samskaras eingebettet sind, manas genannt, (dies entspricht dem Astralkörper in dem System der feinstofflichen Körper, das in der Clairvision–Arbeit gebraucht wird). »Manas« wird für gewöhnlich im Englischen als »mind«, »Verstand« übersetzt, und wie wir gesehen haben, ist dies die Bedeutung, in der wir »Verstand« in diesem Buch gebrauchen.
Es kommt nicht darauf an, ob Sie das, was von dieser Schicht des manas bzw. Verstandes herkommt, als Gedanken, Emotionen, oder als eine Mischung aus beidem wahrnehmen. Ob Gedanken oder Emotionen, sie alle sind grundsätzlich Reaktionen, die von Samskaras ausgelöst werden. Ihrer Natur nach sind sie mit konditionierten Reflexen verwandt.
Von diesem Gesichtspunkt aus besteht das Problem nicht so sehr darin, zwischen Gedanken und Emotionen zu unterscheiden, sondern zu unterscheiden, was Reaktion ist und was nicht, was von Samskaras herrührt und was nicht. Mit anderen Worten, Sie möchten in der Lage sein, zwischen den marionettenhaften Mechanismen der Samskaras und der Spontaneität des Selbst zu unterscheiden. Zu diesem Zweck muss man eine klare Unterscheidung treffen zwischen denjenigen Gedanken, die von Samskaras herkommen, und solchen, bei denen das nicht der Fall ist, genauso wie wir eine Unterscheidung zwischen Emotionen und Gefühlen getroffen haben.
Das Ziel dieser Arbeit ist es nicht, jede Form des Denkens auszulöschen und Sie in ein gedankenloses Stück Gemüse zu verwandeln. Nichtsdestotrotz kann das Denken des reagierenden Verstandes durch die lebendigen Gedanken des transformierten Verstandes, oder »Superverstandes«, des transformierten Astralkörpers ersetzt werden, so wie die Emotionen des reagierenden Verstandes schrittweise durch spontane Gefühle ersetzt werden. Um eine klarere Sicht dieser Transformationen zu bekommen, ist es notwendig, dass wir begreifen, worum es bei Gefühlen geht.


4.2 Gefühle

Wenn es keine Prinzessin gäbe, wer würde sich die Mühe machen, mit dem Drachen zu kämpfen? Wenn das Ziel nur wäre, eine gewisse Gemütsruhe zu erreichen, warum sollte sich jemand auf den langen und schwierigen Prozess einlassen, den manas / Verstand zu neutralisieren? Es wäre viel einfacher zu lernen, wie man »negative« Emotionen durch »positive« ersetzt, wie es bei denjenigen Methoden geschieht, wo Menschen beigebracht wird, positive Affirmationen in die unbewussten Teile ihres Verstandes zu senden. Solche Praktiken können deutliche Verbesserungen zur Folge haben. Von der Idee her haben sie jedoch einen Schwachpunkt – sie türmen Konditionierung auf Konditionierung. Die Tiefen des Verstandes wiederholen »Ich bin hässlich und krank, ich bin hässlich und krank!«, also deckt man sie mit »Ich bin schön, ich bin schön« zu, und hofft, dass der Verstand anfangen wird, dies genauso und noch stärker zu wiederholen wie das Frühere. Diese Methoden helfen Ihnen vielleicht, mehr Erfolg in ihren alltäglichen Verrichtungen zu haben, doch sie bringen keine Lösung für das wirkliche Problem – die Verdrängung des Selbst, die durch die Samskaras verursacht wird. Positive Affirmationen mögen den Drachen beruhigen, doch sie verfehlen die Prinzessin. Wenn metaphysische Freiheit unser Ziel ist, dann müssen wir ganz und gar aus der Schicht der Samskaras heraustreten und nicht nur eine finstere Konditionierung durch eine rosige ersetzen.
Es ist leicht, über Emotionen zu sprechen, gerade weil sie zum manas / Verstand gehören, und weil unser Sprechen hauptsächlich auf dieser Ebene stattfindet. Es ist nicht so leicht, über Gefühle zu sprechen, da sie ihrer Natur nach diese Ebene übersteigen. Gefühle gehören zum »Nicht–Verstand« (dem transformierten Astralkörper). Worte können Ihnen nur eine Vorstellung von Gefühlen geben, doch eine verstandesmäßige Vorstellung von dem, was jenseits des Bereichs des Verstandes liegt, wird nie zu einer richtigen Einsicht führen. Es bedarf der unmittelbaren Erfahrung.
Die Kausalmechanismen der Gefühle sind gänzlich andere als die der Emotionen. Emotionen erscheinen oft als dumm, doch folgen sie einer gewissen Logik und sind hochgradig vorhersagbar. Im Gegensatz dazu sind Gefühle jenseits des Bereichs der rationalen Logik. Während Ihres Entwicklungsprozesses werden Sie lange Zeit hindurch nie im Voraus wissen, wann ein wirkliches Gefühl sich ereignen wird. Gefühle sind wie ein Geschenk, und der manas / Verstand hat keine Kontrolle über sie. Es kann sie bis zu einem gewissen Grade blockieren, doch er kann sie nicht hervorrufen, »machen«.
Es wurde schon gesagt, dass Emotionen als Wellen wahrgenommen werden können. Auch Gefühle können als innere Wellen beschrieben werden, doch sind sie von einer vollkommen anderen Art. Statt Sie aus Ihrem Zentrum herauszuführen, lassen Gefühle Sie mehr von Ihrem Höheren Selbst erfahren. Sie werfen Licht auf den wahren Kern Ihrer Persönlichkeit. Anstelle der oberflächlichen Unruhe der Emotionen ist ein Gefühl ein tiefes und bewegungsloses Erwachen. An die Stelle einer E–motion, einer Bewegung nach außen, ist Gefühl eine »in–motion–lessness«, eine innere Bewegungslosigkeit, eine stille Welle, die Kontakt zu den tieferen Teilen Ihrer Selbst schafft. Die Richtung von Gefühlen ist ausgesprochen zentripetal, auf das Zentrum hin gerichtet, während die der Emotionen zentrifugal ist. Emotionen zerstreuen, sie verteilen Ihr Leben in alle möglichen Richtungen; Gefühle sammeln und zentrieren.
Ein weiteres Charakteristikum von Gefühlen ist ihre Dichte, oder Fülle. Vom Erleben her betrachtet erscheinen Emotionen als leer, wenn man sie mit der Fülle und Vollständigkeit von Gefühlen vergleicht. Menschen, die annehmen, dass ihr Leben ohne den Reiz der Emotionen langweilig wäre, haben keine Vorstellung davon, was auf der anderen Seite des manas / Verstandes liegt. Emotionen erzeugen eine zittrige Aufregung, die auf einen engen Bereich beschränkt bleibt. Ein Gefühl, andererseits, ist ein multidimensionales Erwachen, durch das die Fülle des Seins erfahren wird. Sie sind mehr durch ein Gefühl, während die Emotionen Ihnen Teile Ihres Seins stehlen.

4.3 Emotionen lassen Sie am Selbst vorbeigehen

Der wichtigste und wesentliche Unterschied zwischen Emotionen und Gefühlen besteht darin, dass Emotionen Sie am Selbst oder höheren Ego vorbeigehen lassen, während Gefühle damit verbunden sind. Um das zu erklären, lassen Sie uns ein einfaches Modell der feinstofflichen Körper benutzen. Man kann einen Menschen als aus vier Teilen oder Schichten zusammengesetzt betrachten:

  • aus einem physischen Körper;
  • aus einem ätherkörper, der Ebene der Lebenskraft, oder der »Hülle des prana«
  • aus einem Astralkörper, der dem manas / Verstand der hinduistischen Tradition entspricht, und der der Sitz sowohl der Emotionen ist wie der Gedanken, die von Samskaras herrühren. Genauer gesagt ist der Astralkörper die Struktur, und manas / Verstand ist ihre Funktion. Die beiden können nicht wirklich voneinander getrennt werden, und so kann man die Begriffe »Astralkörper« und »manas/Verstand« praktisch als synonym betrachten. [12]
  • aus einer Ebene des Selbstbewusstseins, die wir Ego nennen oder höheres Ego, oder Selbst, höheres Selbst, oder Geist. In diesem Zusammenhang ist die Bedeutung des Wortes Ego ganz verschieden von der, die ihm von den hinduistischen oder buddhistischen Meistern gegeben wird. Für sie bezieht sich das Wort »Ego« auf das »kleine Ego« oder das »klammernde, festhaltende Ego« – die Konditionierung, die das Produkt der Samskaras ist. Dieses »kleine Ego« ist so gut wie gleich bedeutend mit manas / Verstand, der Ebene der reaktionshaften Emotionen und der Konditionierung, die in unserer Klassifikation dem Astralkörper entspricht. Der Einfachheit halber werden in diesem Buch, ebenso wie in meinen Büchern Tor zu inneren Welten, Heilende Planetenkräfte und Entities... die Begriffe Ego, höheres Ego, Selbst, höheres Selbst und Geist synonym gebraucht.

[12 Der Astralkörper umfasst nicht nur den bewussten, wachen Verstand, sondern auch das Unterbewusste und unbewusste Teile des Verstandes. Unter normalen Umständen ist sich die große Mehrheit der Menschen des meisten Materials, das in ihrem Astralkörper aufbewahrt ist, nicht bewusst.]

Im Hinblick auf dieses Modell der vier Trägerschichten kann die Arbeit der Selbsttransformation als eine Reinigung des Astralkörpers bzw. des manas/Verstandes beschrieben werden, infolge deren das Selbst in seiner Reinheit und Totalität erfahren werden kann. Lassen Sie uns zu den Yoga–Sutras des Patañjali zurückkehren. Wie wir gesehen haben, beginnt dieses Handbuch zur Erleuchtung mit yogas citta–vrtti–nirodah (1.2), »Yoga ist die Auslöschung der Bewegungen der chitta«. Wir haben gewiss keinen Fehler begangen, als wir übersetzten »Yoga ist die Auslöschung der vrttis des Verstandes«, denn chitta ist nichts anderes als die »Substanz« des manas/Verstandes. Eine genauere Wiedergabe wäre daher »Yoga ist die Auslöschung der vrttis aus der Substanz des Verstandes«. Der nächste Vers der Yoga–Sutras lautet:

tada drastuh svarupe vasthanam (1.3)
»Dann ist der Seher in seiner wahren Natur gegründet.«

Die Bedeutung ist wiederum klar. Wenn man den manas/Verstand transparent machen kann, so zeigt sich sogleich dahinter das Selbst. Der manas / Verstand und seine Samskaras sind ein Schleier, der das Selbst verbirgt.
Wenn wir das Funktionieren der Samskaras im begrifflichen Rahmen dieses einfachen Modells der feinstofflichen Körper analysieren, was finden wir? Lassen Sie uns erneut das Beispiel von dem Kühlschrankgeräusch anschauen, das Sie daran erinnert, dass Brünnhilde zum Mittagessen kommt. Das Geräusch wird zunächst durch unsere physischen Ohren aufgenommen. Aus der physischen Ebene wird die Wahrnehmung zu der Ebene der Energie, dem ätherkörper, weitergeleitet und erreicht so die Ebene des Verstandesbewusstseins und der Emotionen (den Astralkörper). Auf dieser Stufe ereignet sich allerdings ein Kurzschluss. Statt vom Selbst aus gefühlt zu werden, wird das Geräusch vom manas / Verstand empfangen, der eine Assoziation schafft, und ein Gedanke wird erzeugt – alles immer noch im Astralkörper. Dann wird ein weiteres Mikro–Samskara ausgelöst und ein neuer Gedanke tritt auf, immer wieder im Astralkörper.
Wie stellt sich das in der Erfahrung dar? Sie denken, ohne dass Sie sich bewusst sind, dass Sie denken. Das Selbst, die Ebene des Selbstbewusstseins, wird aus dem Prozess des Denkens herausgelassen. Indem man sich in innerer Achtsamkeit übt, kann man dies leicht beobachten. Es gibt Zeiträume, in denen Sie bewusst sind, und wenn ein Gedanke in Ihrem Verstand aufsteigt, dann können Sie ihn einfach beobachten und gehen lassen, ohne den Fluss ihrer Bewusstheit zu unterbrechen. Bei anderen Gelegenheiten werden Sie von der Abfolge der Gedanken gefangen genommen. Ein Gedanke kommt auf, und ein weiterer hinterher, und Sie bemerken gar nicht, wie es geschieht. Es sind gar nicht Sie, die denken, sondern es sind die Gedanken, die sich selbst in Ihrem Verstand denken. Ihre Achtsamkeit ist verloren gegangen und vom manas / Verstand überwältigt worden. Erst nach einigen Minuten (oder Stunden!) erinnern Sie sich wieder an Ihre Absicht und stellen Ihre Achtsamkeit wieder her.
Der gleiche Prozess einer Umgehung des Selbst findet noch offensichtlicher bei den Emotionen statt. Es überrascht Sie zum Beispiel ein Fahrer durch Hupen, wenn Sie es am wenigsten erwarten. Der Klang wird von Ihren Ohren aufgenommen (physischer Körper), durch die Ebene der Energie hindurch übermittelt (ätherkörper) und erreicht Ihren manas / Verstand. Einen Sekundenbruchteil später finden Sie, dass Sie mit einem Schimpfwort antworten. Tatsächlich waren Sie sich überhaupt nicht des Samskara bewusst, das ausgelöst wurde und reagierte. Das zeigt deutlich auf, dass die Ebene des Selbstbewusstseins umgangen wurde. Der Input der Wahrnehmung gelangte nur bis zum Astralkörper, und ein Output als Reaktion (das Schimpfwort) folgte in mechanischer Weise. Die höchste der vier Trägerschichten, die des Selbstbewusstseins, war von diesem Ablauf ausgeschlossen.
Die Beziehung zwischen den Gedanken und Emotionen des manas / Verstandes und dem Selbstbewusstsein kann als »fressen und gefressen werden« beschrieben werden. Sie können entweder reagieren oder achtsam sein, doch die beiden Möglichkeiten sind einander entgegengesetzt. Wenn Sie reagieren, geht Ihre Achtsamkeit verloren, als sei sie aufgefressen worden. Es handelt sich nicht um eine übertreibung, wenn man davon spricht, dass der manas / Verstand das Selbst auffrisst. Durch die Arbeit der Selbsttransformation wird diese Beziehung langsam umgekehrt. Die Schicht des Selbstbewusstseins reift zu einem unauslotbaren, unerschöpflichen Selbst, das jede Welle des manas / Verstandes neutralisieren kann, noch bevor sie entsteht. Wie einer der grundlegenden Texte der Veden es ausdrückt, wird das Selbst der »Fresser«, der »Verschlinger« von allem (Brahma–Sutra 1.2.9).


4.4 Gefühl, Selbst und Einheit

Im Unterschied zu den Emotionen werden Gefühle von einem Bewusstsein des Selbst begleitet. Es gibt unter den Gefühlen mannigfaltige Abstufungen. Einige Gefühle bringen nur einen Schimmer des Bewusstseins des Selbst mit sich, nicht viel mehr als einen Hintergrund. Andere verbinden Sie mit ihren tiefsten Schichten und lassen das Selbst aufscheinen wie die Sonne. Allen Gefühlen gemeinsam ist jedoch, dass sie das Selbst nicht verbergen, sondern es zur Erscheinung kommen lassen. Gefühle stellen eine erfahrbare Verbindung zu der »kleinen Flamme« her, zu der ewigen Gegenwart des Selbsts im Herzen, während Gefühle sich an der Oberfläche der Persönlichkeit abspielen, an der Fassade.
Das weist darauf hin, dass Emotionen Sie von der Person oder den Umständen getrennt halten, von denen sie ausgelöst werden, denn in einer Emotion ist ihr Selbst einfach nicht gegenwärtig. Es wird aus den Handlungen herausgehalten. Wie könnte es eine Einheit zwischen Ihrem Selbst und der Situation geben, wenn Ihr Selbst einfach nicht da ist?
Ein Gefühl andererseits schafft eine Einheit zwischen Ihnen und dem Objekt oder der Person, auf die es sich bezieht. Nehmen wir an, dass Sie die unzähligen Sterne des Nachthimmels betrachten, und die Schönheit des Augenblicks löst eine innere Bewegung, eine Welle in Ihnen aus, plötzlich fühlen Sie sich als ein Teil des Universums. Da gibt es eine starke, deutlich fassbare Ahnung der Einheit mit dem gestirnten Himmel. Das ist ein Gefühl. Gerade noch haben Sie sich die Sternbilder angeschaut, und sie waren nichts als weiße Punkte auf einem dunklen Hintergrund. Vielleicht wollten Sie sich ihre Positionen einprägen, oder vielleicht waren Sie auch in andersartigen Gedanken befangen und nahmen die Sterne kaum wahr. Da haben Sie vom manas / Verstand her gesehen. Auf der einen Seite waren Sie, unten auf der Erde, auf der anderen Seite die weißen Punkte. Nun erwacht plötzlich ein tieferer Teil von Ihnen mit dem vertraut wirkenden Gefühl Ihrer Einheit mit dem Kosmos. Ihre ganze Wahrnehmung ist verwandelt, als ob Sie in einen anderen Raum wären. Das Universum erscheint der Seele auf einmal als sinnvoll. Ein Gefühl entsteht.
Nehmen wir als ein weiteres Beispiel etwas, das in den kommenden Jahrzehnten mehr und mehr Therapeuten passieren wird und was eine Revolution in der Diagnostik herbeiführen könnte. Ein Freund oder ein Klient kommt zu Ihnen mit einem Schmerz irgendwo in seinem Körper. Sie fühlen eine intensive Anteilnahme für ihn. Sie sind ganz in Ihrem Herzen, vergessen vorübergehend alle Ihre persönlichen Probleme, und sind so offen, wie sie es nur sein können. Dann, ohne dass Sie Fragen stellen müssten, stellen sie auf einmal fest, dass Sie spüren, wo der Schmerz sitzt. Es geht gar nicht darum, dass Sie wissen, wo der Schmerz ist, Sie fühlen ihn! Sie fühlen seinen Körper so, als wäre es Ihr eigener. Es gibt eine Welle der Einheit zwischen Ihnen beiden, und als praktische Folge davon haben Sie einen Augenblick nicht des Hell–sehens oder Hell–hörens, sondern des Hell–fühlens. Sie fühlen, was ihr Freund fühlt, so als wären Sie in seinem Körper. Damit Sie diese Erfahrung machen können, müssen Sie in der Lage sein, für den Augenblick von Ihren eigenen Emotionen und Problemen vollkommen abzusehen und nur für den Anderen da zu sein, sich ihm oder ihr uneingeschränkt vom Herzen her zu öffnen.
Ein wesentlicher Punkt bei diesem Hellfühlen ist, dass Sie den Schmerz und die Emotionen der anderen Person fühlen, dass aber für Sie kein Leiden damit verbunden ist. Ihr Freund empfindet den Schmerz von der Ebene seiner Emotionen aus (dem manas / Verstand), doch sie empfangen Sie auf der Ebene der Gefühle. Sie leiden nicht mit ihm, sondern Sie sind bei ihm, während er leidet, was etwas gänzlich anders ist. Es ist eine Nähe, eine öffnung von Herz zu Herz, durch die Sie die Intensität des Anderen nahe an Ihrem Geist halten. Doch für Sie ist nichts Unerfreuliches oder Schmerzhaftes an diesem Zustand.
Einer der Hauptzwecke der IST–Technik der Rückführung ist Ihnen zu helfen, diese Fähigkeit zu entwickeln – von einem solchen Raum der höheren Anteilnahme her fühlen zu können, was andere in ihrem Körper und ihrem Bewusstsein erleben. Während Sie die Rolle des Verbinders spielen, wird es immer häufiger geschehen, dass Sie etwas fühlen oder ein Bild davon bekommen, unmittelbar bevor der Klient davon spricht. Diese Augenblicke einer »geteilten Wahrnehmung« gehen oft Hand in Hand mit einem greifbaren Eindruck, dass Ihr Höheres Selbst anwesend ist und an diesem Prozess teilnimmt.
In seinem Kern ist Gefühl eine Art von Wissen, die aus Einheit entsteht. Es hat damit zu tun, sich auf ein Objekt der eine Person einzustimmen und ihre Eigenschaften und Wesenszüge in Ihrem eigenen Selbst lebendig werden zu lassen. Es ist mehr als nur eine Resonanz mit dem Objekt, es ist die Erfahrung einer metaphysischen Einheit. Natürlich gibt es Abstufungen dieser Erfahrung; doch indem Ihre Empfänglichkeit für Gefühle wächst, wird diese Wahrnehmung der Einheit immer deutlicher.
Die Einheit, die zu Gefühlen gehört, gibt ihnen die Fähigkeit, Dinge und lebende Wesen von innen heraus zu verstehen. Sie hören auf, sie von außen her zu betrachten und über die Unterschiede zwischen ihnen und Ihnen selbst erstaunt zu sein. Wenn Sie durch Ihr Gefühl mit ihnen »eins werden können«, und sei es auch nur für einen kurzen Augenblick, dann können sie Ihnen nicht länger fremd bleiben. Diese Wahrnehmung, ohne die Liebe einfach nur eine Fassade sein kann, bringt ein tiefes metaphysisches Akzeptieren von Menschen und Situationen mit sich. Sie mögen nicht damit übereinstimmen, was eine Person sagt oder tut. Sie arbeiten vielleicht in eine andere Richtung und mit entgegengesetzten Zielen. Dennoch lässt Sie das Gefühl ein Eins–sein mit dieser Person erleben. Sie tun was Sie tun müssen, auch wenn es nicht den Interessen jener Person dient; doch sie nehmen am kosmischen Plan teil, da Ihr Handeln auf einer Anerkennung des Wesens jener Person beruht – und nicht darauf, es zu verleugnen.
Während Sie in der Arbeit fortschreiten, beginnen Sie einen unerwartet weiten Bereich von Gefühlen wahrzunehmen, denn Sie öffnen sich für verschiedenen Modalitäten, die weit über die gewöhnlichen Begrenzungen des Verstandes hinausgehen. Auf der Ebene des manas / Verstandes und seiner Emotionen können Sie nur verstehen, was bis zu einem gewissen Grade Ihren eigenen Mustern ähnlich ist. Wenn etwas oder jemand in hohem Maße von Ihrer Erfahrung verschieden ist, dann erscheint Ihnen das als ein Rätsel. Der Verstand kann noch nicht einmal eine Vorstellung davon bekommen, wie es sich anfühlen würde, so zu sein. Das Gefühl hingegen ist nicht durch derartig feste Grenzen beschränkt und öffnet Ihr inneres Universum für alle Arten neuer Erkenntnisse.


4.5 Der weite Bereich der Gefühle

Dieser letzte Punkt ist wichtig, denn er widerlegt eine falsche Vorstellung, die viele Menschen implizit von sich haben. Sie neigen dazu zu denken, dass es einerseits die Emotionen gibt und andererseits bedingungslose Liebe und bedingungsloses Mitgefühl – als wären diese beiden die einzig möglichen Gefühle. Natürlich ist die Idee der bedingungslosen Liebe sehr schön, doch versuchen Sie sich einmal ein Leben vorzustellen, in dem alle die Emotionen, die dem Leben Salz und Pfeffer geben, durch bedingungslose Liebe und gar nichts anderes ersetzt wären. Dieses Bild wäre erschreckend langweilig – ein fades Paradies, in dem jeder im gleichen Gefühl gefangen wäre.
In Wirklichkeit verhält es sich genau andersherum. Indem Sie Ihre Fähigkeit zu fühlen entwickeln, wird es Ihnen möglich, sich auf alle Arten von Leuten einzustimmen und in Ihnen selbst zu wissen, was sie erleben. Die erstaunliche Entdeckung, die Sie dabei machen, ist genau die, dass jeder mehr oder weniger in einen gewissen Bereich von Gefühlen eingesperrt scheint, der sich vom einen zum anderen nicht sehr unterscheidet. Man hat den Eindruck, als würde knapp ein Dutzend Töne von Millionen und Abermillionen von Menschen endlos wiederholt, die in ihren Emotionen gefangen sind wie in einem Käfig und die unfähig sind, sich für irgendetwas anderes zu öffnen.
Im Vergleich dazu erscheinen Gefühle als ein weiter und flüssiger Bereich von Geisteszuständen und Erfahrungen. Da das Gefühl ein Wissen durch Einheit ist, erlaubt es Ihnen, mit den verschiedensten neuen Schwingungen in Resonanz zu treten, die jenseits der normalen Grenzen des Verstandes liegen. Das gilt nicht nur, wenn Sie sich auf andere Menschen einstimmen, sondern auch für alles in Ihrer Umgebung – Tiere, Pflanzen und unbelebte Gegenstände. Die Fähigkeit zum Gefühl bringt einen Regen von Geschenken mit sich, darunter eine erhöhte künstlerische Sensibilität und Kreativität und erhöhte Toleranz und stärkeres Verständnis für andere. Paradoxerweise erwerben sich Menschen viel mehr Originalität, wenn sie sich für die Sphäre der Gefühle öffnen, denn sie beginnen, vielfältigere und stärker verfeinerte Seinsweisen zu erleben.


4.6 Die Ebene der Gefühle und die Alchemie des Astralkörpers

Wir haben beschrieben, wie Emotionen zum manas / Verstand gehören, der der Ebene des Astralkörpers entspricht. Fassen wir nun die Ebene ins Auge, auf der sich Gefühle ereignen.
Auch wenn sie eine direkte Verbindung mit dem Selbst oder Ego haben, gehören Gefühle doch einer unterschiedlichen Ebene an. Um den Vergleich mit einer Glühbirne zu benutzen, so könnte man die Glühbirne als das Selbst verstehen, während Gefühle so etwas wären wie das Licht, das von ihr ausgeht. Gefühle gehören zu einer Ebene, auf der das Selbst seinen Ausdruck findet, die Welt erkennt und auf sie einwirkt. [13]

[13 Im Vedanta–System entspricht die Ebene der Gefühle dem vijnan–maya–kosa. Kosa bedeutet Hülle, maya bedeutet »gemacht aus«, vijnana ist eines jener Sanskritworte, die man nicht zu vorschnell übersetzen sollte, denn es hat keine wirkliche Entsprechung in den modernen europäischen Sprachen. So ist die übliche übersetzung von vijnana als »Unterscheidungsvermögen« oder »unterscheidendes Wissen« ausgesprochen unangemessen und irreführend. Was man normalerweise unter »Unterscheidungsvermögen« versteht, bezieht sich auf eine Eigenschaft des manas / Verstandes und entspricht nicht der durch vijnana bezeichneten Qualität. Ein geeigneteres westliches äquivalent für vijnana wäre das griechische Wort gnosis. Gnosis bezeichnet eine Form des Wissens, die auf direkter Erfahrung spiritueller Wirklichkeiten beruht, über die Beschränkungen des Dogmas und des rationalen Verstandes hinaus. Gnosis ist oft als ein 'Wissen des Herzens' bezeichnet worden, und entspricht so dem Wissen durch Einheit, das wir oben beschrieben haben. In der Terminologie des vorliegenden Buches bezeichnen gnosis und Gefühl das gleiche.]

Im System Rudolf Steiners entspricht der Geist / das Selbst der Ebene der Gefühle. Unglücklicherweise hat Steiner, der theosophischen Terminologie folgend, das Wort manas gelegentlich als gleich bedeutend mit Geist und Selbst gebraucht. Das ist recht irreführend, denn im Sanskrit bedeutet manas genau das Gegenteil davon – die Ebene des reagierenden Denkens und der Emotionen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass ebenso wie der Astralkörper die Ebene der Emotionen und der Gedanken (des reagierenden Denkens) ist, der Geist bzw. das Selbst oder vijnana–maya–kosa aus Gefühlen besteht. Der Anfang der Erleuchtung besteht darin, den Astralkörper durch diese neue Ebene zu ersetzen, die gegenwärtig bei den meisten Menschen nicht sehr weit entwickelt ist.
Vom Gesichtspunkt der inneren Alchemie betrachtet bedeutet dies, einen neuen Träger aufzubauen, einen 'transformierten Astralkörper', den Sitz der Gefühle. Der Begriff 'transformierter Astralkörper' ist etwas trügerisch, denn er bringt die Vorstellung mit sich, dass die neue Ebene aus dem alten Astralkörper durch irgendeinen Verwandlungsprozess entsteht, was so nicht zutrifft. Die neue Ebene wird aus der eigensten Substanz des Selbst bzw. Ego geschaffen – nach einem in der hinduistischen Tradition oft gebrachten Gleichnis so, wie eine Spinne den Faden ihrer Netze aus sich heraus absondert. Statt von einem 'transformierten Astralkörper' zu sprechen, wäre es angemessener, den Begriff des transsubstantiierten Astralkörpers zu verwenden.
Man kann eine Parallele zur Suche der Alchimisten nach dem Gold ziehen. In der astrologischen und alchemistischen Symbolik steht das Gold für die Sonne, also für nichts anderes als den Geist, das Selbst oder Ego. Wenn man diese Analogie weiterverfolgt, so stehen die unedlen Metalle für die Leidenschaften, Emotionen und Reaktionen des Astralkörpers. Unedle Metalle in Gold zu verwandeln entspricht der Verwandlung, durch die der Astralkörper durch den Geist bzw. das Selbst, den transsubstantiierten Astralkörper, ersetzt wird.
Da er aus dem Gold des Geistes besteht, bleibt der transsubstantiierte Astralkörper, die Ebene der Gefühle, unberührt von emotionalen Schwankungen, und deshalb kann er auch seine Integrität durch den Prozess des Todes hindurch bewahren. Er kann daher zurecht ein Träger der Unsterblichkeit, oder Körper der Unsterblichkeit, genannt werden. Das hat noch nichts mit einer physischen Unsterblichkeit zu tun, für die eine Anzahl weiterer Ebenen verwandelt werden müssten. Dennoch ist der transsubstantiierte Astralkörper ein Träger, durch den der übergang des Todes bei vollem Bewusstsein vollzogen werden kann – ein Träger, durch den das Bewusstsein und die Erfahrungen dieses Lebens bewahrt und ohne die astrale Auflösung, wie sie üblicherweise beim Tode stattfindet, in das folgende Leben übertragen werden können.
Die Perspektive der Clairvision–Techniken ist konsequent alchemistisch ausgerichtet. Ein zentraler Zweck des IST–Prozesses ist es, Ihnen dabei zu helfen, zwischen Emotionen und Gefühlen zu unterscheiden, damit Sie anfangen können, an der Umwandlung des Astralkörpers in das alchemistische Gold, den transsubstantiierten Astralkörper, zu arbeiten.
Bevor wir auf diesen Punkt näher eingehen und einen Schritt weiter in die Mechanismen des Verstandes machen, lassen Sie uns das Thema der Emotionen und Gefühle in Form einer Tabelle zusammenfassen.


Emotionen

Gefühle

  • ärger, Eifersucht, leidenschaftliche Liebe

  • sind reaktiv
  • können sich rasch in ihr Gegenteil verwandeln

  • werden durch ein Samskara ausgelöst
  • erzeugen weitere Samskaras
  • beruhen auf zugreifen und festhalten
  • überschatten des Höhere Selbst und verstärken die Bindung an den Astralkörper
  • begünstigen einen Mangel an Bewusstheit und werden davon begünstigt
  • entfernen einen vom Zentrum der Person, haben eine zentrifugale Ausrichtung
  • schneiden Sie von Ihrer Umgebung ab
  • verzerren die Wahrnehmung durch den Einfluss der Samskaras
  • lassen Sie in Ihrer »eigenen«, privaten Welt leben

  • höhere Liebe, Anteilnahme, seelische Wärme, Enthusiasmus, Gefühl für Schönes
  • sind bedingungslos
  • sind stabil, unabhängig davon, ob sie erwidert werden
  • entstehen unabhängig von Samskaras
  • erzeugen keine weiteren Samskaras
  • beruhen auf loslassen
  • stehen in Einklang mit dem Höheren Selbst und verstärken die Verbindung zu ihm
  • stärken die Bewusstheit und werden dadurch verstärkt
  • führen einen zum eigenen Zentrum zurück, haben eine zentripetale Ausrichtung
  • stellen eine Einheit mit dem Objekt her
  • in der tiefsten Subjektivität wird Objektivität wiederentdeckt
  • erlauben es Ihnen, in »der« Welt zu leben

Lassen Sie uns auch in einer Tabelle die Parallelen mit anderen Systemen zusammenstellen.


 

Emotionen

Gefühle

Begrifflichkeit der Clairvision School

Astralkörper
personales Stadium

transformierter Astralkörper
transpersonales Stadium

Sanskrit

mano–maya–kosa, Hülle aus manas

vijnana–maya–kosa, Hülle aus buddhi

Griechisch

dianoia, diskursiver Verstand

nous, Vernunft, die griechische Entsprechung zu budhhi

Scholastik

ratio

intellectus

Kabbala

nefesh und ruah

neshamah

Rudolf Steiner

Astralkörper

Geist–Selbst




Kapitel 5

Samskaras und Meditation

5.1 Die Sache mit den Affen

Es war einmal ein Mann in Indien, der entwickelte einen großen Enthusiasmus dafür, sein Selbst zu finden, und er entschloss sich, einen Meister zu finden und die Erleuchtung zu erreichen. Er erkundigte sich nach allen Gurus, den spirituellen Lehrern, in seiner Provinz, bis er schließlich von einem hörte, der als der weiseste und am meisten erleuchtete seiner Zeit galt. Sogleich reiste er zum Ashram dieses heiligen Mannes. Sobald er angekommen war, stellte ihm der Guru die traditionelle Frage:
»Was für eine Suche hat dich hierher geführt?«
Der Mann war sehr geradlinig. »Guruji, Ich habe gehört, dass du ein großer Weiser bist. Kannst du mir die Erleuchtung geben?«
Der Guru lächelte. »Gewiss, mein Sohn. Ich werde dir die Erleuchtung geben.«
Der neue Schüler war außer sich vor Freude. »Das ist wunderbar, Guruji! Danke, vielen Dank. Und was muss ich tun, um erleuchtet zu werden?«
»Setz dich einfach unter den Baum da und meditiere.«
»Und was muss ich tun, um zu meditieren?«
»Nichts, mein Sohn. Setz dich einfach unter den Baum und schließ deine Augen. Doch was du auch immer tust, denk nicht an Affen. Das ist alles. So erreichst du die Erleuchtung.«
Unser Mann freute sich so über die Aussicht auf seine unmittelbar bevorstehende Erleuchtung, dass er sein Gepäck stehen ließ und sich sogleich unter den bezeichneten Baum setzte. Und er begann zu meditieren.
Zehn Sekunden, nachdem er sich in einer korrekten Lotusposition hingesetzt hatte, erschien jedoch der erste Affe in seiner Meditation. Er verjagte ihn aus seinem Verstand, doch zehn Sekunden später war ein weiterer Affe da, und noch einer, und noch einer... Zu seinem Entsetzen hatte der Mann nach einer halben Stunde jeden erdenklichen indischen Affen vor sich gesehen. Und dann begann sein Verstand unermüdlich, ihm Bilder von afrikanischen Affen zu schicken. Nach einer weiteren Stunde und nach einigen Tausend weiteren Affen entschied der neue Schüler, dass die Sache hoffnungslos war und ging zurück zu seinem Meister.
»Guruji, du musst mir mehr über das Wesen des Verstandes erzählen!«
Danach begann der Guru, ihn das traditionelle Wissen über die Samskaras zu lehren.


5.2 Cogito ergo non sum, Ich denke, darum bin ich nicht

Den Verstand vollkommen zur Ruhe zu bringen ist durchaus nicht unmöglich, doch es erfordert den Wechsel in einen anderen Bewusstseinszustand. Solange Sie auf der üblichen Ebene des manas / Verstandes bleiben, ist der Versuch, den Fluss der Gedanken zu blockieren, bekanntermaßen zum Scheitern verurteilt. Je mehr Sie versuchen, dagegen anzukämpfen, desto stärker rebelliert der Verstand und schickt Gedanken in Ihr Bewusstsein. Wenn Sie es nie selbst erfahren haben, dann versuchen Sie ein paar Minuten mit dem festen Entschluss, nicht zu denken, dazusitzen, so wie der Schüler in unserer Geschichte. Sie werden sich bald davon überzeugen können, dass der Versuch, den Verstand anzuhalten, während man vom Verstand ausgeht, eine reine Zeitverschwendung ist.

Wie wir zuvor gesehen haben, werden diese fortwährenden mentalen Bewegungen im Sanskrit vrttis genannt. Die Wurzel vrt bedeutet 'drehen', und der suffix '–ti' wird benutzt, um Hauptwörter für Handlungen zu bilden. Daher bedeutet vrtti die Handlung des Drehens, die Tatsache des Drehens. Das Wort ist durchaus angemessen, denn jede dieser kleinen Bewegungen, oder vrttis, pflegt ihr Bewusstsein in eine etwas andere Richtung zu wenden. Ein vrtti kommt, dann das nächste, und wieder eins... und wenn Sie nicht achtsam sind, finden Sie sich ein paar Minuten später in einem völlig anderen Bewusstseinszustand wieder.
Solange Ihr Bewusstsein sich im manas / Verstand vollzieht, ist der Grund, warum es unmöglich ist, die vrttis anzuhalten, recht simpel – der manas / Verstand besteht aus vrttis. Diese Schicht der Emotionen und des Denkens wirkt als ein Schleier, der das Selbst verbirgt, so, wie es die ersten Verse von Patañjalis Yoga–Sutra darstellen: »Lassen Sie den Schleier der vrttis fallen, und sogleich wird Ihre wahre Natur offenbar.« So lange der manas / Verstand seinen endlosen Tanz aufführt, bleiben Sie in die vrttis verstrickt. Das bedeutet folglich auch, dass Ihr Bewusstsein schon so lange Zeit von den vrttis umhergetrieben worden ist, dass Sie sich noch nicht einmal mehr vorstellen können, ohne sie und jenseits ihres Einflusses zu existieren. Sie sind zu der Auffassung gekommen, dass verstandesmäßiges Denken Sein bedeutet, während Sie genau dann, wenn Sie im Verstand sind, von Ihrem Selbst getrennt sind.
Ein Mann, den man sich gewöhnt hat unter die Väter des rationalen Denkens zu zählen, der französische Philosoph des 17. Jahrhunderts René Descartes, hat Generationen von Philosophen mit der Behauptung cogito ergo sum beeindruckt, »Ich denke, deshalb bin ich.«
Dreieinhalb Jahrhunderte später ist es an der Zeit, einen neuen Anfang mit der entgegengesetzten Behauptung zu machen, cogito, ergo non sum, »Ich denke, also bin ich nicht«. Tut uns Leid, Monsieur Descartes, doch es ist genau dann, wenn wir aufhören zu denken, dass wir anfangen zu sein. Wenn es eine Ebene gibt, von der man sagen kann, dass sie ist, dann ist es die des Selbsts. Solange wir in den mentalen Schwankungen des manas / Verstandes befangen sind, sind wir von unserem Selbst getrennt.
Einmal mehr: Es ist nicht der Zweck einer spirituellen Arbeit, jegliche Form des Denkens auszulöschen, sondern vielmehr die unaufhörlichen und mechanischen Gedanken des reagierenden Verstandes durch das leuchtende Denken des transformierten (oder transsubstantiierten) Astralkörpers zu ersetzen. Diese beiden Formen des Denkens sind so radikal verschieden, dass es ausgesprochen irreführend ist, das gleiche Wort für beide zu benutzen, gerade so, wie »Emotion« nicht gleichermaßen für die Liebe der Katze und die Liebe Christi verwendet werden kann. Eines der Merkmale des Denkens des transformierten Astralkörpers besteht darin, dass es willentlich abgeschaltet werden kann. Anders als das Denken des manas / Verstandes geschieht es nicht mechanisch und unwillentlich, sondern es ist ein in vollem Umfang bewusster Akt des Willens.

5.3 Größere Samskaras neutralisieren, um den Verstand zu beruhigen

Die vrttis sind von wesentlichem Interesse für unsere Erörterung der Mechanismen des Verstandes, soweit sie die Rückführung betreffen, denn sie sind ein direkter Hinweis auf die Anwesenheit und die Dynamik der Samskaras. Wir haben den Verstand als aus Reaktionen bestehend beschrieben: reaktive Gedanken und reaktive Emotionen. Der manas / Verstand ist voll von Wellen von Reaktionen und die vrttis sind diese Wellen. Ebenso, wie es auf dem Ozean große und kleine Wellen gibt, so gibt es im manas / Verstand große Reaktionen, die von großen Samskaras verursacht werden, und ein endloses Plätschern, das von den Myriaden von Mikro–Samskaras herrührt.
Eine Schlüsselerkenntnis ist, dass der Astralkörper aus Samskaras besteht. Seine ganze Natur ist ergreifen und reagieren, und seine Substanz ist wie eine See von Samskaras, einige groß, einige klein, einige mehr an Emotionen gebunden, einige mehr an Gedanken. Auch wenn der Astralkörper keine Einheit hat und aus einen Bündel verschiedenartiger und schlecht zusammenpassender Flicken besteht, sind doch alle seine Teile eng miteinander verbunden. Nehmen Sie zum Beispiel an, dass Sie von einer starken Emotion erfasst sind, nachdem Sie Streit mit jemandem aus Ihrer Familie hatten. Wenn Sie sich unmittelbar nach dieser Episode hinsetzen und versuchen zu meditieren, dann wird Ihr Verstand sehr viel stärker durch Gedanken aufgeregt sein als für gewöhnlich. Viele dieser Gedanken werden keinen Bezug zu Ihrer aktuellen Situation haben. Sie sind gewöhnliche vrttis, aber schneller und intensiver als sonst.
Was geschieht da? Die Emotion rührt die ganze Schicht des reagierenden Verstandes auf, und das resultiert in der verstärkten Aktivität der vrttis. Die See ist in ihrer Tiefe unruhig, darum ist ihre ganze Oberfläche von Wellen bedeckt. Anders ausgedrückt: Eine intensive emotionale Ladung ist ausgelöst worden, und sie speist die anderen Samskaras mit. Es ist, als ob sich die Spannung des reagierenden Verstandes erhöht hätte, so dass eine zusätzliche Intensität auch für alle anderen Samskaras verfügbar geworden ist. Das Ergebnis ist eine erhöhte Aktivität der vrttis der verschiedensten Art.
Diese Beobachtung ist bedeutsam, denn sie gibt einen Hinweis darauf, wie man den Verstand während der Meditation ruhig machen kann. Es ist klar, wir möchten die vrttis loswerden, um das Selbst zu entdecken, das hinter ihnen verborgen liegt. Wir haben als Quelle unserer fortwährenden Gedanken die zahllosen Mikro–Samskaras gefunden, aus denen die Substanz des Verstandes gestrickt ist. Doch wenn wir jedes einzelne Mikro–Samskara auslöschen müssten, bevor wir unseren Verstand zur Ruhe bringen könnten, dann wäre das eine endlose Aufgabe, einfach weil man den Ozean nicht mit einem Teelöffel ausschöpfen kann. Die Situation ist jedoch ganz anders. Es ist nicht die unbegrenzte Anzahl der Mikro–Samskaras, die den Verstand unkontrollierbar macht, sondern die Tatsache, dass diese Mikro–Samskaras von der emotionalen Ladung einer begrenzten Anzahl von großen Samskaras genährt werden.
Wenn Sie Ihren Verstand nicht ruhig machen können, dann liegt es nicht so sehr daran, weil er aus Mikro–Samskaras besteht. Für sich genommen wären diese Mikro–Samskaras nicht stark genug, um Ihren Verstand aufzuregen. Sie würden zweifellos Wellen in Ihrem Bewusstsein erzeugen, doch Sie könnten sie einfach beobachten und sie abklingen lassen, ohne dass Sie den roten Faden Ihres Selbstbewusstsein verlieren würden. Wenn Sie keinen Frieden in Ihrem Bewusstsein finden können, dann liegt es daran, dass permanent einige Stürme in Ihrem reagierenden Verstand toben, und zwar aufgrund der emotionalen Ladungen, die mit einer begrenzten Anzahl großer Samskaras zusammenhängen. Sie mögen sie nicht sehen und nichts von ihrer Anwesenheit wissen, weil sie schon so lange in Ihrem Verstand wirksam sind, wie Sie sich überhaupt erinnern können. Es ist jedoch ihre Energie, die die ganzen Mikro–Samskaras speist und den reagierenden Verstand aufgrund einer überhöhten Spannung unkontrollierbar macht. Mehr als neunundneunzig Prozent Ihrer mentalen Entropie rührt von weniger als einem Prozent Ihrer Samskaras her und von der bösartigen Intensität, die sie verbreiten.
Das bedeutet, dass Sie nicht unendlich lange meditieren müssen, um einen wirklichen meditativen Bewusstseinszustand – jenseits des manas / Verstandes – zu erreichen, sondern dass es darum geht, sich das eine Prozent der schädlich intensiven Samskaras anzusehen und sie zu neutralisieren. Wenn Sie eine Reihe von Jahren ohne deutliches Resultat meditiert haben, dann sollten Sie über diesen Punkt nachdenken, denn er kann Ihnen zwanzig weitere Jahre einer Meditation ersparen, die nirgendwohin führt.

5.4 In welchem Ausmaß kann Meditation Samskaras neutralisieren?

Die Frage, die jetzt logischerweise folgt, ist: Reicht es nicht aus zu meditieren, um Samskaras zu neutralisieren, ganz gleich ob sie groß oder klein sind? Das ist eine Schlüsselfrage, denn sie macht es möglich, die wichtige Rolle zu verstehen, die Rückführung auf dem spirituellen Weg spielen kann.
Theoretisch kann man von einem ordentlichen System der Meditation erwarten, dass es Ihnen erlaubt, die Gesamtheit Ihres Verstandes zu klären. Manche Zeichen deuten darauf hin, dass eine Lösung bzw. Klärung stattfindet. Wenn Sie zum Beispiel anfangen zu zucken, oder wenn sich bestimmte emotionale oder verstandesmäßige Aktivitäten vollziehen, während Sie meditieren, dann kann das bedeuten, dass einige Samskaras gelöst werden. Sie sollten natürlich diesbezüglich nicht allzu optimistisch sein. Es reicht leider nicht aus, dass Ihr Bewusstsein von Gedanken geplagt wird, um sich sicher sein können, dass Samskaras sich lösen. Insgesamt jedoch, auch ohne körperliche Anzeichen oder besondere mentale Aktivität, geht die allgemeine Richtung der Meditation dahin, Spannung, verstandesmäßiges Festhalten und Samskaras zu lösen. Jedes Mal, wenn Sie sich hinsetzen und meditieren, werden einige Samskaras freigelassen und neutralisiert.
In der Praxis ist jedoch die Situation alles andere als so einfach, und zwar aufgrund von mehreren wichtigen Faktoren. Erstens meditieren Sie für gewöhnlich nur ein– oder zwei Mal am Tag. Selbst wenn Sie zwei Mal zwei Stunden am Tag meditieren, was schon ganz respektabel ist, ist es ziemlich einfach für Ihren Verstand, die größeren Samskaras während der Meditationszeit zu verbergen und sie während der restlichen zwanzig Stunden loszulassen. Das ist eine vorsichtige Warnung an Menschen, die glauben, dass es ausreicht, zwei Mal am Tag zu meditieren ohne in der übrigen Zeit eine spezielle Achtsamkeit aufzuwenden, damit eine große spirituelle Verwandlung / Transformation stattfindet. Der manas / Verstand ist entsetzlich schlau, und wenn Sie ihm irgendeine Gelegenheit geben Sie auszutricksen, dann können Sie sich darauf verlassen, dass er sie ergreifen wird. Nichts fällt ihm leichter, als ein Geschäft mit Ihnen abzuschließen auf der Grundlage von »Ich werde dir zwei Mal am Tag einen schönen meditativen Frieden geben, und du wirst mich die restliche Zeit weiter meine Spielchen spielen lassen«. Man kann keine bessere Grundlage als dies für jene Art von spiritueller Praxis finden, die zwanzig Jahre lang ohne eine entscheidende öffnung fortgesetzt wird. Da mag es Fortschritte hinsichtlich Ihres Gedächtnisses geben, Sie mögen besser schlafen und Ihr Blutdruck mag sich normalisieren – doch die selben Resultate könnte man mit einigen Hatha–Yoga–übungen und etwas Entspannung erzielen. Die großen spirituellen Veränderung treten nie ein, einfach weil die großen Samskaras von dem Prozess nicht berührt werden.
Die Situation ändert sich beträchtlich, wenn Sie sich zusätzlich zu Ihrer Meditation bemühen, achtsam zu sein und zu beobachten, wie Ihr Verstand rund um die Uhr reagiert. Dann ist es für den reagierenden Verstand viel schwieriger, Sie mit Samskaras zu manipulieren, ohne dass Sie merken, was passiert.
Doch auch wenn Sie durchgängig achtsam sein könnten, oder wenn Sie von Morgen bis Abend meditieren könnten, so bleibt es eine Tatsache, dass die größeren Samskaras sehr gut darin sind, sich abzukapseln und sich zu schützen. Wenn eine Erfahrung traumatisch genug war, um einen erheblichen Eindruck als Samskara zu hinterlassen, dann wird der reagierende Verstand jeden erdenklichen Trick benutzen, um diesen Eindruck zu verbergen und ihn für Ihr Bewusstsein unzugänglich zu machen. Der manas / Verstand ist wesentlich so beschaffen, dass er alles tun wird, damit er nicht mit seinen Widersprüchen konfrontiert wird. Dazu benutzt er eine ganze Reihe von Schutzmechanismen. Das Paradox ist dabei in vielen Fällen, dass die Schutzmechanismen selbst schlussendlich bedeutend schmerzhafter sind und viel mehr Energie kosten, als nötig wäre, den Ursprung des Problems zu finden und es von der Ebene des Selbstbewusstseins her »zu verdauen«. Jedes Mal also, wenn Sie nahe daran sind, das Samskara zu sehen, lenkt der Verstand Ihre Aufmerksamkeit ab. Wenn nichts Drastisches unternommen wird, kann sich diese Situation über viele Jahre der Meditation hin fortsetzen. Sicherlich lösen Sie Samskaras während der Meditation, doch sind das normalerweise kleinere. Die großen bleiben unsichtbar.
Grundsätzlich zielen Techniken der Meditation auf die Entwicklung von Selbstaufmerksamkeit und Selbstbewusstsein, und in einigen Varianten auch auf den Aufbau feinstofflicher Körper. Sie sind jedoch nicht spezifisch darauf ausgelegt, Sie in Berührung mit Samskaras zu bringen. Um diesen Punkt zu illustrieren, möchte ich das Beispiel eines Boots und der Kraft benutzen, die es als Antrieb braucht. Sie können jeden Tag eine Stunde damit verbringen zu rudern – wenn das Boot vor Anker liegt, dann werden Sie zwanzig Jahre später immer noch an der selben Stelle sein. Meditation ist ein Prozess, der Sie ganz allgemein sich auf das Licht hin bewegen lässt, ohne sich spezifisch auf die Bindungen zu konzentrieren, die Sie zurückhalten. Das Beispiel des Boots zeigt, dass die Lösung nicht allein im Rudern liegt, sondern darin, von dem Anker loszukommen.
Natürlich können Sie auch an eine andere Lösung denken. Sie könnten mit einer derartigen Gewalt rudern, dass die Verankerung bricht. Das hieße die Kraft Ihrer Meditation in solchem Maße zu steigern, dass sogar die größeren Samskaras nicht widerstehen könnten und in Ihrem Bewusstsein explodieren würden. Das Problem dabei ist, dass Sie, um eine solche Intensität der Meditation zu erreichen, erst Ihre größeren Samskaras loswerden müssten, denn sie sind die hauptsächliche Einschränkung. Offensichtlich ist das ein Teufelskreis.
Selbst wenn Sie ein Vollzeit–Asket werden könnten und von Morgen bis Abend monatelang nichts anderes täten als zu meditieren – was Ihnen möglicherweise erlauben würde, die erforderliche Intensität zu erreichen – so wäre doch vom Konzept her etwas verkehrt daran, Ihre Energie zu erschöpfen, indem Sie versuchen, das Boot von der Stelle zu bewegen, während es verankert ist. Warum nicht erst den Anker lichten und dann fahren wohin man will? Sobald eine Hand voll emotional stark geladener Samskaras neutralisiert worden sind, wird Ihr Verstand auf einmal unvergleichlich ruhiger und erlaubt Ihnen eine viel größere Tiefe der Meditation.
Ein weiterer Punkt, den man deutlich verstehen sollte, ist, dass der Einfluss von Samskaras viel stärker geworden ist, als er noch vor einigen Generationen normalerweise war. In unserem Beispiel ist es nicht nur ein Seil, sondern es sind dutzende, wenn nicht hunderte von Seilen, die uns in der Nähe der Küste verankert halten, und die Seile sind außerdem solider geworden. Insbesondere waren die Meditationstechniken, die von den meisten östlichen Meistern im Westen gelehrt wurden, auf Schüler zugeschnitten, deren Emotionen sicherlich nicht so schroff und heftig waren, wie es unsere im Westen heute sind. In Indien vor einigen Jahrhunderten konnte sich ein übender wahrscheinlich auf eine spirituelle Praxis einlassen, ohne sich Sorgen machen zu müssen, ob seine emotionalen Blockaden die Intensität seiner Meditation beeinträchtigen würden. Die Zeiten haben sich jedoch geändert. Der allgemeine Neurosenpegel der Menschen ist derartig angestiegen, dass es unrealistisch geworden ist, die psychologische Dimension eines spirituellen Weges zu leugnen, und zu versuchen, die Erleuchtung zu erreichen, ohne systematisch an der Auflösung falscher emotionaler Muster zu arbeiten.
Ich behaupte gewiss nicht, dass Rückführung Meditation ersetzen sollte, sondern dass durch eine Kombination beider auf einem spirituellen Weg immens Zeit und Kraft gespart werden kann. Der gegenwärtige Zustand des menschlichen Astralkörpers ist so, dass Sie sich selbst in die Situation bringen, dass Sie versuchen das Boot zu rudern, ohne den Anker zu lichten, wenn Sie nicht spezifisch an Samskaras arbeiten.

5.5 Die Manifestation von Samskaras in der Meditation

Es gibt viele Weisen, in denen sich Samaskaras äußern können, während Sie meditieren, denn alle Reaktionen des manas / Verstandes können auf Samskaras zurückgeführt werden. Neben den Gedanken, die in der Meditation entstehen, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf zwei spezielle Mechanismen lenken.
Eine häufige Art, in der sich Samskaras in der Meditation manifestieren, ist durch Schmerzen in verschiedenen Körperteilen. Wenn Sie sich darangegeben haben, für eine lange Zeitdauer zu meditieren, sagen wir mindestens eine Woche lang fünf oder mehr Stunden am Tag, dann werden Sie bemerkt haben, dass zahlreiche Schmerzen entstehen, manchmal in Körperteilen, wo man es am wenigsten erwartet hätte. Teile Ihres Körpers, in denen Sie nie auch nur die geringsten Beschwerden hatten, tun Ihnen auf einmal fürchterlich weh.
Diese Meditationsschmerzen haben einige ungewöhnliche Merkmale. Erstens treten sie nur während der Meditation auf, und sie hören für gewöhnlich auf, sobald Sie den meditativen Zustand verlassen. Zweitens sind sie oft ziemlich unlogisch. Zum Beispiel fühlen Sie plötzlich einen Schmerz in Ihrer linken Schulter, während Sie in einer Position sitzen, die keinerlei direkte Auswirkung auf diesen Teil Ihres Körpers haben sollte. Drittens sind diese Schmerzen außerordentlich hartnäckig. Wenn Sie eine längeres Meditationsprogramm absolvieren, dann spüren Sie vielleicht den selben Schmerz an der selben Stelle jeden Tag und jede Stunde, die Sie meditieren, tagelang, ohne jede Besserung. Viertens ist es ein Hauptmerkmal dieser Schmerzen, dass sie mit der Intensität Ihrer Meditation zunehmen. Je tiefer Ihre Meditation ist und je mehr Sie sich mit der Energie verbinden, umso schlimmer wird der Schmerz. Sobald Sie aufhören zu meditieren, hört der Schmerz auf. Diese Meditationsschmerzen rühren direkt von Samskaras her. Sie zeigen, dass Ihre Meditation tief genug war, eines Ihrer größeren Samskaras zu berühren, und dass ein »Kampf« zwischen dem Samskara und dem Licht stattfindet. Um auf unser Beispiel zurückzukommen, so sind Sie das Boot, das Licht des höheren Bewusstseins zieht Sie vorwärts, doch das Samskara leistet hartnäckig Widerstand, wie der Anker, der Sie zurückhält. In vielen Fällen kann das jahrelang so weitergehen. Jedes Mal, wenn Sie die Energie in der Meditation aufbauen, tritt der Schmerz wieder auf. Jedes Mal, wenn Sie den Druck der Energie lockern – wenn Sie beispielsweise aufhören zu meditieren oder wenn Sie abschweifen, anstatt die Verbindung aufrechtzuerhalten – wird der Schmerz geringer oder hört auf. Dieses Muster tritt besonders drastisch auf, wenn Sie sich daranmachen, einige Wochen oder Monate den ganzen Tag hindurch zu meditieren – die Intensität der Schmerzen kann Ausmaße annehmen, die vollkommen unvernünftig sind. Bevor Sie sich auf eine solche Erfahrung eingelassen haben, können Sie einfach nicht wissen, wie viel Schmerz man in seinem Körper fühlen kann. In diesem Stadium können Sie für gewöhnlich erkennen, dass der Schmerz nicht nur physisch ist, sondern von emotionalem Druck begleitet wird. Doch in den meisten Fällen haben Sie nicht die dynamische Energie, diesen Druck zu lösen, einfach weil Ihre Meditation darauf abgestellt ist, Sie zum Licht hin zu ziehen, und nicht darauf, mit Samskaras umzugehen.
Zu Beginn einer IST–Sitzung, bevor Sie in den Zustand der Rückführung hineingehen, kommt es recht häufig vor, dass Klienten Schmerzen dieser Art in verschiedenen Körperteilen empfinden. Man benutzt für diese schmerzhaften Stellen gewöhnlich den Ausdruck »Fleck« (spot). Die Flecken sind direkte Manifestationen von Samskaras – die Mechanismen, die ihnen zu Grunde liegen, sind die selben wie die hinter den Schmerzen, die in tiefer Meditation entstehen.
Die Energie des IST–Prozesses wirkt jedoch anders als die der Meditation. Sie wirkt nicht als ein allgemeiner Zug nach oben, sondern besitzt eine spezielle Dynamik, die darauf abgestellt ist, die Samskaras aufzudecken und ihre Kraft zu neutralisieren. Mit anderen Worten, es ist eine Energie, die nicht daran arbeitet, das Boot zu rudern, sondern eine, die darauf spezialisiert ist, mit Ankern umzugehen. Daher wird man eine vollkommen andere Erfahrung machen; statt dass man den Schmerz und nichts sonst spürt, wird sich der Schmerz rasch in eine Emotion verwandeln. Sie werden zum Beispiel intensive Trauer oder intensiven ärger spüren. Sie werden eine Verbindung zu der emotionalen Ladung bekommen, die mit dem Samskara verbunden ist.
In diesem Stadium ist es die allgemeine Erfahrung, dass der Schmerz vollständig verschwindet, was für Anfänger recht verwirrend sein kann. Wie konnten Sie nur Sekunden zuvor einen so intensiven Schmerz fühlen, und doch verschwindet dieser Schmerz, sobald Sie sich der Emotion bewusst werden? Das Verschwinden des Schmerzes zeigt, dass die Schicht entfernt worden ist, die das Samskara eingekapselt hatte. Sie haben wieder Verbindung zu der Emotion bekommen, und die ganzen Umstände, die mit der traumatischen Episode zusammenhängen, beginnen in Ihr Bewusstsein zurückzukommen. Daher gibt es keine Notwendigkeit mehr für Schutzmechanismen. Die Bedingungen für eine Lösung der emotionalen Ladung des Samskaras sind gegeben.
Auf diese Art können Meditation und Rückführung zusammenarbeiten. Durch die Meditation werden Flecken (verborgene Samskaras) aufgedeckt, und durch Rückführung werden sie gelöst. Diese Lösungsprozesse erlauben wiederum eine tiefere Meditation, in der man mit tieferliegenden Samskaras in Berührung kommt, und so fort.
Natürlich brauchen Sie nicht zu meditieren, um mit Samskaras in Berührung zu kommen. Führen Sie einfach Ihr normales Leben, beobachten Sie Ihre Reaktionen, und Ihre Lebensumstände werden viele Emotionen mit sich bringen, die mit Ihren Samskaras in Zusammenhang stehen. Es sollte jedoch klar sein, dass Sie durch regelmäßige Meditation in Kontakt mit viel tieferen Problemen kommen. Das ist der Grund, warum Menschen, die viel meditiert haben, so schnell Resultate erreichen können, wenn sie sich einem Rückführungsprozess unterziehen. Ihre Meditation erlaubt es ihnen nicht nur, sich mit einer gewissen Anzahl von geringfügigen Problemen auseinander zu setzen, sondern sie bringt sie auch in Kontakt mit den wirklichen Monstern der Tiefe, den »Hauptsamskaras«. Ihnen fehlt zwar die dynamische Energie, mit ihnen umzugehen, doch sie haben Kontakt zu ihnen, was ein entscheidender Schritt in diesem Prozess ist.
Umgekehrt werden Menschen, die sich vielen Rückführungssitzungen unterzogen haben, überrascht sein, völlig neue Samskaras und unerwartete, zentrale Probleme zu entdecken, nachdem sie die Erfahrung tiefer Meditation gemacht haben. Ebenso, wie die Rückführung eine mächtige Ergänzung der Meditation sein kann, so wird auch die Meditation die Qualität der Rückführung beträchtlich vertiefen.

5.6 Wellen

Betrachten wir nun einen weiteren Mechanismus, durch den sich Samskaras während der Meditation manifestieren. Die Erfahrung, die wir jetzt beschreiben, ist von äußerster Wichtigkeit. Je nachdem, wie Sie damit umgehen, kann sie zu großen Fortschritten oder zu noch größeren Fehlern führen. Dieser Mechanismus hat mit den riesigen emotionalen Wellen zu tun, die unversehens ihr Bewusstsein überfluten, wenn Sie eine gewisse Tiefe der Meditation erreicht haben.
Die Art meditativer Zustände, die wir jetzt erörtern, kann man nicht erreichen, indem man nur ein paar Stunden am Tag meditiert, ganz gleich was für eine Technik man benutzt. Damit diese Wellen auftreten, ist für gewöhnlich ein vollständiger Rückzug von allen Aktivitäten notwendig, ist es notwendig, dass man wenigstens einige Wochen lang nichts anderes tut als zu meditieren. Die Erfahrung bedarf auch der totalen Isolation, oder zumindest, dass Sie während dieser Zeit nicht sprechen. Es sollte nichts geben, was Ihren Verstand ablenkt, keine Aktivitäten um Sie herum, kein Telefon, keine Post – nichts als nur meditieren, essen und schlafen. In manchen Initiationspraktiken findet das in einer unterirdischen Gruft statt, in vollkommener Dunkelheit; der umgebende Fels gewährleistet die Isolation von allen Schwingungen der Welt.
Die Prinzipien hinter einer solchen übung sind klar; zu einem großen Teil sind Sie ein Produkt Ihrer Umgebung. Ein erheblicher Teil Ihrer Emotionen und Gedankenmuster stammt einerseits von dem, womit Ihre Eltern, Freunde und Partner Sie geprägt haben, und andererseits von den Sinneseindrücken, die Sie seit Ihrer Geburt angesammelt haben. Man fragt sich daher, was denn außer diesem gesammelten Input und den Prägungen existiert. Was genau ist von Ihnen übrig, wenn man sie fortnimmt? Was ist denn in Ihnen ewig und nicht einfach nur ein Produkt Ihrer Umgebung?
Natürlich sollte man sich nicht ohne ausreichende Vorbereitung einer solchen intensiven Periode der Meditation unterziehen. Erst wenn Sie eine gründliche Arbeit an sich selbst hinter sich gebracht haben und eine solide emotionale Stabilität erreicht haben, sollten Sie solche lange Perioden ausschließlicher Meditation versuchen. Obwohl wir dabei sind, ein Zeitalter der Selbst–Initiation zu erreichen, würde ich außerdem empfehlen, dass Sie Rat und Schutz eines kompetenten Führers suchen, bevor Sie mit explosiven Praktiken wie diesen hantieren.
Was passiert nach einigen Wochen der ausschließlichen Meditation in Isolation? Sie entdecken einige völlig neue Zustände an sich selbst. Von Zeit zu Zeit geschehen öffnungen des Bewusstseins, und Sie erkennen, dass Sie bislang immer in einem bestimmten Rahmen gelebt haben, ohne je seine Grenzen zu überschreiten. Die Atmosphäre, die grundlegende Ausrichtung und die stereotypen Routinen in Ihrem Kopf sind immer die gleichen gewesen, doch Sie haben es gar nicht bemerkt, einfach weil Sie keinen Vergleich hatten. Da Sie nie etwas anderes erlebt hatten, haben Sie geglaubt, dass das alles sei, was möglich ist. Dann erkennen Sie auf einmal, dass man ganz anders sein kann. Mit einem Vergleich, den die hinduistischen Meister gerne benutzen, Sie hatten bislang die Welt nur durch eine grüne Brille betrachtet. Nun entdecken Sie, dass man sie auch durch gelbe Gläser, blaue Gläser, und sogar ganz ohne Brille sehen kann!
Zusammen mit diesen öffnungen tritt wahrscheinlich eine andere Erfahrung auf – unerwartete, plötzliche und ungeheuer leidenschaftliche Wellen von Emotionen oder Begierden. So werden Sie plötzlich von einem schier unwiderstehlichen Verlangen erfasst, in die Welt zurückzukehren und den Taoismus zu studieren. Binnen einer Minute wird das zum wichtigsten Gegenstand in Ihrem Leben – das eine Ziel, das Sie wirklich erreichen wollen und das den Schlüssel zur vollkommenen Erfüllung zu beinhalten scheint. Es ist, als ob Sie eine absolute innere Sicherheit darüber erreicht hätten, welche Richtung Sie einschlagen wollen. Während Sie vordergründig meditieren, beginnt Ihr Verstand hektisch, die ganzen Details auszuarbeiten: Welche Bücher Sie zuerst lesen sollten, wo und wie Sie einen Chinesischkurs besuchen könnten, wo Sie geeignete Kleidung kaufen und wie Sie einen taoistischen Meister finden könnten.
Dann findet einige Stunden später etwas sehr überraschendes statt: Eine neue Welle steigt auf, und sie hat überhaupt nichts mit der ersten zu tun. Sie spüren auf einmal ein schier unwiderstehliches Verlangen, den nächsten Flug nach New York zu nehmen, sich dort mit einem Freund oder einer Freundin zusammenzutun, den oder die Sie fünfzehn Jahre lang nicht gesehen haben, und sie oder ihn zu heiraten. Der Taoismus ist vollständig aus Ihrem Bewusstsein verschwunden und die frühere Sicherheit ist von einer neuen verdrängt worden: Das eine, was Ihrem Leben Erfüllung geben kann, ist aufzubrechen und jene Person zu heiraten – die nie vorher ein besonders enger Freund war, und die Sie über fünfzehn Jahre nicht mehr gesehen haben. Ihre Meditation verändert sich. Der Verstand arrangiert übereifrig die ganzen Einzelheiten der Reise: sie denken an das Reisebüro, wo Sie den Flugschein bekommen, daran, was Sie bei der Hochzeit tragen werden, wie Ihre Kinder heißen sollen, und so fort.
Wenn Sie diesen emotionalen Angriffen widerstehen und in ihrer meditativen Zurückgezogenheit bleiben können, statt den nächsten Flug nach New York zu nehmen, was passiert dann? Ein paar Stunden später, oder vielleicht auch erst am nächsten Tag schwappt eine neue Flutwelle über Ihr Bewusstsein hinweg und Sie möchten einen Verlag gründen, oder Schauspieler werden, Methodistenprediger oder Politiker.
Was an diesen Wellen am meisten beeindruckt, ist ihre Intensität. Sie scheinen aus dem Nichts zu kommen, wenn Sie sie am wenigsten erwarten. Ihre Gewalt und Leidenschaftlichkeit bringt Sie an die Grenze dessen, was Sie ertragen können. Sie müssen wirklich auf Ihre tiefsten Kraftreserven zurückgreifen, um weiterhin zu meditieren und sich nicht von ihnen fortschwemmen zu lassen. Die meisten Menschen neigen dazu zu glauben, dass sie einen unmissverständlichen Wink des Schicksals bekommen haben, wenn sie von einer solchen Welle getroffen werden. Sie glauben, dass sie den wahren Sinn ihres Lebens gefunden haben.
Es kann ein ganzes Leben dauern, irgendeinen dieser Vorsätze zu verwirklichen. Das ist einer der Gründe, warum Sie gut vorbereitet sein müssen, bevor Sie sich auf diese Art langer und intensiver Meditation einlassen. Wenn Sie der ersten Welle nachgeben und in Shanghai landen – was unter diesen Umständen außerordentlich rasch geschehen kann – , dann wird wohl kaum etwas Gutes dabei herauskommen. Die Entscheidung, nach China zu fliegen, ist nicht aus einem Bereich Ihres freien Willens getroffen worden, sondern war vom Druck eines Samskaras diktiert. Früher oder später wird ein anderes Samskara Sie in eine andere Richtung führen. Wenn Sie ihr Leben vom Kaleidoskop des manas / Verstandes beherrschen lassen, kann das Gesamtresultat nur ein Chaos sein. Selbst wenn Sie in China Erfolg haben sollten, wäre das ein »Samskara–Erfolg«. Sie hätten Ihren spirituellen Leitfaden verloren, und es könnte zwanzig Jahre dauern, bis Sie ihn wieder finden.
Wenn Sie andererseits den ersten Wellen widerstehen und in Ihrer Meditation fest bleiben können, dann haben die nachfolgenden Wellen weniger Macht über Sie. Sie werden sie mit den ersten vergleichen und sich davon überzeugen können, dass hier etwas Ungewöhnliches geschieht. Wie gut Sie jedoch auch immer vorbereitet sein mögen, Sie werden dennoch wahrscheinlich vor der Intensität dieser Begierden erschrecken. Es ist die Art von Verlangen, wie Menschen es normalerweise nur einmal in zwanzig Jahren empfinden, und die Sie dazu veranlassen kann, alles in ihrem Leben zu verändern. In einer tiefen Meditation kann Sie aber jeden Tag oder sogar alle paar Stunden eine neue Welle treffen. Wenn Sie einem Dutzend davon in einer Woche widerstehen mussten, dann wissen Sie wirklich, dass es sich um ein Produkt von Samskaras handelt, und dass Sie von Grund auf unecht und trügerisch sind. Dennoch bedarf es all Ihrer Entschlusskraft und der Hilfe Gottes, nicht der dreizehnten Welle doch nachzugeben. Schließlich, nach einer Zeit, die von Person zu Person recht unterschiedlich sein kann, hören diese Wellen auf und Sie entdecken, dass Sie eine vollkommen andere Person geworden sind.
Die Art und Weise, wie diese Wellen Sie ergreifen und Sie für kurze Zeit in hektische Aufregung versetzen, nur um wieder zu verschwinden und einer neuen Raum zu machen, lässt wenig Zweifel an ihrer Natur und ihrem Ursprung aufkommen – diese Wellen kommen von den tiefsten und intensivsten Samskaras her. Die meisten Menschen kommen während ihres ganzen Lebens nicht mit diesen hauptsächlichen Samskaras in Berührung. Der Druck Ihrer Meditation lässt die Samskaras eins nach dem anderen in Ihrem Bewusstsein explodieren. Geht man zu unserem Beispiel zurück, so wird die Kraft, die das Boot zieht, so stark, dass keine Bindung ihr widerstehen kann. Was die meisten Menschen nur in mehreren Leben erreichen können, wird so in wenigen Wochen vollendet.
Wenn einmal die Wellen vorbeigegangen sind, folgt die Erfahrung, neu geboren zu sein. So viele emotionale Ladungen sind aufgelöst worden, dass Ihr Bewusstsein sich vollkommen verändert hat, als wenn tonnenschwere Gewichte von ihrem Kopf genommen worden wären. Sie erkennen sich selbst kaum wieder. Ihr Leben ist unglaublich einfach geworden.

5.7 Keine größeren Entscheidungen während einer intensiven Meditation

Um mit solchen Wellen fertigzuwerden, ohne von ihnen fortgetragen zu werden, müssen Sie schon eine erhebliche Arbeit an Ihren Samskaras geleistet haben. Je mehr Sie Ihre Samskaras beobachtet haben, Ihrer Reaktionen in alltäglichen Situation gewahr geworden sind und nach den Ursprüngen Ihrer Konditionierungen gesucht haben, umso geringer ist die Gefahr, die Sie laufen, von den Gesängen der Sirenen [14] abgelenkt zu werden, wenn die »Stunde Gottes« kommt. In dieser Hinsicht ist die Rückführungsarbeit eine der besten möglichen Vorbereitungen, um die spirituelle Intensität der Augenblicke eines großen Erwachens zu ertragen und die Fallgruben der Samskaras zu vermeiden.

[14 Diese Erfahrung besitzt offensichtliche ähnlichkeiten mit der Begegnung des Odysseus mit den Sirenen, bei der seine Mannschaft ihn am Mast festbinden musste, damit er ihren lockenden Gesängen nicht folgte und sich nicht ins Wasser stürzte.]

So wie diese von Samskaras ausgehenden Wellen beschaffen sind, ist es nicht klug, irgendwelche wichtigen Lebensentscheidungen zu fällen, wenn man an einer intensiven Meditation teilnimmt oder sich einem intensiven Rückführungsprozess unterzieht. Auch wenn die Größenordnung viel geringer ist, so können doch ähnliche Wellen von Leidenschaft auftreten. Sollten Sie einer solchen Welle nachgeben und in diesem Augenblick für Ihr Leben wesentliche Entscheidungen fällen, dann kann es gut sein, dass Sie es späterhin bitter bereuen. Man muss es wiederholen, dass diese Entscheidungen nicht auf dem freien Willen und auf den wirklichen Aspirationen Ihres Selbst beruhen würden, sondern auf der Tyrannei der Samskaras. Es ist ein Gebot der Klugheit, erst den Meditationskurs oder den Rückführungsprozess zu Ende zu bringen und dann einige Wochen abzuwarten, bevor man wichtige Entscheidungen fällt.

5.8 Ein Hinweis zu den Knien

Die Knie sind eine Ausnahme von dem Muster der intensiven Schmerzen, die in tiefer Meditation aufgrund des Kontakts zu Samskaras auftreten.
Wenn ein Fleck in der Schulter, dem Rücken, oder irgendeinem anderen Körperteil außer den Knien unter dem Druck einer tiefen Meditation wehzutun beginnt, dann ist die beste Haltung dazu, reglos sitzen zu bleiben und den Fleck zu beobachten. Behalten Sie ihn einfach im Bewusstsein; wenn Sie sich bewegen würden, dann würden Sie nur den Druck der Energie verringern und das Samskara vermeiden. Beobachten Sie den Fleck einfach, und lassen Sie ihn durch Ihre Stille und Achtsamkeit reifen. Wenn er nicht verschwindet, behandeln Sie ihn durch Rückführung! Auf jeden Fall tun Sie ihrem Körper keinen Schaden, indem Sie still sitzen bleiben und die Intensität ertragen, die das Samskara erzeugt.
Wenn Sie jedoch in einer Lotus–, Halblotus– oder sonst einer Position mit gekreuzten Beinen sitzen, dann ist die Sache ganz anders, soweit sie Ihre Knie betrifft. Sehen Sie sich jemanden, der in der Lotusposition sitzt, einmal genau an. Was passiert, wenn er seine Ferse in die Nähe der Leistenbeuge bringt? Nicht das Kniegelenk wird gedreht, sondern das Hüftgelenk. Im Gegensatz zu dem, was man sich vielleicht vorstellt, ist es die Beweglichkeit der Hüften, durch die man die Lotusposition erreicht – nicht die der Knie. Die Beweglichkeit des Kniegelenks beruht auf winzigen Bändern, die man nicht sehr stark dehnen kann, ohne Schaden anzurichten.
Wenn Sie nach einiger Zeit der Meditation anfangen, Schmerzen in den Knien zu spüren, dann liegt es daran, dass sich die Hüfte verkrampft hat. Das Hüftgelenk hat sich einwärts gedreht, was eine erhöhte Belastung der Kniebänder zur Folge hat. Dieser Bänderapparat ist empfindlich, und man sollte ihn nicht über seine Grenzen hinaus dehnen. Wenn Sie ihn beschädigen, dann kann es Monate dauern, bis Sie wieder mit gekreuzten Beinen sitzen können.
Daraus folgt, dass man Schmerzen in den Knien immer respektieren sollte. Wenn Ihre Knie anfangen zu schmerzen, während Sie mit gekreuzten Beinen dasitzen, ändern Sie ihre Haltung. Setzen Sie sich auf einen Stuhl, wenn es sein muss. Wenn Sie hier stoisch die Schmerzen ertragen, um reglos sitzen zu bleiben, kann das wahrscheinlich mehr Schaden als Nutzen bringen.



Kapitel 6

Samskaras und körperliche Krankheiten

6.1 Ein Beispiel für von Samskaras hervorgerufene physische Schmerzen

Fallstudie – Lenka war eine 46–jährige Geschäftsfrau, die mich nach Jahren einer schweren Depression konsultierte. Unter ihren körperlichen Beschwerden gab es schreckliche Schmerzen in der Stirngegend, die durch nichts zu bessern schienen, und kolikartige Leibschmerzen. Bevor sie zu mir kam und die IST–Technik der Rückführung ausprobierte, hatte Lenka erfolglos die Hilfe einiger anderer Therapeuten in Anspruch genommen.
Kurz nach dem Beginn der ersten Sitzung wurde ein außerordentlich schmerzhafter »Fleck« links in ihrem Brustkorb festgestellt. Während sich Lenka mehr und mehr mit der Energie verband, löste dieser Fleck plötzlich ihre gewöhnlichen Kopfschmerzen und die Leibschmerzen in extremer Stärke aus. Es muss betont werden, dass ich in jener Sitzung kein einziges Mal Lenkas Kopf oder ihren Unterleib berührt habe; Lenka hatte auch nie vor dieser IST–Sitzung irgendwelche Beschwerden in der linken Hälfte ihres Brustkorbs gehabt.
Nach einem Augenblick sehr starker Schmerzen, während dem weiter an dem ursprünglich gefundenen Fleck gearbeitet wurde, veränderte sich die Schwingung im Raum auf einmal, und Lenka begann eine Episode mit besonders hoher Intensität wiederzuerleben.

Was fühlen Sie? [15]

[15 Wie bei den vorherigen Fallgeschichten wurden die Fragen am Anfang eines Absatzes vom Verbinder gestellt. Die Antworten sind die der Klientin.]

Mir ist kalt, mir ist so kalt. [Lenka zittert auch unter mehreren Decken.] Irgendwas Großes ist auf mich gefallen und begräbt mich unter sich. Es ist ein Felsblock. Mein Kopf tut weh. Und da gibt es ein Feuer. Viele Leute werden getötet ... ein Bild der Verwüstung. Es gab ein Erdbeben und jetzt ist da ein Brand, aber ich bin unter einem Felsblock begraben, deshalb werde ich nicht verbrannt.
Jetzt kommt Wasser. Das Feuer ist aus. Ich kann mich nicht bewegen, weil ich unter diesem Stein liege, und das Wasser läuft über mich weg. Oh! Es ist so schrecklich kalt! [Lenka zittert noch stärker als zuvor.] Es ist so eisig kalt, zum Erfrieren kalt. [Sie schreit:] Das Baby! Das Baby stirbt! Das bin ich da unter dem Felsbrocken, aber ich bin schwanger. Oh! Solche Schmerzen ... Es ist als ob ich alle meine gewöhnlichen Leibschmerzen auf einmal hätte.
Sie meinen, das ist genauso wie Ihre Leibschmerzen? – Die gleichen Schmerzen. Das Baby stirbt! [Eine Flut von Tränen.] Das Baby kommt, und da ist niemand, der mir hilft. Oh! Wenn ich doch bloß tot wäre! Es tut so weh, es tut so weh das Baby zu gebären. [Sie schluchzt:] Es ist tot. Ich weiß, dass das Baby tot ist. Oh! Das ist wieder dieser Schmerz im Kopf, als wenn mein Schädel entzwei ginge. [Sie schreit:] Es tut weh! Es tut weh! Mein Kopf ist aufgebrochen, richtiggehend aufgebrochen. Es tut so weh! Es ist schrecklich! Mein Gehirn kommt raus! Hier! [Sie zeigt auf die Stelle, wo sie üblicherweise den Schmerz in ihrem Kopf spürt:] Mein Kopf ist hier aufgeplatzt. Der Fels ... der Fels hat meinen Kopf zerschlagen. Ich wünschte, ich wäre tot. Es fühlt sich an, als sollte ich eigentlich tot sein, aber aus irgendeinem Grunde bin ich es nicht. O Gott! Es tut so weh!

Nach der Sitzung erzählte mir Lenka davon, dass sie immer Angst davor gehabt hatte, ein Kind zu bekommen, was plötzlich einen ganz neuen Sinn bekam, nachdem sie diese Episode wiedererlebt hatte. Sie war fünf Mal schwanger gewesen; zwei der Schwangerschaften waren abgebrochen worden, während die anderen drei in Fehlgeburten endeten.
Die Ergebnisse dieser Rückführungssitzung waren spektakulär. Binnen weniger Tage ließen sowohl die Kopfschmerzen wie die Leibschmerzen sehr stark nach. Nach einigen Wochen und einigen weiteren Sitzungen waren die Kopfschmerzen nahezu vollständig verschwunden. Die Depression besserte sich, und Lenka nahm keine Schmerz–, Beruhigungs– oder Schlafmittel mehr ein.


6.2 Samskaras manifestieren sich nicht nur im Verstand

In diesem Kapitel werden wir sehen, wie sich einige Samskaras nicht nur durch Emotionen und mentale Reaktionen äußern, sondern auch durch Störungen und Krankheiten des physischen Körpers.
Im letzten Kapitel hatten wir gesehen, dass Samskaras in intensiver Meditation oft physische Schmerzen in verschiedenen Körperteilen hervorrufen, und dass im IST–Prozess ähnliche schmerzhafte »Flecken« auftreten. Die Situation im IST–Prozess ist jedoch anders als die in der Meditation. Statt dass man nur die Schmerzen spürt, ohne je zu erkennen, was hinter ihnen steckt, wird eine energetische Dynamik aktiviert, die die Samskaras hinter dem jeweiligen »Fleck« zu Tage bringt. In den meisten Fällen hört der Schmerz auf, sobald der Klient Kontakt zu der Emotion und zu den Umständen bekommt, die mit dem Samskara in Verbindung stehen. Diese Wiederherstellung des Kontakts erlaubt es dem Klienten, das Samskara zu neutralisieren, indem er seine emotionale Ladung freisetzt.
Diese Erfahrungen sind von großem Interesse, denn sie erlauben es den Klienten, selbst wahrzunehmen, wie sehr Samskaras den physischen Körper »ergreifen« können. Die Intensität der physischen äußerungen während einiger Rückführungssitzungen ist derartig, dass die Klienten kaum Zweifel an dem Zusammenhang zwischen Samskaras und physischem Körper haben können. Im obigen Beispiel konnte Lenka es einfach nicht glauben, dass ich ihre Kopfschmerzen und Leibschmerzen präzise reproduzieren konnte, indem ich einfach Energie in eine Stelle ihres Brustkorbs legte. Es war eine deutliche Demonstration, dass ihre Probleme von mehr als nur physischen Ursachen herrührten.
Der Begriff der psychosomatischen Krankheiten, der impliziert, dass psychische Probleme und Belastungen physische Störungen hervorrufen, ist nicht neu. Die Bereicherung, die der Rückführungsprozess für psychosomatische Untersuchungen bietet, ist dass die Rückführung einen direkten Weg bietet, den wahren Ursprung der Krankheit oder Störung zu finden, der oft weiter zurückliegt als traumatische Erfahrungen der frühen Kindheit. Daher werden auch tief greifende Lösungen und Heilungen möglich. Das Wesen der Rückführung liegt darin, zu den Ursprüngen zurückzugehen. Wie wir sehen werden, kann eine Behandlung nicht als abgeschlossen gelten, so lange der Ursprung der Störung nicht bearbeitet worden ist, ganz gleich, was für eine Art der Therapie angewendet wird.
Bevor wir auf die schwierige Frage eingehen, was für ein prozentualer Anteil der Krankheiten durch Samskaras verursacht sein könnte, lassen Sie uns zunächst die Mechanismen betrachten, durch die Samskaras eine physische Störung hervorrufen. Wenn wir uns das Muster ansehen, das an Lenkas Rückführungsprozess sichtbar wird, dann sehen wir, dass es den bislang behandelten Emotionen, die mit Samskaras in Zusammenhang stehen, sehr ähnlich ist. Samskaras tendieren ihrer Natur nach dazu, die gleiche »Botschaft« endlos zu wiederholen. Sie sind darin mit einer Konditionierung verwandt. Wenn Sie verlassen worden sind und beinahe daran gestorben sind, dann neigt das Samskaras dazu, Sie in Situationen zu bringen, wo sich das selbe Drama der Zurückweisung wieder und wieder abspielt. Wenn Sie sich in einem früheren Leben in außerordentlichem Maße fremd und abgesondert gefühlt haben, weil Sie verkrüppelt waren, dann wird ihr Samskara dafür sorgen, dass Sie sich hier und jetzt fremd und menschenscheu fühlen, auch ohne dass es gegenwärtig einen logischen Grund dafür gibt. Viele durch Samskaras hervorgerufene Blockierungen verhalten sich wie festgelegte Rollen. Solange sie nicht eliminiert sind, bleiben Sie in einer endlosen Wiederholung dieser Rollen gefangen.
Wenn wir Lenkas Fallgeschichte analysieren, dann sehen wir, dass sie genau dem gleichen Muster folgt. In der Anwendung der Rückführung habe ich oft beobachtet, dass der Verlust eines Kindes, besonders in einem späteren Stadium der Schwangerschaft, einige der tiefsten möglichen Samskaras hinterlässt. Ein derartiges Samskara äußerte sich in Lenkas Leben in ihrer Angst davor, ein Kind zu bekommen. Ebenso führten die äußerst schlimmen Emotionen während des Eingeklemmtseins unter dem Felsen zu einer schweren Depression, die durch nichts zu erleichtern schien, bis sie sich dem Rückführungsprozess unterzog.
Die ursprüngliche traumatische Episode bestand jedoch nicht nur aus emotionalem Leiden; sie ging ebenso mit schrecklichen physischen Schmerzen einher. Ihr Schädel war durch den Felsblock aufgebrochen worden, und sie durchlitt die Schmerzen der Geburt unter absolut schrecklichen Bedingungen. Im gegenwärtigen Leben begann Lenkas Depression, als diese Samskaras reaktiviert wurden. Es war dabei nicht nur der emotionale Schmerz, der an die Oberfläche kam, sondern auch die physischen Störungen. Lenka begann, ihre Kopfverletzung in Form von Kopfschmerzen zu wiederholen, und die Schmerzen der Geburt durch Koliken. Dieses Schema ist identisch mit dem, das wir hinsichtlich emotionaler Muster beschrieben haben, allerdings mit einer zusätzlichen physischen Dimension. Ein Leiden aus der Vergangenheit überlagert sich der gegenwärtigen Lebenssituation. Auch wenn Lenka es nicht einsehen konnte, bevor sie sich dem IST–Prozess unterzogen hatte, so waren ihre physischen Störungen doch nichts anderes als die Wiederaufführung eines vergangenen Dramas in anderen Umständen.
Vom medizinischen Gesichtspunkt her ist es wesentlich zu verstehen, dass die Ursprünge von Lenkas Störungen wenn überhaupt dann nur sehr wenig mit ihren inneren Organen zu tun hatten. Wir sind viel näher an der Wahrheit, wenn wir Lenkas Krankheit »Bauchweh« nennen, und nicht eine »innere Erkrankung«. Es traf sich in ihrem Fall, dass eine Veränderung der Körperfunktionen ihrer Eingeweide der direkteste Weg war, auf dem das Samskara den Schmerz der Wehen und der Geburt nachbilden konnte. Doch das Samskara hätte sich auch äußern können, indem es den gleichen Schmerz in einem anderen Organsystem erzeugt hätte, zum Beispiel durch eine gynäkologische Störung, irgendetwas angefangen von prämenstruellen Spannnungszuständen bis hin zu Endometriosis oder sogar Krebs. Es ist dies eine typische Situation, wo die rigide Haltung eines Arztes, der sich auf ein einzelnes Organ oder Organsystem konzentriert, sei es der Verdauungstrakt oder der Uterus oder welches auch immer sonst, vollständig am Sachverhalt vorbeigeht und sich als unfähig erweist, irgendeine dauerhafte Besserung der Beschwerden herbeizuführen.


6.3 Passieren Unfälle zufällig?

Bei dem Fall, den wir gerade erörtert haben, sahen wir eine Klientin, die fast genau die gleichen Schmerzen empfand wie in der Episode, die das Samskara verursacht hatte; es kam jedoch durch ein anderes Organ und in anderen Lebensumständen zum Ausdruck. In einigen Fällen ist die Parallele zwischen den mit dem Samskara verbundenen Umständen und denen des physischen Leidens im gegenwärtigen Leben sogar noch offensichtlicher. Insbesondere wird die Bedeutung vieler Unfälle deutlich anders wahrgenommen, nachdem sich jemand einem Rückführungsprozess unterzogen hat. Hier ist ein kurzes Beispiel, einer von vielen ähnlichen Fällen, die mir in meiner Praxis begegnet sind.

Fallstudie – Lucie, 44, hatte seit ihrer Teenagerzeit an einen unangenehmen Gefühl links in der Leistenbeuge gelitten. Es war eine dumpfe, undeutliche Empfindung, irgendetwas zwischen einem Schmerz und einem Ziehen. Kein Arzt konnte aufgrund dieses Symptoms je eine physische Krankheit bei ihr feststellen, obwohl sie das Gefühl hatte, dass irgendwas nicht in Ordnung war. Die folgende Rückführungssitzung fand statt, als an diesem Gefühl in der linken Leiste gearbeitet wurde.

Wie fühlt sich Ihr Körper an, groß oder klein? Ich fühle mich sehr groß, und sehr stark. Ein richtig großer Mann. Er ist total wütend. Es ist mitten in einer Schlacht, als wäre es im Mittelalter. überall sind Menschen und liegen Leichen herum. Er kämpft mit einer schweren Waffe, einer Keule oder so, oder auch einem Schwert. Die Waffe ist außerordentlich schwer. Er ist rasend vor Wut. Er schreit und bewegt sich wie ein Verrückter. Er fühlt sich, als ob ihn gar nichts aufhalten könnte, er denkt, er wird sie alle umbringen!
[Dann schreit die Klientin auf einmal, als ob sie Schmerzen hätte.] Ah! Irgendetwas hat ihn in der Leiste getroffen. Der Schmerz ist schrecklich. Er fällt auf die Knie. Ich kann ihn sehen, wie er auf dem Rücken liegt. Er kann sich nicht bewegen. Irgendwas steckt in seiner Leiste, etwas wie ein Stück Metall. Es könnte ein Pfeil sein.
Was passiert um ihn herum? – Es fühlt sich wie ganz weit weg an. Der Kampf geht weiter, aber ich höre ihn, als wäre das in einiger Entfernung. Ich liege auf dem Rücken, ich kann mich mit dem Ding in meiner Leiste nicht bewegen. [16] Jetzt ist die Schlacht vorüber. Ich kann überall Leichen sehen. Es ist Nacht. Er ist blockiert, er kann nicht weiter. Er ist halb in und halb außer seines Körpers, als wäre er von dem Pfeil in seiner Leiste festgenagelt.

[16 Beachten Sie, wie Klienten dazu neigen, zwischen der ersten und der dritten Person hin– und herzuwechseln, wenn sie sich selbst in einer Episode eines früheren Lebens beschreiben.]

Bleibt er lange Zeit so liegen? – Es kommt mir wie eine lange Zeit vor. Er weiß, dass er tot ist, und es fühlt sich nicht richtig an, dass er dableibt. Sein Körper beginnt zu verwesen. Doch er kann nicht fort. Die Leiste hält ihn zurück.

Lucie hatte, als sie in ihren dreißigern war, einen Unfall (d.h. fünfzehn Jahre, nachdem sie begonnen hatte, den dumpfen Schmerz in der Leiste zu spüren, so dass man den Unfall nicht für die Beschwerden in dieser Körperregion verantwortlich machen kann). Ein Auto hatte sie angefahren, wodurch sie mehrfache Knochenbrüche in der linken Hüfte erlitt. Es ist nicht unvernünftig, wenn man eine Verbindung zwischen diesem Trauma und der Wunde des mittelalterlichen Kriegers herstellen möchte. Lucie selbst stellte diese Beziehung fest, sobald die IST–Sitzung vorbei war: »Der Schmerz in seiner Leiste fühlte sich genauso an wie meiner, als ich den Unfall hatte.«

Seit ich begann, Rückführung zu praktizieren, war ich beeindruckt von der Häufigkeit, mit der Unfälle mit einem ähnlichen Trauma zusammenfielen, das die Klienten entdeckten, während sie eine Episode eines früheren Lebens wiedererlebten. Wenn man weiß, dass es Jahre braucht, um die Voraussetzungen für eine Krebserkrankung in Ihrem Körper entstehen zu lassen, dann ist es nicht schwer sich vorzustellen, wie der manas / Verstand seine Rolle dabei spielen kann. Bei einem Autounfall jedoch, wenn jemandem innerhalb eines Sekundenbruchteils die Hüfte gebrochen wird, ist nicht so leicht, sich vorzustellen, dass der Verstand möglicherweise daran beteiligt ist! Was jedoch auch immer für ein Mechanismus der Synchronizität dabei mitwirken mag, dutzende ähnlicher Beispiele weisen darauf hin, dass es nicht zufällig ist, dass einige Menschen sich eher den linken Arm als das rechte Bein brechen, oder die Nase statt des Kreuzbeins. Im Gegenteil, viele Unfälle finden statt, als sei die Verletzung vorgezeichnet, und als ob die Person unbewusst – jedoch mit hoher Präzision – den Schlag anziehen würde. In diesen Fällen zieht das Samskara auch weiterhin Probleme an, solange es nicht neutralisiert ist, so wie eine Lampe nachts Motten anzieht.


6.4 Verschiedenartige Schmerzen am gleichen Meridian

In diesem Abschnitt werden wir betrachten, wie unterschiedliche physische Störungen von Leben zu Leben entlang des Verlaufs des gleichen Akupunkturmeridians wiederholt auftreten können.

Fallstudie – Sophia ist einundvierzig und leidet an einem starken Ischiasschmerz im rechten Bein (Gallenblasenmeridian). Die ärzte hatten sie sehr nachdrücklich gewarnt – wenn sie sich nicht operieren ließe, dann könnte es sein, dass sie schließlich einen Rollstuhl benutzen muss. Sie verweigerte jedoch eine Operation und entschied sich dafür, sich auf andere Weise zu heilen. Hier ist eine Passage aus einer wesentlichen Rückführungssitzung, die den Verlauf ihrer Krankheit veränderte.

Was fühlen Sie jetzt? – Mir ist kalt, schrecklich kalt. [Obwohl es ein heißer Sommertag in Sydney ist, zittert Sophie vor Kälte und möchte mehr Decken haben.] Ich war im Wasser, aber jetzt bin ich am Strand gelandet. Da ist niemand. Ich bin ganz allein. Ich habe Angst, und es ist kalt. Es ist eine weitläufige Gegend. Der Strand scheint immerfort weiterzugehen. Ich kann den Himmel sehen.
Können Sie etwas hören? – Ja, die Wellen.
Haben Sie Schmerzen? – Nein, aber Taubheit. Ich kann nicht gehen. Ich sitze mit ausgestreckten Beinen da, aber ich kann nicht aufstehen. Mein rechtes Bein ist vollkommen ohne Gefühl. Ich bin aufgeregt. Erst dachte ich, dass es Furcht sei, doch nun ist es vor allem das Gefühl von Hilflosigkeit. Ich weiß nicht, was ich machen soll! Ich kann nicht dort bleiben, das führt zu nichts. Doch gleichzeitig kann ich mich nicht bewegen, wegen meinem Bein. Ich möchte bei den anderen sein, auf dem Schiff. Ich kann mich nicht genau erinnern, was geschehen ist, wie ich dahin gekommen bin. Es ist ein Seemann, und er ist ziemlich aufgeschmissen. Er kann einfach sein rechtes Bein nicht bewegen.
Ist das Gefühl im Bein ähnlich wie das, das Sie jetzt spüren [in ihrem Leben in Australien, im zwanzigsten Jahrhundert]? – Ja, die Taubheit im Bein am Strand ist genau im selben Bereich, wo ich jetzt den Ischisasschmerz spüre. [Gallenblasenmeridian]
Ist es genauso? – Es ist nicht der gleiche Schmerz, doch das Gefühl dahinter ist genau das selbe.
Wenn Sie den Ischiasschmerz bekommen, haben Sie dann auch ähnliche Gefühle wie der Mann am Strand? – Ja, ich fühle mich verzweifelt, denn der Schmerz scheint nie wegzugehen. Er fühlte sich auch verzweifelt, weil er keine Möglichkeit hatte, von diesem Ort wegzukommen. Das Gefühl ist das gleiche.
Wenn Sie diese Verzweiflung in Ihrem [gegenwärtigen] Leben fühlen, ist das Ihre oder seine? – Es kommt mir mehr wie seine vor. Nein, in Wirklichkeit ist es ganz und gar seine Verzweiflung.

Aus diesem Beispiel sehen wir, dass der gegenwärtig auftretende heftige Schmerz der Klientin nicht Teil der ursprünglichen Episode war. Alles, was der Seemann spürte, war die Taubheit in seinem Bein. Doch der Ort von Sophias Schmerz ist der gleiche geblieben (der Verlauf des Gallenblasenmeridians auf der Außenseite der Hüfte und des Beins). Auch die begleitende Emotion, die hilflose Verzweiflung, ist dieselbe.

Auch wenn die Klientin nicht die gleichen Symptome zeigte wie der gestrandete Seemann, so hatte sie doch den Eindruck eines gemeinsamen »Geschmacks«, der die beiden Situationen verband. Dies ist ausgesprochen charakteristisch für physische Schmerzen, die von einem Leben zum anderen überdauern. In ähnlichen Fällen machen Klienten oft Bemerkungen wie »Es ist nicht der gleiche Schmerz, doch das Gefühl dahinter ist das gleiche«, oder: »Es ist die gleiche Schwingung«. Solche Vorfälle im Rückführungsprozess sind ein äußerst günstiges Zeichen, sie deuten auf eine große Chance zu einer Besserung hin. Sie zeigen, dass der Klient mit einem Samskara in Berührung gekommen ist, das den physischen Beschwerden zu Grunde liegt. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass eine Besserung eintreten wird, sobald das Samskara gelöst ist.
Nach dieser Rückführungssitzung begann der Ischiasschmerz beträchtlich nachzulassen, allerdings nicht vollständig. Einige weitere Episoden, die mit dem gleichen Samskara zu tun hatten, mussten noch aufgedeckt werden, bevor eine endgültige Heilung erreicht werden konnte. Hier ist eine der Rückführungssitzungen, die folgten.

Zu Beginn der Rückführungssitzung schien Sophia sehr viel Schmerzen zu haben. Sie zuckte und bewegte sich, als würde sie gegen unsichtbare Feinde ankämpfen.

Was geschieht jetzt? Ich kann Leute um ein Feuer herum sitzen sehen. Jemand hat einen brennenden Ast genommen. Er benutzt ihn, um mich hier zu brennen. [Sophia zeigt auf eine Stelle an der Seite ihres rechten Fußes.] Ich sitze, und sie halten mich fest. Es ist das selbe Gefühl von Hilflosigkeit. Ich versuche, mich zu verteidigen, und dann höre ich auf zu kämpfen. [Sophia wird wieder ruhig.]
Warum? – Ich weiß, sie tun es nicht, um mir wehzutun. Ich weiß, ich muss das durchmachen. Deshalb versuche ich stillzuhalten. Es sieht wie eine Zigarre aus... jetzt spüre ich den Schmerz nicht mehr. Die Zigarre ist noch da, aber der Schmerz ist viel geringer geworden. Sie haben das als eine Behandlung gemacht, weil ich verletzt war. Der Mann mit der Zigarre war eine Art Doktor.
Gibt es eine ähnlichkeit zwischen jenem Schmerz und Ihrem Ischiasschmerz? – Oh, ja, die sind ganz genauso! Doch da war es im Fuß, nicht im Bein. Ich habe [im gegenwärtigen Leben] nie Schmerzen im Fuß.
Wie sehen diese Leute aus? – Nicht sehr groß. Kurzes dunkles Haar. Sie leben in einer Wüste. Es sind einige Frauen dabei. Sie lachen mich gutmütig an und geben mir etwas zu trinken. Sie sagen, dass ich sehr viel Glück gehabt habe, dass sie mich gefunden und behandelt haben. Es war ein Unfall. Irgendwas hat mich an der Hüfte getroffen. Ein Kamel. Ich bin von einem Kamel getreten worden, und ich lag in der Wüste, vollkommen hilflos, unfähig mich zu bewegen. Es ist immer das gleiche Gefühl. Ich kann mich nicht bewegen, als ob ich an dieser Stelle sterben würde. Es ist schiere Verzweiflung.

In dieser Rückführungssitzung gab es ein bedeutsames Element: Die Stelle, auf die die Klientin an ihrem Fuß zeigte, war der Akupunkturpunkt Gallenblase 41. In dieser Episode wurde der Schmerz im Fuß genau entlang des Verlaufs dieses Meridians gespürt. Der Ischisasschmerz, unter dem Sophia seit Jahren litt, lag auf dem selben Meridian, doch äußerte er sich in der Hüfte und im Bein, nicht im Fuß. So entsteht eine interessante Kontinuität zwischen den verschiedenen Episoden – sie alle spielen sich entlang des gleichen Akupunkturmeridians ab, doch in verschiedenen Teilen davon und mit unterschiedlichen Modalitäten. Dieses Muster ist nicht ungewöhnlich; ich habe es bei einer Reihe von Klienten beobachtet. Einige Menschen scheinen Leiden am gleichen Meridian von einem Leben zum anderen zu wiederholen.
Diese Sitzung brachte einer weitere Besserung, doch erst nach einigen weiteren Rückführungssitzungen wurde eine endgültige Heilung errreicht. Hier ist eine weitere wichtige Episode, die Sophia erlebte.

Wo sind Sie jetzt? – Ich gehe, ich gehe! Ich habe sie verlassen und ich gehe meinen eigenen Weg.
Wer sind »sie«? – Der Stamm. Sie wollten, dass ich bei ihnen bleibe, aber das ist mir nicht richtig vorgekommen. Das bin ich, aber ich in der Zukunft, nicht in diesem Leben. Ich habe lange gezögert, und sie haben Druck auf mich ausgeübt, damit ich bei ihnen bleibe. Gruppendruck, und das Gewicht von Gebräuchen und Traditionen. Ich sollte bei ihnen bleiben und so sein wie sie, doch ich habe es gewagt fortzugehen. Ich fühle mich so frei! Ich gehe, ich renne, die Hügel entlang und in ein Tal hinein. Jetzt, wo ich mich entschieden habe, fühlen sich meine Beine vollkommen frei an. Ich brauche nicht so zu sein wie sie. Ich kann einfach ich selbst sein, was immer sie auch denken mögen. Ich weiß, ich werde nie zurückgehen.
Am Ende dieses IST–Prozesses war Sophias Ischiasschmerz vollständig verchwunden, ohne jede Art von medizinischer Behandlung, und er ist nie zurückgekommen. Sie konnte nicht nur stundenlang im Busch wandern, sondern auch Balken tragen und an Bauarbeiten teilnehmen. Und doch hatten Chirurgen auf Röntgenbildern ihrer Wirbelsäule derartige Schäden festgestellt, dass sie ihr selbst bei einer Operation nur eine düstere Prognose gestellt hatten. Dieses Beispiel zeigt, wie falsch es wäre zu glauben, dass IST nur psychosomatische Beschwerden bessern kann und nicht auch physische Störungen.

6.5 Keine direkte Entsprechung zwischen physischer Störung und Samskara

Bislang haben wir nur Beispiele erörtert, bei denen eine offensichtliche Beziehung zwischen dem Samskara und der physischen Störung bestand. Es ist jedoch wichtig sich bewusst zu sein, dass in vielen Fällen das, was vom Samskara her »überlagert« wird, von dem ursprünglichen traumatischen Eindruck ziemlich verschieden ist. Mit anderen Worten, der Schmerz oder die Störung, die hier und jetzt von dem Samskara erzeugt werden, können ganz anderer Art sein als die, die man erlebte, als man sich das Samskara zugezogen hat.

Fallstudie – David, ein dreiunddreißigjähriger AIDS–Patient
Was fühlen Sie? – Ich falle. Ich habe keinen Körper, ich bin einfach in einem dunklen Raum, und ich falle.
Wo bringt Sie das hin? – In einen seltsamen Ort. Man kommt dahin, bevor man geboren wird. Man kann von da aus sehen, was auf der Erde geschieht. Ich kann sehen, wie ich in eine Gebärmutter gehen muss und den ganzen Mist. Ich will einfach nicht gehen. Ich will einfach dort bleiben, in diesem Raum, aber ich habe nicht wirklich die Wahl. Ich muss gehen, aber ich will nicht. Ich will nicht in diese Unordnung. Ich will nicht geboren werden.
Haben Sie in Ihrem Leben manchmal das gleiche Gefühl gehabt? Ich glaube, das war immer irgendwo im Hintergrund, das Gefühl, dass ich eigentlich nicht hier sein wollte.
Sagen Sie, was ist der Unterschied zwischen diesem Gefühl und einem Wunsch zu sterben? – Ich glaube, da gibt es keinen großen Unterschied! Tief drinnen weiß ich, dass die einzige Art, wie ich hier wegkomme, das Sterben ist.
Sie meinen, dass Sie all die Jahre mit einem Wunsch zu sterben irgendwo im Hintergrund gelebt haben? Hm, ja, ich denke schon. [David lachte und wurde dann für einen Augenblick sehr still.]

Der nächste Schritt im Rückführungsprozess wäre gewesen, den Ursprung der Sehnsucht zu finden, aus der heraus er nicht auf der Erde sein wollte, mit anderen Worten, den traumatischen Eindruck zu finden, aus dem der Todeswunsch herrührte. Dies war jedoch Davids erste und letzte Rückführungssitzung. Vor unserem nächsten Termin musste er ins Krankenhaus eingeliefert werden; er starb ein paar Tage später.
Das Syndrom »Ich will nicht auf der Erde sein« ist durchaus nicht selten. Der Rückführungsprozess zeigt, dass eine große Anzahl von Menschen solche samskarischen Muster mit sich herumtragen, und sich nur mit großem Zögern im Leib ihrer Mutter verkörpert haben. In vielen Fällen äußern sich diese Muster nicht als Todessehnsucht und führen zu keiner größeren Krankheit – sie führen lediglich zu einem Mangel an Motivation und zu einem Zögern, sich auf weltliche Angelegenheiten und Beschäftigungen einzulassen.
Es sollte klar sein, dass ich nicht behaupte, dass AIDS durch Rückführung geheilt werden kann! Wenn ich irgendeine Schlussfolgerung aus der obigen Fallgeschichte ziehen sollte, so wäre das die folgende: Wenn ein Patient einen starken Wunsch zu sterben in sich trägt, ganz gleich, an was für einer Krankheit er leidet, dann kann ich nicht sehen, wie man eine endgültige Lösung für das Problem finden soll, ohne dass man an diesem Wunsch zu sterben arbeitet, und zwar unabhängig von sonstigen Behandlungen. Wenn einmal eine Krankheit im physischen Körper aufgetreten ist, dann mag es für eine Heilung nicht ausreichen, die negative verstandesmäßige Konditionierung auszulöschen, um eine Heilung herbeizuführen. Es ist daher nur vernünftig, Therapiemethoden anzuwenden, die den physischen Zustand verbessern. Doch wäre eine solche physische Behandlung für sich allein schon ausreichend? Ist es vernünftig, wenn man hofft, eine Krankheit zu heilen, ohne ihre Ursachen behoben zu haben? Und selbst wenn auf diese Art eine Heilung möglich wäre, wäre sie dauerhaft oder nur eine vorübergehende Linderung, bis sich das wirkliche Problem in anderer Weise wieder äußert?

6.6 Kann man eine Krankheit heilen, ohne ihre Ursache zu behandeln?

Primum non nocere, »vor allem nicht schaden«, das war ein wesentliches Prinzip der Medizin des Hippokrates. Heutzutage scheint es unglücklicherweise in Vergessenheit geraten zu sein. Die konventionelle moderne Medizin zielt darauf ab, mit den Symptomen der Patienten fertig zu werden. Wenig Beachtung, wenn überhaupt, findet die Tatsache, dass einige dieser Symptome tatsächlich vom Körper bei dem Versuch benutzt werden, tiefer liegende Störungen zu beheben. Wenn dies der Fall ist, dann hilft es dem Patienten nicht unbedingt, wenn man die Symptome unterdrückt. Wenn die wirkliche Ursache (die vielleicht nichts mit dem manifesten Symptom zu tun haben muss) nicht behandelt wird, was geschieht mit dem Patienten, sobald das Symptom »kuriert« ist? Diese Frage ist besonders relevant, was Krankheiten angeht, die mit Samskaras zu tun haben.
Nehmen Sie an, eine physische Krankheit ist durch ein Samskara verursacht. Die emotionale Ladung des Samskara findet einen zeitweiligen Ausdruck in einem physischen Symptom. Nehmen Sie weiter an, dass der Patient Tabletten bekommt, die die Symptome beheben, ohne das Samskara zu beseitigen. Was wird geschehen? Das Samskara wird sich einen neuen Weg suchen müssen, auf dem es seine emotionale Ladung zum Ausdruck bringen kann. Es wird sich durch andere mentale oder physische Symptome manifestieren, die vielleicht schlimmer sind als die ursprüngliche Störung! Früher oder später werden neue Störungen auftreten, möglicherweise mit weit größerer Intensität, denn die natürliche Abfuhr der emotionalen Ladung ist blockiert worden. Das bedeutet, dass man Patienten nicht notwendigerweise hilft, wenn man ihre Symptome beseitigt, wenn man ihnen dabei keine Chance gibt, mit den Samskaras hinter ihnen in Berührung zu kommen. Die folgende Fallgeschichte ist typisch für eine Krankheitsgeschichte, die endlos so weiter hätte gehen können, wenn das zu Grunde liegende Samskara nicht neutralisiert worden wäre.

Fallstudie – Alexander ist siebenundzwanzig und ist immer verhältnismäßig gesund gewesen, abgesehen von einer Ansammlung von Problemen, die alle im gleichen Körperbereich angesiedelt waren: der rechten Seite des Unterleibs. Im Alter von acht Jahren begann er, unter immer wieder auftretenden Schmerzen im Bereich des rechten Darmbeins zu leiden. Eines Tages wurde der Schmerz plötzlich sehr schlimm, und ein Chirurg entschied, dass es sich wahrscheinlich um eine Blinddarmentzündung handelte. Alexander wurde ohne jeden Nutzen operiert, denn der Blinddarm stellte sich als vollkommen normal heraus. Fünf Tage nach der Operation jedoch brach die Narbe wieder auf, und eine zweite Operation wurde notwendig. Es entstand eine große Narbe, die die Probleme der Energiezirkulation in dieser Körperzone verschlimmerte.
Fünf Jahre später trat genau der selbe Schmerz wieder auf, doch sehr viel intensiver. Diesmal waren sich alle Chirurgen einig, dass es wirklich nach einer Blinddarmentzündung aussah – nur war der ja bereits entfernt worden. Verschiedene Tests wurden durchgeführt, um die Ursache zu finden, doch ohne jeden Erfolg.
Im Alter von vierundzwanzig Jahren erlitt der junge Mann heftige Anfälle einer Nierenkolik, wiederum auf der rechten Seite. Er schied schließlich auch einen Stein aus und bestätigte so die Diagnose eines Nierensteinleidens.
Obwohl sich die Diagnosen der ärzte im Laufe der Zeit verändert hatten, hatte dieser junge Mann das Gefühl, dass es immer der gleiche Schmerz war, der wieder und wieder auftrat. Die Intensität war manchmal größer, manchmal geringer, doch der Eindruck von dem Schmerz, sein »Geschmack«, war immer der gleiche. Der selbe »Geschmack« wurde auch sogleich identifiziert, als er in der Rückführung wiedererlebte, tödlich verwundet worden zu sein.

Was fühlen Sie? – Verzweiflung. Diesmal werde ich nicht kämpfen. Ich bin bereit zu sterben. Ich kann sie kommen sehen. Es ist so einfach. Ich warte einfach eine winzige Sekunde lang, anstatt zu schießen. Sie schießen zuerst. Es fühlt sich an, als sei ich bereits aus meinem Körper heraus, als würde ich mir die Situation von oben her anschauen. Ich kann den Mann schießen sehen, und wie die Kugel unglaublich langsam fliegt, und dann meinen Körper erreicht. Der Schmerz in meiner rechten Seite, das ist mein alter Schmerz, genau der selbe. Er zieht mich für eine Sekunde in meinem Körper zurück. Alles wird schwarz. Ich kann danach nichts mehr sehen.

Nach vier weiteren Rückführungssitzungen, in denen an der gleichen Episode gearbeitet wurde, verschwand der Schmerz und trat nicht wieder auf.

6.7 Samskaras und die Entstehung von Krankheiten

In diesem Kapitel haben wir einige Beispiele für körperliche Krankheiten betrachtet, die durch Samskaras verursacht waren. Das führt uns offensichtlich auf Fragen wie »Rühren alle Krankheiten von Samskaras her?«, oder: »Welche Krankheiten können durch Rückführung geheilt werden?«
Unser physischer Körper ist ein außerordentlich gut konstruiertes und dauerhaftes Werkzeug, wenn wir bedenken, dass wir uns nicht besonders um ihn kümmern und dass es für gewöhnlich mehr als ein halbes Jahrhundert dauert, bis wir ihn kaputtgekriegt haben. Was Robustheit angeht, so können da nicht viele unserer technischen Errungenschaften mithalten. Der Körper ist auch zu vielerlei Anpassungen fähig. Man kann zum Beispiel ganz gut mit nur zehn Prozent einer Niere leben, und ein Lungenflügel ist für ein gedeihliches Leben ausreichend. Damit eine Krankheit auftreten kann, braucht es normalerweise nicht nur einen einzigen auslösenden Faktor, sondern eine Ansammlung von Ursachen, einige davon äußerlich, einige auch in unserem Innern.
Es wäre unvernünftig und auch ein wenig dogmatisch, die Bedeutung äußerlicher Faktoren für die Entstehung von Krankheiten zu leugnen. Wenn Ihr Körper mehr als eine bestimmte Strahlungsdosis aufnimmt, sei es von einer von Menschen gemachten Strahlungsquelle her oder aufgrund der Erschöpfung der Ozonschicht, dann wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit Krebs entwickeln. Wenn Sie bestimmte Gifte zu sich nehmen, dann verursacht das unwiderrufliche Gewebeschäden, und so fort. Trotzdem mag es sein, dass einige dieser äußerlichen Faktoren Sie erreichen, weil Sie sie angezogen haben. So haben wir zum Beispiel gesehen, dass es möglich ist, dass Unfälle gar nicht ganz zufällig passieren. Wir wissen auch, dass im Falle einer Epidemie einige Menschen nicht krank werden, obwohl sie den Krankheitserregern ausgesetzt waren. Es wird deutlich, dass bestimmte individuelle Faktoren Ihre Empfindlichkeit für äußerliche Krankheitsursachen in starkem Maße beeinflussen.
Es wäre ausgesprochen schwierig, wollte man in wissenschaftlicher Manier versuchen, den Anteil zu bestimmen, den Samskaras bei der Entstehung von Krankheiten spielen. Machen wir uns klar, dass heutzutage auf den Gebieten der Biologie und Psychologie etwas als »wissenschaftlich« erklärt wird, wenn es bei Ratten funktioniert und wenn man Statistiken darüber aufstellen kann. In dieser Hinsicht haben Ratten Samskaras. Man könnte auch wahrscheinlich Statistiken über Rückführung aufstellen. Doch es gibt einen offensichtlichen Mangel an neuen theoretischen Modellen in den Biowissenschaften, mit denen man verstehen könnte, warum verschiedene Individuen so unterschiedlich auf die gleichen äußeren Umstände reagieren. Das Material, das durch die Rückführung zusammenkommt, enthält gewiss viele Elemente zu einer Antwort auf diese Fragen. Von dem her, was wir von Samskaras gesehen haben, können wir die folgenden Schlussfolgerungen ziehen:


  • Einige Samskaras erzeugen physische Störungen, und nicht nur solche funktioneller Art. Alle Arten von Leiden können von dem Einfluss von Samskaras herrühren, von einfachen Kopfschmerzen angefangen bis hin zu Krebs.
  • Wenn einmal ein Samskara eine physische Störung erzeugt hat, dann gewinnt sie eine Eigendynamik und wird nicht notwendigerweise wieder verschwinden, nur weil man an dem Samskara arbeitet. Es erscheint daher logisch, jede angemessene physische Behandlung anzuwenden, die erforderlich sein mag. Doch die physischen Störungen zu behandeln, ohne an den Samskaras hinter ihnen zu arbeiten, wird die Probleme des Patienten nicht lösen; es kann sie sogar schlimmer machen.
  • In den meisten Fällen dauert es eine ziemlich lange Zeit, bevor sich aus einem Samskara eine Krankheit entwickelt. über Jahre hinweg ist da nur eine funktionelle Störung, oder sogar nur ein »unangenehmes Gefühl« irgendwo im Körper, ohne alle weiteren Symptome. Je früher das Problem behandelt wird, umso besser ist die Chance, dass die physische Störung beseitigt wird, indem das Samskara aufgelöst wird, ohne dass eine anderweitige Behandlung notwendig ist.
  • Wenn Sie einen »Fleck« irgendwo in Ihrem Körper spüren, dann bedeutet das nicht, dass eines Tages in dem jeweiligen Körperbereich eine Krankheit entstehen wird! Erstens führen die meisten Samskaras nie zu irgendeiner Krankheit oder physischen Störung. Zweitens, wenn sie zu einem Leiden führen, dann ist der »Fleck«, an dem ein Samskara im Rückführungsprozess oder in der Meditation gespürt wird, oft an einer anderen Stelle angesiedelt als die physische Störung.

Die Ansammlung von Samskaras im Astralkörper hat ein Niveau erreicht, das man leicht als »kollektive Neurose« bezeichnen könnte. Unsere Gesellschaft ist krank vor Samskaras, und an der Schwelle der Katastrophe. Durch eine systematische Auflösung von Samskaras durch Rückführung können unabsehbare zukünftige Probleme – sowohl mentaler wie physischer Art – vermieden werden.
Was für eine Art von Krankheiten kann durch Rückführung geheilt werden? Wie bei den meisten Methoden des Heilens hängt die Wirksamkeit nicht so sehr von der Art der Krankheit ab, sondern von der Verfassung des Patienten. Rückführung erfordert nicht, dass Sie an frühere Leben glauben, aber sie erfordert geistige Offenheit und eine gewisse Entschlossenheit, Problemen ins Auge zu sehen, anstatt vor ihnen davonzulaufen. Krank zu werden ist für viele Menschen ein Weg, den sie benutzen, um zu vermeiden, die Quelle ihrer inneren Konflikte zu sehen. Wenn das der Fall ist, dann kann ein Erfolg nur dann erreicht werden, wenn der Patient bereit ist, diese Konflikte anzuerkennen und als seine eigenen wahrzunehmen – und nicht jeder ist dazu bereit.
Ich habe Rückführung spektakuläre Ergebnisse bei einem weiten Bereich physischer Störungen herbeiführen sehen, von Hautproblemen bis zu Geschwüren im Unterleib, und von Inkontinenz bis zu bestimmten Formen von Lähmungen. Ich bin Zeuge vieler Besserungen des Zustands geworden, die andere ärzte überrascht haben oder die sie dazu geführt haben, zu behaupten, es sei nichts geschehen, weil die Resultate mit ihrem Verständnis von der Krankheit nicht zu vereinbaren waren. Ich würde jedoch gewiss Rückführung nicht als ein Allheilmittel darstellen. Denn ich habe auch gesehen, wie sie vielen anderen Patienten, die an genau denselben Arten von Krankheit litten, keine Linderung oder Heilung schaffen konnte.
Als Abschluss dieses Kapitels mag es interessant sein, über eine einfache Tatsache nachzudenken, die ich über die Jahre hinweg beobachtet habe. Im IST–Prozess sind diejenigen Klienten, die die beeindruckendsten Heilungen erfahren, für gewöhnlich eben die, die die Technik nicht in erster Linie ihrer Heilung wegen gebrauchen, sondern als ein Mittel der Selbsterkenntnis.



Kapitel 7

Das Ende der Samskaras

7.1 Schlangen in Seile verwandeln

Ein wesentliches Ergebnis des IST–Prozesses ist es, Ihnen das Vorhandensein und die Wirkungsweise von Samskaras bewusst zu machen. Wenn Sie den Mechanismus der Samskaras verstehen und Ihr emotionales Verhalten analysieren, werden Sie bestimmte Muster identifizieren. Dann werden durch den IST–Prozess eine Reihe von Samskaras aufgedeckt, von denen Sie nichts vermutet hätten. Einige traumatische Eindrücke Ihrer Vergangenheit werden in Ihr Bewusstsein zurückgebracht, und Sie werden sofort Bezüge zu gegenwärtigen Emotionen und konditioniertem Verhalten herstellen können. Die einfache Tatsache, dass Sie sehen, wie ein fehlerhafter Mechanismus in Ihrem Verstand abläuft, trägt schon den größeren Teil dazu bei, ihn zu neutralisieren. Das Samskara ist immer noch da und überlagert seine Emotionen auf Ihr Bewusstsein – doch Sie können es passieren sehen, und dadurch wird es schon viel weniger problematisch.
Es gibt viele Gründe dafür, warum dies so ist. Wenn die Ursache eines Schmerzes nicht erkannt werden kann, dann erscheint einem der Schmerz automatisch stärker. Nehmen sie an, Sie sind am Strand, und Sie ziehen sich nach dem Schwimmen ihr Hemd über. Plötzlich fühlen Sie einen stechenden Schmerz in der linken Seite des Brustkorbs. Er ist so intensiv, dass er Ihnen den Atem nimmt und Sie sich hinsetzen müssen. Sogleich beginnen Sie an einen Herzanfall oder an irgendeine andere schreckliche Krankheit zu denken, und eine Kette von Assoziationen folgt – Krankenhaus, Krankenkasse, und so fort. Verzweiflung macht sich breit! Eine Minute später erkennen Sie plötzlich, dass eine Wespe sich in Ihrem Hemd verfangen hatte, und dass der Schmerz daher kam, dass sie Sie gestochen hat. Das bringt Ihnen sogleich Erleichterung! Die »Verletzung« ist genau die gleiche, doch Ihr Leiden daran verringert sich um mehr als die Hälfte. Die Ursache ist einfach; ein paar Sekunden zuvor hatten Sie eine Herzattacke, und nun sind Sie einfach von einem Insekt gestochen worden. Auch wenn die Ursache Ihrer physischen Schmerzen genau die gleiche ist, lässt ihr Leiden beträchtlich nach.
Ein klassisches Beispiel der hinduistischen Tradition illustriert dieses Muster. Es ist eine Geschichte, die von vielen Meistern erzählt wird – sie stammt aus einem Text der Veden, der Astravakra–Gita genannt wird. Diese Gita ist nach dem großen Weisen Astavakra benannt, der physisch »achtfach behindert war« (asta = acht, vakra = verbogen), und doch war er einer der großen Lehrer von ewigem Segen seiner Zeit. Astravakra benutzt das Beispiel einer Schlange, die ein großes Durcheinander bei einer Versammlung auslöst. Wenn die Schlange entdeckt wird, bricht Panik unter der Menge aus, alle fangen an zu schreien und durcheinander zu laufen. Dann findet auf einmal jemand heraus, dass die Schlange gar keine Schlange ist, sondern ein zusammengerolltes Seil! Sofort hört die Aufregung auf. Alles wird wieder normal, und die Leute beginnen, über ihre eigenen Reaktionen zu lachen.
Jedes Mal, wenn Sie von einer Emotion gepackt werden, verändert die Tatsache, das Samskara dahinter zu sehen, vollständig Ihre Perspektive, gerade so, wie in dem Augenblick, als die Schlange sich in ein Seil verwandelte oder der Herzanfall in einen Insektenstich. Es ist nicht mehr Ihr Chef oder Ihr Partner, der grausam zu Ihnen ist, es ist nicht die Welt, die es darauf abgesehen hat, Ihnen wehzutun. Es ist einfach ein kleiner Mechanismus in Ihnen, der seinen Text abspielt. Es ist ein Samskara, und sonst nichts.
Ein nur intellektuelles Verstehen dieser Prozesse wird Ihnen jedoch nicht viel helfen. Jemand, der versuchen würde, diese Prinzipien anzuwenden, ohne die direkte Erfahrung der Rückführung (oder die einer anderen spirituellen Methode, um tief verwurzelte Samskaras aufzudecken und bewusst zu machen) zu haben, wäre einem Mann ähnlich, der sich, wenn er eine Schlange sieht, zu überzeugen versucht: »Es ist keine Schlange, es ist ein Seil.« Das ganze Unterfangen würde nur zum Gespött. Was nötig ist, ist, dass Sie die Samskaras sehen können und bewusst mit ihnen wieder eine Verbindung herstellen, und genau das ist es, was der IST–Prozess Ihnen ermöglicht. Denn die »Magie« (maya) der Samskaras ist so beschaffen, dass man wohl sich selbst etwas vormachen kann, doch man kann sie nicht betrügen. Solange Sie nicht sehen, dass die Schlange ein Seil ist, wird das Seil Sie genauso schlimm beißen, wie es die Schlange tun würde. Dadurch, dass Sie eine Technik wie IST anwenden und Ihre Reaktionen während Ihrer alltäglichen Beschäftigungen beobachten, werden Sie sich auf die Freiheit zubewegen, nicht aber, indem Sie Bücher über dieses Thema lesen.
Das Beispiel von der Schlange und dem Seil lässt Sie auch verstehen, warum kleine Kinder durch Emotionen so leicht verletzt werden können. Ihr logisches Denkvermögen ist noch nicht entwickelt. Wenn ihnen etwas geschieht, dann können sie es nicht rationalisieren – es gibt keine schützenden Barrieren. Jedes Mal, wenn sie ein Seil für eine Schlange halten, haben sie deshalb keine Möglichkeit, sich durch Vernunftsgründe zu schützen. Die Situation mag ganz harmlos sein, doch ihnen kommt es vor, als sei ihr Leben bedroht. Sie können nur in Panik verfallen, so wie Sie es tun würden, wenn Sie mitten in der Nacht von einem unbekannten Tier angefallen würden und keine Möglichkeit hätten, sich zu verteidigen oder zu davonzulaufen. Das erklärt, warum geringfügige Umstände bei kleinen Kindern bedeutsame Samskaras erzeugen können.


7.2 Samskaras sind lächerlich klein

Es gibt einen weiteren Grund, warum das Sehen der Samskaras automatisch einen großen Teil des Leidens neutralisiert: Wie groß auch immer die Emotionen sein mögen, die aus ihnen entstehen, die Samskaras selber sind nichts anderes als winzige Samen, lächerlich klein verglichen mit dem Aufruhr, den sie in Ihrem Bewusstsein erzeugen. Impulse, die von den Samskaras herkommen, werden im Astralkörper verstärkt, wie wenn ein Gegenstand zwischen zwei Spiegeln endlos vervielfältigt wird. Ohne diesen Mechanismus könnten Emotionsausbrüche einfach nicht passieren, oder zumindest würden sie nie die gleiche Intensität erreichen.
Die IST–Technik zielt darauf ab, eine direkte Wahrnehmung der Samskaras als Samen im Astralkörper zu erreichen. Bevor Sie von ärger oder irgendeiner anderen Emotion durchgeschüttelt werden, muss eine Welle von einem Samskara ausgehen. Denken wir an die Abfolge zurück, die wir oben erörtert haben: Reiz – Samskara – Reaktion bzw. Emotion.
Im Zentrum unserer Rückführungsmethode steht die Fähigkeit, die Wellen der Emotion wahrzunehmen, die aus einem Samen, einem Samskara herkommen. Dies erfordert die Entwicklung einer neuen Qualität von Wahrnehmung. Zunächst müssen Sie lernen, wahrzunehmen, wie sich Samskaras in Ihrem Energiekörper bemerkbar machen. Das ist eines der ersten Resultate, wenn man IST praktiziert – Sie fühlen Ihre Samskaras deutlich als »Fleck« in verschiedenen Teilen Ihres Energiekörpers. Diese Wahrnehmung ist weder vage noch irgendwie »ätherisch«, sondern genauso greifbar und handfest wie die der Hitze, wenn Sie Ihre Hand in die Nähe eines Feuers halten. Samskaras hören auf einmal auf, Theorie zu sein, Sie können sie selbst spüren.
Eine zweite wesentliche Fähigkeit, die entwickelt werden muss, ist eine gewisse Achtsamkeit während der alltäglichen Verrichtungen. Was auch immer Ihre Methode spiritueller Entwicklung sein mag, ohne die Kultivierung von Achtsamkeit kann nichts Entscheidendes geschehen. Wenn Sie versuchen, an Ihren Samskaras zu arbeiten, ohne sie zu beobachten, während sie Sie manipulieren, dann ist der Kampf von vornherein verloren. Ein entscheidender Teil des Prozesses besteht darin, Ihre eigenen Reaktionen in verschiedenen Situationen zu beobachten.
Das bedeutet nicht, dass Sie Ihre Emotionen unterdrücken müssen. Diese Methode verlangt nicht von Ihnen, dass Sie aufhören, ärgerlich zu sein, Ihre Freunde anzuschreien oder mit Geschirr um sich zu werfen. Doch während Sie mit diesem alltäglichen, gewohnheitsmäßigen Verhalten beschäftigt sind, müssen Sie in der Tat achtsam sein, was bedeutet, sich selbst zu beobachten, wie Sie von der Emotion erfasst werden, und das Samskara hinter der Emotion zu spüren. Eine beharrliche Wachsamkeit während Ihrer täglichen Aktivitäten ist erforderlich. Für diese Art der Achtsamkeit brauchen Sie nicht zu sehen, wie und warum das Samskara entstanden ist. Sie brauchen nicht die Episode wiederzuerleben, während der es sich Ihnen eingeprägt hat. Sie brauchen nur den Samen des Samskara in Ihrem Energiekörper – den »Fleck« – zu spüren und die emotionale Welle, die daraus entspringt.
Dieser Prozess erfordert keine besonderen Gaben oder übersinnliche Wahrnehmungsfähigkeiten, doch er erfordert eine hohe Ausdauer. Er impliziert, dass Sie Stunde für Stunde, Minute für Minute Ihre Reaktionen auf Menschen und Situationen beobachten. Wenn Sie beharrlich in dieser Hinsicht vorgehen, dann werden Sie nach und nach in der Lage sein, die emotionalen Wellen auf immer früheren Stufen ihres Entstehens aus den Samskaras wahrzunehmen – eine große Leistung. Sie werden dann entdecken, dass zwischen der Auslösung des ärger–Samskaras und dem Augenblick, wo Sie anfangen, Teller zu zerbrechen, ein ziemlich langer Weg liegt. Wenn Sie diese Arbeit der Achtsamkeit nicht auf sich genommen hätten, bestände das Problem darin, dass die ganzen Reaktionen, die von der Auslösung des Samskara zum Zerbrechen des Geschirrs führen, extrem schnell abgelaufen wären, und ohne, dass Sie etwas davon bemerkt hätten. Indem Sie systematisch Ihre Reaktionen beobachten, werden Sie einer Reihe von Zwischenstufen gewahr, auf denen die Emotion verstärkt wird.
Eine große Entdeckung besteht darin, dass die Welle der Emotion, wenn Sie sie so sehen können, wie sie anfänglich aus dem Samskara herauskommt, überraschend klein ist. Es ist nur eine kleine Schwingung, sie hat kaum eine emotionale Färbung an sich. Es braucht dann die ganze Magie (maya) Ihres Astralkörpers, diese geringfügige Schwingung zu einer regelrechten Emotion zu verstärken und Sie reagieren und alle möglichen Dinge tun zu lassen, die zu tun Sie sich nie entschließen würden, wenn Sie nur von Ihrem freien Willen her bestimmt wären. Außerdem hat viel von dieser Verstärkung gar nichts mit dem Samskara selbst zu tun; es ist in einer Art Gewohnheit des Astralkörpers begründet. Der Astralkörper vergrößert emotionale Schwingungen; das ist es, woraufhin er konditioniert wurde. Es geschieht auch alles so rasch, dass Sie noch nicht einmal mitbekommen, dass es geschieht.
Die Situation wird eine ganz andere, wenn Sie systematisch Achtsamkeit üben. Jedes Mal, wenn eine Emotion entsteht, können Sie sehen, wie sie sich entwickelt, Stufe für Stufe. Sie können sogar jede Stufe vorhersehen, während der Prozess abläuft: »Ich fühle den Fleck des Samskaras, daher weiß ich, dass ich bald die Schwingung spüren werde, die aus ihm entsteht. Nun fühle ich die Schwingung, und ich weiß, dass sie wachsen wird. Nun ist die Schwingung gewachsen, und ich weiß, dass ich die Emotion fühlen werde. Da ist sie, der erste Anflug von ärger zeigt sich in meinem Verstand. Nun wächst er, ich kann fühlen, wie die Schwingung des ärgers mein Blut erreicht und mit ihm fließt, nicht mehr lange, und ich werde anfangen zu schreien. So, jetzt schreie ich und zittere. Ich werde bald mit den Tellern werfen.«
Sobald Ihre Bewusstheit einmal so weit gesteigert ist, ist es natürlich hochgradig unwahrscheinlich, dass sie die Stufe des Tellerwerfens so leicht erreichen werden. Unter dauerhafter Beobachtung werden viele sich wiederholende emotionale Muster so unerträglich, dass sie aufgegeben werden. Sie sehen, wie Sie immer wieder auf die gleiche Art reagieren: »Nun werde ich wieder das fühlen. Und dann werde ich einmal mehr die selben Worte sagen. Und dann werde ich wieder das–und–das tun«, und so weiter. Wenn sie erst dann erkennen, dass Sie von zerstörerischen Emotionen fortgerissen worden sind, nachdem es passiert ist, dann können Sie nicht mehr viel daran machen. Wenn Sie darauf aufmerksam werden, während es geschieht, ist die Situation ganz anders.
Ein weiteres wichtiges Resultat der Achtsamkeit besteht darin, dass bestimmte Verstärkungsmechanismen des Astralkörpers einfach nicht mehr ablaufen können. Lassen sie uns erneut das Diagramm der feinstofflichen Körper betrachten, das wir in Kapitel 4 eingeführt haben.
Der Reiz wird durch die Sinne des physischen Körpers aufgenommen, durch den ätherkörper weitergeleitet und erreicht so den Astralkörper. Dann führt die Wirkung des Samskara dazu, dass der Impuls an der Ebene des Selbstbewusstseins vorbeigeht. Eine Abfolge von Reaktionen findet in Ihrem Astralkörper statt, was den Verstärkungsmechanismen entspricht, die wir eben beschrieben haben. Wenn die Ebene des Selbstbewusstseins jedoch nicht umgangen wird, dann wird der Ablauf ein vollständig anderer. Der Astralkörper verliert seine Vorherrschaft, und viel von seiner »Chemie« wird durch das Licht des höheren Selbst automatisch neutralisiert. Das bedeutet, dass die mechanischen Reaktionen des Astralkörpers automatisch unterbleiben, wenn Ihr Bewusstsein des Selbst stark genug ist. Die schwache Stelle des Astralkörpers besteht darin, dass er nur dann frei wirksam werden kann, wenn Sie sich dessen nicht bewusst sind. Je achtsamer Sie auf sich selbst werden, je mehr Sie also die Träger an der Spitze des Diagramms einbeziehen, wenn Sie Wahrnehmungen von der Welt empfangen, umso weniger kann Sie der Astralkörper manipulieren wie eine Marionette. Die Führerschaft des Selbst tritt an seine Stelle und die Macht der Konditionierung vergeht.
Man muss einmal mehr betonen, dass in diesem Prozess keine Unterdrückung angewandt wird. Wenn einige Emotionen aufhören einzutreten, dann liegt es nicht daran, dass Sie irgendetwas getan hätten um sie zu blockieren oder abzuwehren. Es liegt daran, dass ihre maya fortgefallen ist. Auf jeden Fall jedoch: Was ist eine Emotion wert, die verschwindet, sobald Sie sich Ihrer bewusst werden? Wenn eine Emotion verschwindet, nur weil man sie beobachtet, dann kann sie nicht besonders in etwas Wirklichem gegründet sein. Dies bietet einen weiteren Weg, den Unterschied zwischen Emotionen und Gefühlen zu verstehen. Wenn ein Gefühl in Ihnen aufkommt, dann wird es umso stärker, je mehr Sie sich dessen bewusst sind. Wenn eine Emotion hochsteigt, dann tendiert sie dazu, umso schneller zu verschwinden, je bewusster Sie sind. Wenn Sie das selbst wieder und wieder erfahren können, dann wird Ihnen der illusionshafte und künstliche Charakter der reagierenden Emotionen so deutlich werden, dass Ihre Ansichten darüber, was in Ihrer Psyche wirklich und unwirklich ist, sich vollständig verändern werden.
Lassen Sie uns versuchen, den Unterschied zwischen einer klaren Sicht auf emotionale Wellen und ihrer Unterdrückung genauer zu verstehen. Wenn eine Emotion von einem Samskara ausgeht, ist sie ziemlich klein und harmlos. Je stärker das Bewusstsein des Selbst ist, umso weniger ist es möglich, dass diese kleine Schwingung zu einer großen Reaktion mit Adrenalinausschüttung usw. aufblüht. Sie bleibt einfach so, wie sie ist, und verschwindet wieder. Anstatt die Größe eines Elefanten anzunehmen, behält sie die einer Küchenschabe. Unterdrückung entspricht einem gänzlich anders gearteten Mechanismus: Die Schwingung blüht zu einer Emotion auf – zu ärger, zum Beispiel – und dann verbergen Sie den ärger, anstatt ihn auszudrücken. Das Hauptproblem dabei besteht darin, dass die Energie des ärgers wahrscheinlich in Ihrem Innern die Art von Schaden anrichten wird, die die Meister der Veden wohl mit den Auswirkungen eines wütenden Elefanten in Ihrem Garten verglichen hätten.


7.3 Reaktion versus Bewusstheit

Das Schema, das wir eben beschrieben haben, weist darauf hin, dass Sie auf jedem Stadium der Entwicklung einer emotionalen Welle entweder reagieren oder achtsam sein können, aber nicht beides zugleich. Es gibt Augenblicke, in denen Sie nicht achtsam sind und die Reaktionen mechanisch ihren Lauf nehmen. Doch wenn sie achtsam sind, bricht die Kette der Reaktionen ab. Die ursprüngliche Schwingung, die vom Samskara herkommt, blüht nicht zu einer regelrechten Emotion auf, sondern klingt sanft aus. Natürlich ist die Situation am Anfang nicht immer so klar unterschieden. In einer Reihe von Fällen sind Sie sich bewusst, dass Sie reagieren, doch obwohl Sie sich dessen bewusst sind, nimmt die Kette der Reaktionen in einem gewissen Maße immer noch ihren Lauf, und reaktive Emotionen finden immer noch statt.
In diesem Prozess gibt es einen Konflikt zwischen zwei verschiedenen Teilen Ihrer selbst: Auf der einen Seite steht die Achtsamkeit auf sich selbst, auf der anderen Seite der Astralkörper mit seinen automatischen Reaktionen. Je mehr das Licht des Selbst in Ihr Bewusstsein von sich fällt, umso mehr neutralisiert es die falschen chemischen Reaktionen, die von Ihrem Astralkörper erzeugt werden. Doch es gibt dabei einen Teufelskreis, denn es sind gerade die Samskaras, die verhüten, dass das Licht des Selbst scheint! Der Prozess der Befreiung ist daher zweifach: Einerseits geht es darum, das Bewusstsein des Selbst zu stärken, und andererseits darum, die Macht des reagierenden Verstandes zu verringern, indem man so viele Samskaras wie möglich neutralisiert. Das erstere entspricht den verschiedenen Prozessen der Meditation, der Initiation, den Ritualen und so fort, während am Letzteren durch die IST–Technik gearbeitet werden kann.
In grob überzeichneten Weise könnte man sagen, dass am Anfang der Arbeit an sich selbst das Bewusstsein nur aus den Reaktionen des Astralkörpers besteht, ohne jedes Bewusstsein seiner selbst. Am Ziel einer solchen Arbeit scheint das Selbstbewusstsein des höheren Selbst ungehindert, denn die Reaktionen des Astralkörpers sind ausgelöscht und durch Gefühle ersetzt worden. Während man diese Arbeit vollbringt, sind unterschiedliche Anteile sowohl des Selbstbewusstseins wie der Reaktionen gegenwärtig, und sie wirken aufeinander ein.

7.4 Emotionale Ladungen lösen

Um den Griff des reagierenden Verstandes zu schwächen, wird sich eine Maßnahme als besonders wirksam erweisen – die Auflösung der emotionalen Ladungen, die mit einer begrenzten Anzahl von extrem mächtigen Samskaras verbunden sind. Einige Samskaras sind mit fürchterlichen emotionalen Energien aufgeladen, entweder, weil sie sich in dramatischen Umständen eingeprägt haben – wenn Sie gefoltert worden sind, oder wenn Sie Ihre Kinder vor Ihren Augen haben sterben sehen – oder weil traumatische Umstände Sie getroffen haben, als Sie besonders verletzlich waren, so wie es bei kleinen Kindern der Fall ist, die nicht den Schutz des rationalen Denkvermögens haben und die einige Ereignisse auf eine Weise vergrößern, die in keinem Verhältnis zu ihrer wirklichen Natur stehen. Diese Haupt–Samskaras haben enorme emotionale Ladungen an sich angelagert, die die Spannung der gesamten astralen Ebene erhöhen.
Wenn Sie die Art untersuchen, wie der reagierende Verstand funktioniert, werden Sie sehen, dass alles daran einem Gesetz der Polaritäten folgt. Eine Gemeinsamkeit aller Emotionen besteht darin, dass sie Sie entweder zu etwas hinziehen, oder Sie von etwas abstoßen. Eine Emotion ist nie neutral, sie hat immer eine Polarität an sich, die Sie in eine Richtung drängt oder Sie in die andere Richtung zieht. Das könnte eine gute Definition einer Emotion abgeben: eine astrale Polarität, die anzieht oder abstößt. Vom Gesichtspunkt des Astralkörpers her kommt es nicht auf die Richtung an, sondern auf die Tatsache, dass es da eine Polarität gibt, eine Ladung. Vereinfacht gesagt ist es für den Astralkörper nicht grundlegend wichtig, ob Sie jemanden lieben oder begehren, oder ob Sie diese Person hassen und verachten. Worauf es ankommt, ist die Intensität, mit der die innere Ladung gespürt wird, und wie unwiderstehlich Sie in die Liebe oder in den Hass hineingeworfen werden.
Das führt uns dazu, zwei verschiedene Gründe zu unterscheiden, warum eine Emotion Besitz von Ihnen ergreift. Natürlich gibt es da das bestimmte Samskara, das ausgelöst wird und durch die Emotion reagiert, und hinter dem Samskara gibt es eine bestimmte Episode aus Ihrer Kindheit, oder aus Ihren früheren Leben, oder aus beidem. Ein weiterer wesentlicher Grund ist jedoch die allgemeine »Spannung« Ihres Astralkörpers. Je mehr Haupt–Samskaras Sie haben, umso mehr werden deren emotionalen Ladungen alle Ihre anderen Samskaras nähren und Sie heftig reagieren lassen. Sobald Sie also damit beginnen, Ihre Haupt–Samskaras zu lösen, wird Ihr emotionales Leben bedeutend einfacher und gerät viel weniger leicht außer Kontrolle. Das liegt daran, dass die allgemeine Spannung, die »Voltzahl« des Astralkörpers, bedeutend abfällt.
Eine weitere Konsequenz ist, dass ein emotionales Problem nie unabhängig von der gesamten emotionalen Ebene betrachtet werden kann. Wenn Sie Ihren Partner anschreien, dann liegt es wahrscheinlich nicht allein an dem bestimmten Samskara, das mit dieser Emotion von ärger zu tun hat, sondern wahrscheinlich auch an den verschiedenen Monstern in der Tiefe. Es sind die Ladungen dieser Mega–Samskaras, die Ihren ärger speisen. Daher wird nur ein globaler Ansatz, der mit dem reagierenden Verstand als ganzem arbeitet, wirkliche Fortschritte bringen.
Indem sich Ihre Sicht erweitert, werden Sie erkennen, dass die Situation durch Interaktionen mit Ihrer Umgebung weiter verkompliziert wird. Es sind nicht nur die emotionalen Ladungen Ihrer eigenen Haupt–Samskaras, die die Spannung Ihres Astralkörpers hoch halten, sondern auch die der Menschen, mit denen zusammen sie leben und arbeiten. Dieser Einfluss sollte jedoch nicht übertrieben werden, denn er wirkt nur innerhalb bestimmter Grenzen. Außerdem ist es nicht gesund, Ihre Nachbarn für Ihre eigenen Launen verantwortlich zu machen. Die Geschichte der Spiritualität ist voll von Menschen, die metaphysische Freiheit unter den denkbar ungünstigsten Umständen erreicht haben. Dennoch ist der Astralkörper keine so klar abgegrenzte Ebene wie es der physische Körper ist, er empfängt emotionale Impulse und Energien aus seiner Umgebung. Man kann jedoch nur wiederholen, dass diese Einsicht nicht als Entschuldigung gelten kann, und dass jeder für sein Verhalten verantwortlich bleibt. Denn wenn Ihr Astralkörper vollständig transformiert wäre, würde er nicht von spontan entstandenen kollektiven astralen Wellen in Mitleidenschaft gezogen werden. Dennoch mag dies Ihnen Hinweise darauf geben, warum Sie sich vielleicht plötzlich niedergeschlagen oder »lahm« fühlen, wenn bestimmte Ereignisse in der Welt ein großes Maß an Leiden verursachen.


7.5 Die spirituelle Perspektive

Nachdem wir erörtert haben, wie wichtig es ist, den Astralkörper mit seinen vielen Samskaras zu reinigen, um Freiheit zu erlangen, ist es nun an der Zeit, die entgegengesetzte These zu betonen. Wenn sich die Arbeit an sich selbst nur mit den Samskaras beschäftigt, dann gerät sie schließlich in einen Leerlauf. Wenn Sie Ihren Blick nur auf Emotionen richten, ohne je höhere Bewusstseinsstufen zu erfahren, dann kann das durchaus damit enden, dass Sie immer nur an Ihren Emotionen arbeiten. Dies trifft natürlich nicht nur für die Rückführung zu, sondern ebenso für jede andere Form der Psychotherapie oder der psychologisch orientierten Selbsterfahrung.
Wir haben erörtert, dass ein erhebliches Risiko besteht, eine gewisse Tiefe zu erreichen und nie in der Lage zu sein, darüber hinauszukommen, wenn Sie meditieren, ohne in einer systematischen Weise an Ihren Samskaras zu arbeiten, denn Sie sind an Ihre Samskaras gebunden wie ein Boot an einen Anker. Doch wenn Sie das Gegenteil davon tun, wenn Sie nur an Samskaras arbeiten, ohne zu meditieren und höhere Zustande des Bewusstseins zu entwickeln, dann erreichen Sie eine bestimmte Tiefe der Gefühle und stagnieren dort. Sie räumen einige emotionale Blockierungen fort, sie klären einige Probleme, und dann verfallen Sie in eine Lähmung, weil Ihrem Bewusstsein das höhere Licht fehlt, um weiter in die Tiefe vorzudringen. Es besteht eine wechselseitige Abhängigkeit zwischen dem, wie hoch Sie aufsteigen und wie tief Sie hinabsteigen können. So lange Sie nicht mit höheren Bewusstseinszuständen in Berührung gekommen sind, ist es außerordentlich schwierig, die tiefsten Schichten des Astralkörpers und seine Haupt–Samskaras zu erreichen.
Das Problem ist insofern heimtückisch, als man auf seinem Weg vollständig blockiert sein und doch eine ganze Menge Erlebnisse von emotionaler Lösung haben kann, was einem den falschen Eindruck vermitteln kann, man mache Fortschritte. Sie kennen wahrscheinlich einige Menschen, die sich in dieser Situation befinden. Sie verfangen sich in irgendeiner Form von auf Emotionen ausgerichteter Therapie, und sie scheinen nie fähig zu sein, sie hinter sich zu lassen. Sie werden besser und immer besser darin, ihre Emotionen auszudrücken, sie können immer mehr weinen, immer lauter schreien. Sie gehen fortwährend zu Seminaren, bei denen sie »haufenweise Sachen klären«. Doch zehn Jahre später arbeiten sie immer noch an ähnlichen emotionalen Blockierungen, nehmen an therapeutischen Seminaren teil und »klären haufenweise Sachen« – in ihrem Leben hat sich nichts Grundlegendes geändert. Das bedeutet, dass ihre Arbeit ausschließlich horizontal war. Sie erforschen immer mehr Probleme, die auf der selben Ebene ihres Bewusstseins liegen, und sind nie im Stande, tiefer vorzudringen.
Wenn man an Samskaras arbeitet, dann darf man nie eine Tatsache vergessen – Samskaras sind endlos! Man kommt nicht dadurch vorwärts, dass man mehr und mehr Samskaras klärt, sondern indem man tiefere und tiefere löst, bis man an die eigentliche Quelle der Anstrengungen des reagierenden Verstandes, seines Ergreifens und Festhaltens kommt. Das kann nicht geschehen, ohne dass man immer wieder, regelmäßig, höhere Zustände des Selbstbewusstseins erreicht, was für gewöhnlich eine Form von Meditation erfordert. Wiederum trifft dies nicht nur für die Rückführung zu, sondern ebenso für jede andere Form der Psychotherapie oder der psychologisch orientierten Selbsterfahrung. Wenn nicht an irgendeinem Punkt eine spirituelle öffnung erfolgt, wird der Prozess immer so weitergehen, ohne je eine endgültige Lösung der Probleme zu erreichen. Grundsätzlich lassen sich emotionale Probleme nicht auf der emotionalen Eben lösen, sondern nur durch eine spirituelle öffnung.
Damit eine wirkliche Transformation der Psyche geschehen kann, ist entsprechend eine rein psychologische Art der Arbeit an sich selbst unzureichend. Je stärker Sie eine spirituelle Dimension in die Arbeit an sich aufnehmen, desto größer sind die Chancen für einen wirklichen Durchbruch. Ein wesentlicher Punkt bei der IST–Technik ist es, dass sie Sie in verschiedene Erfahrungen einer Bewusstseinserweiterung hineinführen kann, unter denen das Wiedererleben von Episoden früherer Leben nur ein Nebeneffekt ist. So erlaubt Ihnen der IST–Prozess zum Beispiel, weit in die inneren Räume hinein vorzudringen und einen Blick in Zwischenwelten zu werfen, in denen Sie sich zwischen Tod und Geburt aufgehalten haben. Er versetzt Sie auch in die Lage, mit Engeln in Kontakt zu kommen und den Einfluss verschiedener nicht–physischer Wesenheiten zu erkennen. Alles dies trägt zum Erwachen Ihrer spirituellen Sicht bei. Wenn man verstehen will, was Menschen dazu bringt, sich im IST–Prozess zu verändern, dann ist es wichtig zu erkennen, dass das Erwachen des inneren »Sehens« mindestens ebenso wichtig ist wie das Neutralisieren der Samskaras. Das höhere Sehen erlaubt es Ihnen, den Prozess der psychologischen Selbsterfahrung in einer vertikalen Weise weiterzuführen. Anstatt endlos mit der gleichen Art von Fragen konfrontiert zu sein, erlaubt sie Ihnen, in die tiefsten Schichten des Astralkörpers hinabzutauchen, und eine spirituelle Erfahrung des Selbst zu erreichen.
Je mehr emotionale Ladungen Sie neutralisieren können, umso besser ist es natürlich. Samskaras zu lösen wird in allen Aspekten Ihres Lebens entschiedene Verbesserungen mit sich bringen: physisch, verstandesmäßig bzw. emotional, spirituell. Wenn Sie jedoch den größten Nutzen aus den IST–Techniken der Rückführung ziehen wollen, dann sollte es klar sein, dass ihr Endzweck sehr viel umfangreicher ist als nur die Arbeit an Samskaras. IST wird Sie auf eine Reihe von Reisen entlang Ihrer Zeitlinie und zu verschiedenen Welten und Ebenen des Bewusstseins führen. Diese Erfahrungen werden eine tief gehende Reifung ihres spirituellen Wesens und Ihrer inneren Sicht zur Folge haben. Das wird mindestens ebenso viel Veränderung an Ihnen bewirken wie das mechanische Klären einiger Samskaras, wenn nicht sogar mehr.
Im Prozess einer spirituellen Transformation gibt es keine direkte Kausalität. Wenn Sie sich mit den alltäglichen materiellen Aufgaben befassen, können Sie einen Erledigungszettel machen und ein Problem nach dem anderen lösen und abhaken. Entsprechend kommt dann auch ihr jeweiliges Unterfangen vorwärts. Sie können sehen, wie das Lösen jedes einzelnen Problems ihnen geholfen hat voranzukommen. In einer spirituellen Arbeit jedoch ist ein Fortschreiten bei weitem nicht so mechanisch. Es gibt Probleme und Sie arbeiten daran, sie zu klären, doch wirkliche Veränderungen scheinen oft nicht als unmittelbare Folge eines bestimmten einzelnen Prozesses einzutreten. Sie üben bestimmte Praktiken aus, und auf einer gewissen Stufe erkennen Sie, dass Sie anders geworden sind, und dass eine Anzahl der Probleme, die Sie in der Vergangenheit hatten, verschwunden ist. Es ist häufig unmöglich, genau aufzuzeigen wann, warum und wie sie verschwunden sind. Sie sind durch eine tief greifende Reifung hindurchgegangen, Sie sind langsam ein anderer geworden. Sie sind in einen anderen Seinszustand hinübergewechselt, und in diesem neuen Zustand sind die Probleme von gestern einfach nicht mehr auffindbar. Sie erkennen, dass die Probleme, die Sie hatten, eine Folge davon waren, wie Sie waren, mehr als von sonst irgendwelchen Ursachen. Da Sie nun ein anderer geworden sind, gibt es diese Probleme nicht mehr für Sie.


7.6 Das Ende der Samskaras

Was geschieht mit den Samskaras, nachdem Sie sie durch Rückführung und Achtsamkeit neutralisiert haben? Sie verschwinden nicht, sie bleiben als Samen erhalten. Das ist bereits ein wesentlicher Fortschritt – erst waren da vierundzwanzig Elefanten in Ihrem Wohnzimmer, und nun haben Sie sie in vierundzwanzig Küchenschaben verwandelt. Das wird Ihnen das Leben viel einfacher machen. Auch wenn sie neutralisiert sind, bleiben die Samen jedoch, und selbst wenn sie vollständig verschwinden könnten, würden andere auftauchen. Samskaras sind wie Wellen auf dem Meer. »Zerstören« Sie eine Welle, und die nächste kommt, und so geht es immer weiter. Samskaras haben kein Ende, und wie wir gesehen haben, gibt es einen sehr einfachen Grund dafür – es ist das eigentlichste Wesen des Verstandes, von Samskaras befallen zu sein. Der Astralkörper besteht seiner Substanz nach aus Samskaras. Daher ist es nicht sinnvoll, wenn Sie Ihr Leben damit zubringen, ein Samskara nach dem anderen aufzudecken.
Die Lösung ist von anderer Art – gänzlich auf eine andere Bewusstsseinsebene hinüberzuwechseln. Man kann den Ozean einfach nicht ausleeren. Man kann ihn etwas weniger trübe machen, indem man die hauptsächlichen Quellen der Verunreinigung beseitigt. Die wirkliche Antwort auf das Problem ist jedoch eine andere – aus den trüben Gewässern herauszukommen und anzufangen, an der freien Luft zu existieren. Das bedeutet einen übergang des Bewusstseins von Emotionen zu Gefühlen, oder mit anderen Worten von manas zu buddhi, vom der un–achtsamen Bewusstheit des Astralkörpers hin zu der Bewusstheit des transformierten Astralkörpers, des Geist–Selbst in der Terminologie Rudolf Steiners, in der das Selbst wie eine Sonne scheint. Es entspricht einer alchemistischen Umwandlung, in der der Astralkörper durch den transsubstantiierten Astralkörper ersetzt wird.
Diese Transformation erfolgt schrittweise, und eine lange Zeit hindurch sind der reagierende Verstand und seine Samskaras immer noch vorhanden, doch sie werden weniger und weniger wichtig. Der reagierende Verstand verliert fortschreitend seine Macht, Sie mit seinen mechanischen Reaktionen und Routinen zu ergreifen. Ihr Selbstbewusstsein nimmt an Intensität und Geistesgegenwart zu, bis zu einem Punkt, an dem das Selbstbewusstsein, nicht mehr von reagierenden Verstand behindert, zum Bewusstsein des Selbst wird.
Während diese Transformation stattfindet, verlieren Sie nach und nach Ihre Fähigkeit zu leiden. Man kann Kindern ein schönes Geschenk machen, wenn man ihnen hilft, den Unterschied zwischen Schmerz und Leiden erkennen zu lernen. Beim gegenwärtigen Zustand des Menschen ist Schmerz unvermeidlich. So lange Sie einen physischen Körper bewohnen, werden Sie unvermeidlich von Zeit zu Zeit Schmerzen spüren. Leiden ist etwas anderes. Es ist eine Reaktion des manas, des Verstandes, die den Schmerz vergrößert und ihm allerlei emotionale Variationen hinzufügt. In vielen Fälle ist der Schmerz nur vorübergehend, doch wenn man will, kann man immer dazu hinzufügen und noch mehr leiden – dafür gibt es keine Grenze. Man kann kleinen Kindern dieses Wissen leicht vermitteln. Wenn Sie sich zum Beispiel ein bisschen wehtun, dann schauspielern Sie schreckliches Leiden. Wälzen Sie sich auf dem Boden, schreien Sie lauft, rufen Sie »ich leide, ich leide« mit allen melodramatischen Fähigkeiten, die Ihnen zu Gebote stehen – die Kinder kriegen die Botschaft schon mit. Die Ironie dabei liegt natürlich darin, dass Erwachsene die ganze Zeit das Gleiche auf einer anderen Ebene tun, wenn sie unbedeutende Schwingungen zu großartigen Emotionen aufblasen.

Eine der Lehren des IST–Prozesses ist es, dass auch wenn Schmerz unvermeidlich ist, dies für das Leiden nicht zutrifft; es kann vollständig beseitigt werden. Das ist kein entferntes metaphysisches Ideal, sondern ein erreichbares Ziel, das Sie sich sinnvoll vornehmen können, wenn Sie bereit sind, diese Methoden beharrlich anzuwenden. Wenn Sie IST mit einer systematischen Beobachtung Ihrer Reaktionen verbinden, wird es nicht lange dauern, bis ein wesentlicher Teil Ihres Leidens verschwindet, weil es sich als überflüssige Anstrengung des Verstandes herausstellt.



Kapitel 8

Sich an vergangene Leben erinnern

8.1 Warum erinnern wir uns nicht an unsere früheren Leben?

Bevor wir die Mechanismen analysieren, durch die man sich an vergangene Leben erinnern kann, lassen Sie uns darüber nachdenken, warum die meisten Menschen sich unter gewöhnlichen Umständen nicht an sie erinnern können.
Bedenken wir zunächst, dass die meisten Menschen nicht in der Lage sind, sich an den überwiegenden Teil ihrer Träume zu erinnern. Wenn sie noch nicht einmal fähig sind, sich an ihre Träume zu erinnern, wie sollten wir erwarten, dass sie sich an ihre früheren Leben erinnern? Grundsätzlich sind die Gründe, warum man sich nicht an seine früheren Leben erinnert, die gleichen, aus denen heraus man sich nicht an seine Träume erinnert. Um diese Situation voll und ganz zu verstehen, müssen wir einige Punkte der feinstofflichen Anatomie rekapitulieren, also des Wissens von den feinstofflichen Körpern, die die Gesamtheit eines Menschen ausmachen.

  • Jeder ist mit dem physischen Körper vertraut – mit dem, den die Chirurgen aufschneiden können. Da er aus der Nahrung, die wir essen, gemacht ist, hat die vedische Tradition ihn anna–maya–kosa, die »Hülle aus Nahrung« genannt. [17]
  • Jenseits des physischen Körpers ist der ätherkörper, der aus Lebensenergie besteht, dem Qi (Ki, Chi) der traditionellen chinesischen Medizin und dem prana der Sanskritliteratur. Daher der Name prana–maya–kosa, »Hülle aus Prana«, den ihm die vedische Tradition gegeben hat. So wie Wasser einen Schwamm durchdringt, so durchdringt die »Hülle aus Prana« oder der ätherkörper den gesamten physischen Körper. [18] Er reicht auch noch ein wenig über die Grenzen des physischen Körpers hinaus.
  • So lange Sie leben, trennen sich Ihr physischer Körper und Ihr ätherkörper nie. Daher können wir diese beiden als eine zusammengehörige, individuelle Struktur ansehen, die wir für unsere Zwecke den »unteren Komplex« nennen werden.
  • Jenseits der physischen und des ätherkörpers befindet sich der Astralkörper, die Schicht des manas, des reagierenden Verstandes, in der sich die Emotionen und die meisten unserer Gedanken vollziehen. Wie wir oben besprochen haben, haben die Samskaras ihren Sitz im Astralkörper.
  • Das Ego steht im Zentrum aller anderen Körper. Auf einer späteren Stufe, wenn es um fortgeschrittenere alchemistische Prozesse geht, werde ich klare Unterscheidungen zwischen dem Ego, dem Selbst und dem Geist treffen. Doch im Zusammenhang des vorliegenden Buchs wären diese Unterscheidungen nicht wirklich nützlich. Um die Darstellung zu vereinfachen, können wir die Worte Ego (oder höheres Ego), Selbst (oder höheres Selbst) und Geist als synonym ansehen und sagen, dass sie sich gleichermaßen auf die unsterbliche Flamme beziehen, die den Kern des Menschen ausmacht.

[17 Anna: Nahrung; maya: gemacht aus; kosa: H�lle.]
[18 Die harten Substanzen des physischen Körpers, vor allem die Knochen, sind nicht so sehr vom ätherkörper durchdrungen wie die weichen Gewebe.]

Es ist wichtig zu beachten, dass der Astralkörper und das Ego eng miteinander verbunden sind. Man könnte sogar sagen, dass das Ego im Netz des Astralkörpers gefangen ist. Das ist der Grund dafür, dass Sie, wenn Sie Ihre Augen schließen, nicht in der Lage sind zu sagen, was in Ihrem Bewusstsein vom Verstand herkommt und was vom Selbst, es sei denn, Sie hätten einen Weg zur Selbsttransformation verfolgt. Sie mögen intellektuell, verstandesmäßig wissen, dass Sie ein höheres Selbst besitzen, und dass dieses Selbst der Hintergrund Ihres Bewusstseins ist, wie eine weiße Leinwand, auf die verschiedene Filme projiziert werden. Doch in der Praxis wird das Selbst durch den reagierenden Verstand verborgen, so dass es Ihnen unmöglich ist, eine direkte Verbindung mit seinem Licht herzustellen. Deshalb ist es das erste Ziel eines spirituellen Weges, das Selbst von Astralkörper zu trennen.

So lange dies nicht geschehen ist, bleiben beide wie Milch und Wasser im selben Glas gemischt, um einen Vergleich heranzuziehen, der sich häufig in der Sanskritliteratur findet. Der Astralkörper und der Ego sind miteinander verbunden. Entsprechend können wir unsere vierschichtige Struktur vereinfachen, indem wir sie in zwei Teile aufteilen:

  • einen oberen Komplex, der aus dem Astralkörper und dem Selbst besteht, die sich nicht trennen, so lange Sie nicht »Ihr Selbst gefunden« haben; und
  • einen unteren Komplex, der aus dem physischen Körper und dem ätherkörper besteht, die sich zeit Ihres Lebens nicht trennen.

8.2 Voller Löcher wie ein Sieb, oder wie Schweizer Käse

Was geschieht, wenn Sie schlafen? Der untere Komplex (physischer Körper und ätherkörper) bleiben im Bett, während der obere Komplex fortgeht und in andere Sphären wandert. Die beiden Komplexe bleiben durch das verbunden, was manche Esoteriker die Silberschnur nennen. So entsprechen der Wachzustand und der Schlaf zwei verschiedenen Orientierungen, die der Astralkörper einnimmt. Während des Tages erkennt der Astralkörper die physische Welt durch die physischen Sinnesorgane des physischen Körpers. Während der Nacht zieht er sich vom physischen Körper zurück und richtet seine Tätigkeit auf die verschiedenen astralen Welten, was Träume und andere tiefere Bewusstseinszustände zur Folge hat. Wenn es Zeit wird aufzuwachen, verlässt der Astralkörper die astrale Sphäre und kehrt wieder zum physischen Körper zurück.
Der Grund dafür, dass wir nicht viel von unseren Träumen und anderen nächtlichen astralen Aktivitäten erinnern können, liegt darin, dass auf der gegenwärtigen Stufe der menschlichen Entwicklung der Astralkörper undicht wie ein Sieb ist. Er ist voller Löcher, wie Schweizer Käse. Außerdem sind die Verbindungen für die Kommunikation zwischen dem unteren Komplex (dem physischen Körper und dem ätherkörper) und dem Astralkörper unzureichend entwickelt. Auch wenn der Astralkörper einige der Erlebnisse der Nacht behalten kann, so haben doch die entsprechenden Erinnerungen nur eine geringe Chance durchzudringen und Ihr Wachbewusstsein zu erreichen.
In seinem gegenwärtigen Zustand mangelt es dem Astralkörper schmerzlich an Struktur, und was schlimmer ist, auch an Einheit. Er erscheint wie ein Bündel von willkürlich zusammengefügten Flicken. Wir könnten ihn mit einem Puzzlespiel vergleichen, dessen Teile nicht zusammenpassen. Jedes Stück in diesem Puzzlespiel hat seine eigenen Samskaras und seine eigenen Emotionen, Begierden, Vorlieben und Abneigungen. Jedes Stück entspricht einer anderen Facette Ihrer Persönlichkeit. Hinsichtlich vergangener Leben ist jedes dieser Stücke in einer unterschiedlichen Periode Ihrer Vergangenheit geformt worden, unter dem Einfluss jeweils anderer Lebenserfahrungen.
Das bedeutet praktisch, dass Sie vom psychologischen Standpunkt her aus Teilen bestehen, deren jeder seinen eigentümlichen »Geschmack« hat, seine eigentümliche Anmutung, seine eigene Vergangenheit und seine eigenen Wünsche und Begierden. So ist zum Beispiel ein Teil von Ihnen daran interessiert, Bücher über spirituelle Themen zu lesen, während ein anderer Teil sich für Pferdewetten interessiert, und ein weiterer für Weltreisen. Jeder dieser Teile ist einer der vielfältigen »Charaktere«, die Ihre Persönlichkeit ausmachen. Das Wort »Charakter« ist hier sehr passend, denn im alten Griechenland bedeutete es eine eingeprägte, gravierte oder aufgestempelte Markierung, wie die Prägung auf einer Münze oder wie bei einem Siegel – was sehr gut zu den Mechanismen passt, die wir hinsichtlich der Samskaras beschrieben haben. In diesem Zusammenhang könnten wir einen Charakter als eine Gruppe von Samskaras definieren, die einem bestimmten Teil des Astralkörpers eingeprägt ist und die daran arbeitet, ihre jeweils eigenen Bestrebungen zu verfolgen, die ihrer jeweiligen Vergangenheit entsprechen.
Das Drama des Lebens besteht darin, dass jeder dieser Charaktere einzeln für sich arbeitet und sich nicht darum kümmert, was die anderen Teile wollen. So kümmert sich der Teil, der Wetten liebt, zum Beispiel nicht um die Weisheiten, die in den Büchern stehen, die Ihr spiritueller Charakter sammelt. Daher wird die Wechselwirkung zwischen den Charakteren Sie oft in schmerzhaft widersprüchliche Situationen bringen. Jeder Charakter ist wie ein potentieller Diktator, der es darauf abgesehen hat, Ihr Leben zu übernehmen und es nach seinen eigenen Vorlieben und Abneigungen umzugestalten. Zum Beispiel hätte der »Leser« in Ihnen nichts dagegen, Ihr Haus in eine gigantische Bibliothek zu verwandeln, während der »Wetter« es gern sehen würde, wenn Sie eine Stellung als Sportreporter bekämen. Das einzige gemeinschaftliche Interesse aller Charaktere ist es, Sie so weit wie möglich Ihrem Selbst zu entfremden, denn sollte das Selbst anfangen zu herrschen, würde es für sie das Ende jeder möglichen Vorherrschaft bedeuten. Daher sieht die Wirklichkeit für die meisten Menschen so aus, dass das Selbst betäubt ist und schlafend im Hintergrund gehalten wird, während verschiedene Charaktere um die Vorherrschaft kämpfen.


8.3 Das explodierende Mosaik

Was geschieht, wenn Sie sterben? Der obere Komplex (der Astralkörper und das Ego) trennt sich vom unteren (dem physischen Körper und dem ätherkörper), gerade so, wie wenn Sie einschlafen. Doch diesmal reißt die Silberschnur, und der untere Komplex wird aufgegeben. Der physische Körper beginnt zu verwesen, und der ätherkörper löst sich in die allgemeine ätherische Schicht unseres Planeten auf. Es wäre unzutreffend, würde man glauben, dass der obere Komplex fortgeht, in die geistigen Welten reist und genau so, wie er ist, zu einer neuen Inkarnation zurückkehrt, abgesehen vielleicht von einer gewissen Reinigung und einigen von Engeln daran vorgenommenen Verbesserungen.
Der wirkliche Sachverhalt in dieser Situation ist davon dramatisch verschieden. Wenn die meisten Menschen sterben, dann verwandelt sich ihr Astralkörper aufgrund des beschriebenen Mangels an Einheit in ein Chaos. Die Vielfalt der Charaktere ist nicht nur in ihrer Funktion begründet, sie spiegelt auch die Tatsache wider, dass der Astralkörper seiner ganzen Struktur nach ein Mosaik ist, oder eine Ansammlung von Flicken, die künstlich zusammengehalten werden, so lange Sie am Leben sind. Wenn der Tod kommt, verschwindet diese Illusion einer Einheit. Die Fassade der Persönlichkeit fällt und der Astralkörper wird als das erlebt, was er in Wirklichkeit ist – ein explodierendes Mosaik.
Das bedeutet praktisch, dass bald nachdem die Silberschnur gerissen ist, die meisten astralen Bestandteile wegfliegen werden, jeder in seiner eigenen Richtung, wie Vögel, die wegfliegen, wenn man ihren Käfig öffnet.
Für die Person, die gerade gestorben ist, ist dies eine recht dramatische Erfahrung. Stellen Sie sich vor, dass Sie tot sind, und im lilapurpurnen astralen Raum treiben. Sie sehen, wie sich der »Leser–Charakter« in einer Richtung von Ihnen entfernt, der »Wettliebhaber« in eine andere, der Teil von Ihnen, der Japanisch konnte, in noch eine andere ... Sie sind wie Ihrer Glieder beraubt. Die Teile, die mehr mit Genuss, Sexualität und den Instinkten verbunden waren, bewegen sich zu den vitalen Welten hin, während Ihre verstandesmäßigen Teile zu den mentalen Welten wandern – und was bleibt übrig? Ihr Ego, oder höheres Selbst, zusammen mit ein paar verbliebenen Fetzen des Astralkörpers. Dann kann dieses beinahe nackte Ego seine Reise in die Welten des Geistes antreten.
Das erklärt, was Gurdjieff meinte, wenn er sagte, dass es für die große Mehrheit der Menschen sinnlos ist, von Reinkarnation zu sprechen, einfach weil sie keinen Astralkörper haben. Mehr als 99 Prozent aller Menschen haben einen Astralkörper, der nichts weiter ist als eine Wolke Schmetterlinge. Natürlich werden diese Menschen wieder geboren, doch was genau wird wieder geboren? Ihr höheres Selbst, was genau der Teil ihrer selbst ist, dessen sie sich zeit ihres Lebens nicht bewusst geworden sind, und der so gut wie keinen Teil an ihren Aktivitäten hatte. Nahezu alles, was sie normalerweise als »zu sich gehörig« angesehen haben, wird sich auflösen und sich in astralen Staub zurückverwandeln. Es ist kein Wunder, dass sie sich in ihrem nächsten Leben nicht an viel werden erinnern können, denn sie haben das meiste von der astralen Substanz verloren, in der die Eindrücke dieses Lebens aufgezeichnet war. Gurdjieff hat diese Situation prägnant zusammengefasst, indem er sagte »der Staub kehrt zum Staub zurück«.


8.4 Weiß als die wahre Farbe der Trauer

Unglücklicherweise kehren nicht alle astralen Teile zum Staub zurück. Viele von Ihnen neigen dazu, so zu bleiben wie sie sind, hängen sich an lebendige Menschen und versuchen, ihre Aktivitäten fortzusetzen.
Diese Explosion des Astralkörpers ist der Grund, warum es traditionell unter Hindus üblich war, während der Wochen, die auf den Tod eines Familienmitgliedes folgten, nur weiß zu tragen und eine Art halbes Fasten einzuhalten, bei dem sie vor allem Eiweiß vermeiden. Die Hindus denken, dass einige der niederen vitalen Teile des Toten sich auf parasitische Art an andere Mitglieder der Familie anhängen könnten. Weiß zu tragen, die Farbe der Reinheit, und auf Fleisch und Körner zu verzichten, gilt als Schutzmaßnahme gegen einen solchen Befall. [19] Diese Sitte wird immer noch eingehalten, selbst in modernen, gebildeten Gegenden und Gesellschaftsschichten Indiens.
Eine ganz ähnliche Theorie findet sich in traditionellen chinesischen Lehren. Die Po, die den niederen, vitalen Teilen des Menschen entsprechen, bleiben diesen Lehren zufolge nach dem Tode auf der Erde, während die Hun, die mehr geistigen Teile, zum Himmel aufsteigen. Die Po können in den Stunden oder Tagen nach dem Tode sogar Familienmitgliedern oder Freunden als ein erschreckendes Abbild des Toten erscheinen. Die Parallele zu einer Reihe von Geistergeschichten ist offensichtlich. Eine detaillierte Analyse dieser Mechanismen findet sich in meinem Buch Entities, Parasites of the Body of Energy.
[19 Weiß erscheint für unsere Augen als weiß, weil es alle Frequenzen des sichtbaren Spektrums reflektiert. Da es nichts absorbiert und für sich behält und alles reflektiert und abweist, ist die Farbe Weiß universell als Symbol der Reinheit betrachtet worden. Schwarz, das nichts reflektiert und alles einbehält, ist die maximal absorbierende Farbe und deshalb auch die schlechtestmögliche Farbe, um sie bei Anlässen wie Beerdigungen zu tragen, wo es ein hohes Risiko gibt, sich negative Energien einzufangen.]


8.5 Vergessen durch Mangel an Präsenz

Richten wir unsere Aufmerksamkeit nun auf den Teil, der nicht zerstört wird. Das Selbst oder Ego, die ewige Flamme im Menschen, bleibt während des übergangs des Todes unberührt. Die Frage ist natürlich, was sonst noch erhalten bleibt? Was für Mechanismen sind es, durch die einige astrale Teile verloren gehen, während andere beim Selbst bleiben und ihm auf seiner Reise zwischen Tod und neuer Geburt folgen?
Diese Frage ist deshalb wichtig, weil die astralen Teile, die erhalten bleiben und das Selbst begleiten, den Kern Ihrer Persönlichkeit im nächstfolgenden Leben bilden werden. Nach dem Tode durchquert das Ego verschiedene astrale Schichten und wandert dann zu den geistigen Welten. Nach dem Aufenthalt dort kehrt es durch die astralen Welten zur Erde zurück. Während es auf dem Weg zurück zur Erde die astralen Ebenen durchquert, sammelt das Ego die Substanz seines künftigen Astralkörpers ein. Die astralen Teile, die das Ego bei sich behalten hat, bilden den Kern, der astrale Substanz in übereinstimmung mit seinen eigenen Dispositionen einsammelt – was zu entsprechenden Vorlieben und Abneigungen und ebenso zu einem entsprechenden emotionalen und verstandesmäßigen Potential im folgenden Leben führt. Was also nach dem Tod am Ego haften bleibt, bedingt, was wir in unserem nächsten Leben sein werden.
Bevor wir versuchen zu verstehen, wie einige Erinnerungen im zentralen astralen Kern rund um das Ego gehalten werden können und aufbewahrt bleiben, lassen Sie uns erst betrachtet, wie es kommt, dass die meisten verloren gehen. Während sie die große Mehrheit der Handlungen in ihrem Leben vollbringen, sind die Menschen vollständig unbewusst. Wir neigen dazu, unsere täglichen Verrichtungen mechanisch auszuführen. Wir schwatzen ohne wirkliche Absicht. Wir tun Dinge, von denen wir gar nicht wissen, dass wir sie tun. Wir sind in dem, was wir tun, nicht wirklich anwesend. Selbst wenn wir uns in Achtsamkeit üben, können uns ganze Teile des Tages entwischen, bevor wir den Faden unserer Bewusstheit wieder finden. Kurz gesagt leben wir unser Leben nicht, wir schlafen es.
Hinsichtlich der feinstofflichen Körper bedeutet das, dass das Ego nicht an diesen Handlungen beteiligt ist. Sinneswahrnehmungen werden vom Astralkörper empfangen, also in den Teilen das astralen Mosaiks. Dann reagieren diese Teile mechanisch entsprechend ihrer eigenen Vorlieben und Abneigungen, also ihrer Samskaras. Reaktive Handlungen erfolgen mehr oder weniger mechanisch, und das Ego wird umgangen. Alles verbleibt in der Peripherie der astralen Ebene. Nichts macht einen Eindruck, der dem Ego nahe kommt, einfach darum, weil das Ego von der gesamten Handlungsabfolge abwesend ist. Wie kann das Ego die Episode erinnern, wenn es nicht daran beteiligt war? Hier liegt der Hauptgrund für die Vergesslichkeit des Geistes: Mangel an Bewusstheit. Hinsichtlich eines astralen Eindrucks ist da nicht mehr als Staub, der später zum Staub zurückkehren wird.


8.6 Erinnerung Typ 1 – Intensität

Es gibt einige Situationen, für die dieses Schema des Vergessens nicht zutrifft. Stellen Sie sich vor, Sie liegen am Ufer eines Flusses und ganz plötzlich taucht ein Krokodil auf und rennt auf Sie zu. Es ist durchaus anzunehmen, dass Sie in diesem Augenblick sich in hohem Maße Ihrer selbst bewusst sind. Stellen Sie es sich vor ... – Sie sind in Gänze in diese Situation verstrickt, sie sind total präsent. Alle Emotionen, die sie dann empfinden, prägen sich, zusammen mit Ihren Sinneseindrücken und Wahrnehmungen, in die tiefsten Schichten Ihres Astralkörpers ein. Dieser Höhepunkt der Bewusstheit zeigt an, dass Ihr Ego für einige Zeit aus seinem Schlummer erwacht. Es findet ein Durchbruch des Ego in die physische Welt hinein statt und gleichzeitig ein Durchbruch von Information in Ihre tiefsten astralen Schichten hinein. Ein ganzes Bündel von Wahrnehmungen, Empfindungen und Emotionen wird nahe am Kern Ihrer inneren Architektur abgelagert. Die Spur, die ein solches »emotionales Bündel« in Ihrem Astralkörper hinterlässt, kann in der Tat als ein erhebliches Samskara angesehen werden. Aufgrund der Tiefe der Prägung sind alle Voraussetzungen dafür gegeben, dass Sie das entsprechende astrale Fragment bei Ihrem Ego behalten, auch durch die Auflösung des Todes hindurch, und es mit sich in das nächste Leben zurückbringen.
Die erste Kategorie der Erinnerungen an vergangene Leben umfasst also die verschiedensten Erlebnisse, denen ein Merkmal gemeinsam ist – ihre Intensität. Wann auch immer Sie einen Höhepunkt von physischem oder emotionalem Schmerz erleben, werden Sie automatisch in scharfer Weise Ihrer selbst bewusst. Schmerz ist jedoch für diese Intensität nicht notwendig erforderlich. Wenn Sie zum Beispiel Land auftauchen sehen, nachdem Sie den Pazifik auf einem Floß überquert haben, oder wenn sich auf einmal nach Jahren der Anstrengung der erwünschte Erfolg einstellt, dann wird das intensive Hochgefühl dieses Augenblicks für einen tiefen Eindruck sorgen, der später die Quelle von Rückerinnerungen sein kann. Dies ist natürlich auch der Grund, warum viele Rückführungen zu vergangenen Leben intensive Episoden aufdecken.


8.7 Erinnerung Typ 2 – spontane öffnungen

Von Zeit zu Zeit bricht das Höhere Selbst durch und tritt an die Oberfläche, ohne dass es irgendeinen Grund dafür in der Außenwelt gäbe. Ein spontanes, zeitweiliges Erwachen findet statt. Dies kann als eine innere Offenbarung erfahren werden, als einer jener seltenen, klaren Augenblicke, in denen man alles in seinem Zusammenhang überschauen kann. Man sitzt an einem Kreuzweg der Zeit, mit einem intuitiven Gefühl seiner ewigen Natur und ihrer Größe. Doch die Erfahrung braucht nicht grandios zu sein, es kann sich einfach um einen magischen Augenblick handeln, ein paar Sekunden, während derer das Herz von grundloser Freude erfüllt ist. Dann schließt sich das Heiligtum wieder, denn unsere gesamte Struktur ist nicht dafür bereit, die Verbindung aufrechtzuerhalten.
Während des Augenblicks der öffnung ist eine Verknüpfung zwischen der Oberfläche und den tiefsten Schichten der Person zu Stande gekommen, zwischen dem Bewusstsein der physischen Welt und dem Bewusstsein des Höheren Selbst. Es sind die Bedingungen für eine Prägung gegeben, die tief genug ist, um die astrale Zertrümmerung nach dem Tode zu überstehen. Die Umstände, Gefühle, Empfindungen und Wahrnehmungen eines solchen Augenblicks prägen sich dem Gedächtnis für alle Zeit ein.

8.8 Erinnerung Typ 3 – der Körper der Unsterblichkeit

Das dauerhafte üben von Achtsamkeit, das vielen Wegen zur Selbsttransformation zu Grunde liegt, bringt es mit sich, dass sich die Gelegenheiten vervielfältigen, bei denen das Höhere Selbst sich im Alltagsleben beteiligt. Dies führt dazu, dass sich auch die Keime einer künftigen Erinnerung vervielfältigen.
In früheren Kapiteln haben wir die Transformation skizziert, die von Emotionen zu Gefühlen führt, von manas zu buddhi, von den Reaktionen aus Konditionierungen zur Spontaneität des Ego. Diese schrittweise Verwandlung geht Hand in Hand mit der Herausbildung einer neuen Ebene, eines »transformierten Astralkörpers«, den Steiner Geist–Selbst genannt hat und der dem vijnana–maya–kosa der vedischen Tradition entspricht. Der Astralkörper, der Sitz der Samskaras, verliert seine Vorherrschaft und wird zunehmend durch diese neue Ebene ersetzt, durch die das Ego sich direkt zum Ausdruck bringt. Parallel zu der Ersetzung von Emotionen durch Gefühle entsteht eine neue Art des Denkens, das nicht länger vom Ego getrennt ist, sondern von ihm her ausstrahlt. Die Entwicklung des transformierten Astralkörpers entspricht dem Aufblühen eines neuen Bewusstseinszustands, der unmittelbar mit dem Höheren Selbst verbunden ist.
Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen dem Astralkörper und dem transformierten Astralkörper besteht darin, dass der Astralkörper aus separaten Teilen besteht, die fortwährend versuchen, sich der Herrschaft des Ego zu entziehen. Der transformierte Astralkörper ist im Gegensatz dazu in sich vereinigt und mit dem Ego als Zentrum aufgebaut; er wird vollständig von seinem Licht und seinem Leben durchdrungen. Er kann sich nicht vom Ego absondern, denn er ist nichts anderes als die Ausstrahlung des Ego. Der Astralkörper besteht aus angesammeltem astralem Staub, während in der Substanz des transformierten Astralkörpers der Geist selbst lebendig ist. Die Substanz des transformierten Astralkörpers kann regelrecht als Selbst–heit bezeichnet werden. Das Selbst erzeugt ihn, so wie die Spinne ihr Netz aus sich hervorbringt.
Infolgedessen bleibt der transformierte Astralkörper nach dem Tode intakt, während der Astralkörper in Trümmer geht. Daher bleiben die Erinnerungen, die im transformierten Astralkörper gespeichert sind, für immer erhalten. Von einem strukturellen Gesichtspunkt her können wir daher zwei verschiedene Arten des Erinnerungsmaterials aus früheren Leben unterscheiden: Einerseits die Samskaras, die sich dem Astralkörper so tief eingeprägt haben, dass sie dem Selbst von Leben zu Leben weiter anhängen, und andererseits die Erinnerungen des transformierten Astralkörpers, die in der unverderblichen Substanz des Körpers der Unsterblichkeit enthalten sind.
Die Situation ist jedoch praktisch nicht so eindeutig, da es eine lange übergangsperiode gibt, während der das Bewusstsein sich teilweise im Astralkörper und teilweise im transformierten Astralkörper vollzieht, in Abhängigkeit vom jeweiligen Stand Ihrer Entwicklung. Strukturell führt dies zu einem astralen Netz, das aus zusammengestückten Flicken von diesen beiden Trägern besteht. Einige Erinnerungen sind sowohl im Astralkörper wie im transformierten Astralkörper gespeichert, oder sogar die eine Hälfte hier und die andere dort.
Lassen Sie sich jedoch nicht verwirren: Was die große Mehrheit der Menschen angeht, so bleibt der transformierte Astralkörper ein entferntes Ideal. Die Mechanismen der Erinnerung an frühere Leben, die auf dem Körper der Unsterblichkeit beruhen, kommen nicht zum Tragen, einfach weil der transformierte Astralkörper nicht aufgebaut wird. Nur Menschen, die in diesem oder in früheren Leben einen langen Entwicklungsprozess hinter sich gebracht haben, haben sich die Ansätze eines transformierten Astralkörpers erworben. In der überwiegenden Anzahl der Fälle, in denen eine Erinnerung an Erlebnisse früherer Leben auftritt, geschieht es durch die Prägungen der Samskaras, wie es im Abschnitt 8.6, »Erinnerung Typ 1 – Intensität« beschrieben wurde.




Kapitel 9

Wie man Erinnerungen zurückgewinnt

9.1 Der Durchbruch zu Erinnerungen an frühere Leben

Nachdem wir die Art und Weise analysiert haben, auf die einige Erinnerungen von einem Leben zum anderen erhalten bleiben, lassen Sie uns nun das Problem vom anderen Ende her betrachten: Durch was für Mechanismen kann man einige dieser Erinnerungen zurückgewinnen? Wie kann man sich an Teile seiner vergangenen Leben erinnern?
Wenn es einen geschützten Platz in uns gibt, wo wir Erinnerungen an unsere entfernte Vergangenheit finden können, dann liegt dieser Ort jenseits unseres alltäglichen Wachbewusstseins.
Das bewusste Leben der meisten Menschen beschränkt sich auf den »geschwätzigen Verstand«, auf die oberflächlichsten Schichten des Astralkörpers. Erinnern Sie sich an den Weg, den das Ego nach dem Tode nimmt: Nachdem es den überwiegenden Teil der Flicken des Astralkörpers abgeworfen hat, reist es durch verschiedene astrale Ebenen, und dann weiter in die Welten des Geistes. Dann kehrt das Ego zu den Astralwelten zurück und sammelt dabei astrales Material um sich herum. Der astrale Kern, der nach dem Zerfall erhalten geblieben ist, spielt eine entscheidende Rolle dafür, was für eine Art von astralem Material eingesammelt wird. Der transformierte Astralkörper, oder auch nur seine ersten Ansätze, könnten sogar noch einen größeren Anteil daran haben, einen harmonischen Astralkörper zu bilden. Unglücklicherweise ist der transformierte Astralkörper bei der überwiegenden Mehrzahl der Menschen kaum entwickelt und spielt darum auch nur eine vernachlässigbar geringe Rolle. Daher ist es der harte Kern der Samskaras aus vergangenen Leben, der die beherrschende Rolle dabei spielt, das astrale Material unseres nächsten Astralkörpers anzuziehen. Dieser harte Kern ist für sich sehr klein, und er umgibt sich mit einer ganzen Anzahl von Schichten.
Nach der Geburt lernen Sie nach und nach Ihren Verstand zu gebrauchen, d.h. Sie erleben Gedanken und Emotionen in Ihrem Astralkörper. Doch dies geschieht hauptsächlich durch Reize von außen. Die Oberflächenschichten des Astralkörpers werden von außen durch Ihre Erziehung geformt und durch all das, was Sie von Ihren Eltern und der Kultur, in der Sie leben, mitbekommen haben. In den oberflächlichen Schichten des Astralkörpers arbeiten Sie mit den Elementen, die Sie von der Außenwelt empfangen haben. Dies führt zu einer Polarität im Astralkörper, einer Spannung zwischen den tiefen Impulsen, die von den Prägungen und Eindrücken herrühren, die Sie aus vergangenen Leben mitgebracht haben, und den Eindrücken, die Sie in diesem Leben gewonnen haben. Ein Großteil Ihrer verstandesmäßigen Fähigkeiten, Ihre künstlerische Sensibilität, Ihre emotionale Stabilität und andere Eigenschaften mehr hängen davon ab, wie harmonisch die Vereinigung von inneren und äußeren Impulsen vonstatten geht, also die zwischen dem Material, das Sie mitgebracht haben und demjenigen, das Sie im gegenwärtigen Leben ansammeln.
Die Oberflächenschicht, also Ihr vom Verstand her bestimmtes Bewusstsein, wird fortwährend von Emotionen und den verschiedensten Reaktionen beeinflusst, die von den Samskaras aus der Tiefe herrühren. Doch Ihr Bewusstsein nimmt diese Samskaras nie wahr, weil die Pufferzone, in der sie sich abgekapselt haben, zu dick ist.
Wenn Sie sich an Ihre vergangenen Leben erinnern möchten, müssen Sie in die tiefsten Schichten Ihres Unbewussten hinabtauchen. Dies erfordert eine Energie, die es ihnen ermöglicht, die Pufferzone zu durchbrechen und die Teile des Astralkörpers zu erreichen, die nahe am zentralen Kern des Selbst liegen – diejenigen Teile, in denen Erinnerungen an vergangene Leben eingeschrieben sind. Diese Durchbruchsenergie macht den wesentlichen Unterschied zwischen der Rückführung und anderen psychotherapeutischen Techniken aus. Warum führt die Psychoanalyse nicht zu Rückführungen zu früheren Leben? Einfach weil Psychoanalytiker nicht über diese Durchbruchsenergie verfügen. Warum haben sich so viele Initiierte, christliche Gnostiker, Hindus und Buddhisten an ihre früheren Leben erinnert? Weil sie ihr Selbst gefunden hatten, und sie so Zugang zu der Durchbruchsenergie hatten und zu dem Material, das in der Nähe des Selbst eingeschrieben war. Warum ist die Rückführung jetzt in den neunziger Jahren sehr viel leichter zu bewerkstelligen als Ende der siebziger Jahre, und warum breitet sie sich so rasch aus? Weil es aufgrund eines Erwachens im kollektiven Bewusstsein viel leichter geworden ist, die Energie für den Durchbruch aufzubringen, als es zuvor der Fall war.
Die Tatsache, dass der Rückführungszustand aus dieser Energie gespeist wird, erklärt warum Sie, wenn Sie einmal mit der IST–Technik vertraut sind, sehr wenig tun müssen, um einen Klienten zur Rückführung zu führen – die Energie leistet diese Arbeit durch Sie. Aus dem gleichen Grund brauchen Sie nicht viel zu wissen, um ein guter Verbinder zu sein. Wozu Sie fähig sein müssen, ist sich einzustimmen und die Kraft durch sich wirken zu lassen. Wenn Sie viel wissen, dann müssen Sie alles vergessen, was Sie wissen. Die gesamte Information, die nötig ist, um eine gute Rückführungssitzung durchzuführen, ist in der Energie enthalten, und wenn Sie versuchen, anzuwenden, was Sie wissen, anstatt dessen, was die Energie befiehlt, dann werden die Ergebnisse mittelmäßig sein und Sie werden häufig an den wichtigsten Themen vorbeigehen.
Dies erklärt auch, warum, nachdem sie eine Anzahl von IST–Sitzungen durchgeführt haben, Ihre Klienten oft anfangen werden zu regredieren, noch bevor Sie begonnen haben, die Techniken anzuwenden. Die Energie fließt durch Sie wie ein lebendiger Strom und kümmert sich nicht um Techniken.
Was für Menschen sind gute Subjekte für die Rückführung? Diejenigen, die sich mit dieser Energie verbinden können, die sich ihr öffnen und sie empfangen können, ganz gleich, ob sie jung oder alt, gesund oder krank sind. Es kommt nicht darauf an, ob sie an vergangene Leben glauben oder nicht, vorausgesetzt nur, dass sie sich öffnen können. Einige ausgesprochen skeptische Menschen erweisen sich als im Stande, unmittelbar eine Verbindung herzustellen, während einige Menschen, die zu stark an Reinkarnation glauben, dazu neigen, Erwartungen aufzubauen, die den Fluss der Energie blockieren. Ihre fest gefügten Vorstellungen lassen der Energie keinen Raum, ihr Werk zu tun.

9.2 Der Blitz der Astralität

Da die Samskaras in Bereichen des Astralkörpers gespeichert sind, die sich jenseits des gewöhnlichen Bereichs Ihres Wachbewusstseins befinden, folgt daraus, dass eine Verbindung hergestellt werden muss zwischen dem Bewusstsein und diesen tiefen Schichten des Astralkörpers, damit eine Erinnerung an frühere Leben stattfinden kann.
Es gibt einige Zeichen, die anzeigen, dass diese Verbindung hergestellt worden ist. So kommt zum Beispiel ein besonderes Gefühl im jeweiligen Raum auf. Die »Atmosphäre« verändert sich vollständig, als wäre ein Blitz astraler Energie darin niedergegangen. Wenn Sie die Techniken geübt haben, die in meinem Buch Tor zu inneren Welten beschrieben sind, dann sind Ihnen vielleicht einige der anderen Anzeichen vertraut. Insbesondere scheint Ihnen das Zimmer plötzlich dunkler geworden zu sein. In diesem dunkleren Raum sehen die Farben leuchtender aus, als ob jede Farbe in Wirklichkeit aus Tausenden von winzigen strahlenden Punkten bestände. Natürlich ist es nicht das Zimmer, das dunkler wird, sondern Ihre Wahrnehmung, die sich für die »sichtbare Dunkelheit« öffnet, die sich dem Licht im Zimmer überlagert. Sie können auch manchmal ein charakteristisches Gefühl in den Nieren spüren, was daran liegt, dass diese Organe intensiv mit dem Astralkörper verbunden sind.
Auch wenn Sie mit diesen Zeichen nicht vertraut sind, so können Sie doch leicht lernen, den »Blitz der Astralität« zu erkennen, der den Rückführungszustand begleitet. Die Energie im Raum wird plötzlich »dichter« und der »Geschmack des Bewusstseins« wird einem Traumzustand etwas ähnlich. (Erinnern Sie sich, wie es sich anfühlt, wenn Sie gerade aus einem Traum aufgewacht sind.) Das hat nicht zu bedeuten, dass Rückführungserfahrungen und Träume ähnlich wären! Die beiden Zustände sind durchaus verschieden. Beide beinhalten jedoch eine Hinwendung des Bewusstseins hin zu astralen Schichten, was erklärt, warum ihr »Geschmack«, ihre Anmutung, verwandt ist.


9.3 Die Inhalte der Erinnerungen an vergangene Leben

Aus den Mechanismen der Erinnerung an vergangene Leben, die wir im letzten Kapitel analysiert haben, können wir einige Schlüsse über die Inhalte solcher Erinnerungen ziehen. Wir müssen uns dabei natürlich bewusst bleiben, dass wir es mit einem Bereich zu tun haben, der jenseits der gewöhnlichen Aspekte der Existenz liegt, und in dem wir daher nicht zu schnell verallgemeinern sollten. Bei der Rückführung ist so gut wie alles möglich! Lassen Sie uns daher nicht voraussetzen, dass alle Rückführungen zu vergangenen Leben notwendigerweise den im Folgenden angegebenen Mustern entsprechen werden. Dennoch wird ein klares Verständnis bestimmter Mechanismen es Verbindern erlauben, ihren Klienten besser zu helfen. Unkenntnis dieser Prinzipien kann zu groben Fehlern führen, die den Rückführungsprozess schon in den ersten Minuten scheitern lassen können.
Gehen wir zurück zu den Beispiel des Krokodils, das Sie in einem früheren Leben plötzlich angriff. Was genau wird sich im Astralkörper ablagern? Der Inhalt Ihres Bewusstseins in diesem Augenblick, angefangen natürlich bei der Angst, und die gesamte emotionale Atmosphäre darum herum – wir könnten das den »Geschmack« der Situation nennen – und ebenso die Gedanken, die Ihnen gekommen sind, all die Wahrnehmungen und Empfindungen jenes Augenblicks: die Farben der Landschaft, der Geruch des Flusses, das Gefühl von Hitze, die Kleidung und der Wind auf Ihrer Haut... – insgesamt eine Aufzeichnung dieser Augenblicke wie in einem Film, einschließlich der kleinsten Detail in Ihnen und außerhalb von Ihnen.
Nun, was ist nicht gespeichert worden? Die ganzen Elemente Ihres Lebens, die in genau diesem Augenblick nicht in Ihrem Bewusstsein waren. Ihre Anschrift, zum Beispiel, oder das Datum, der Name des Landes, sogar Ihr Name. Denn der erste Reflex, wenn man mit einem Krokodil konfrontiert ist, ist eben nicht zu sagen: »Es ist 1854, ich bin in Afrika, mein Name ist Wolfgang und ich bin ein Entdeckungsreisender.«
Ein weiteres Element, das nicht gespeichert wird, sind die Urteile, die Sie später über diese Situation gefällt haben – »Wie tapfer ich war!«, oder »Wie dumm von mir!«, oder »Ich hätte mich besser verhalten können.« Alle diese beurteilenden Kommentare konnten nicht in dem »Film« aufgezeichnet werden, da sie erst im Nachhinein gekommen sind. Der Vorgang der Aufzeichnung kann mit der Black Box eines Flugzeugs verglichen werden, die alle Daten eines bestimmten, kritischen Augenblicks speichert.

9.4 Die Kunst der Geburtshilfe

Eine echte Erinnerung an vergangene Leben ist daher für gewöhnlich sehr schlicht. Es handelt sich um ein Bündel von Emotionen, Empfindungen, Gefühlen und Bildern, die mit einem bestimmten Augenblick verbunden sind – dem Augenblick, als der Druck der Emotion zu einer öffnung Ihres Selbst geführt hat. Alles ist genau aufgezeichnet und gespeichert worden, und der Klient erlebt die Szene genauso, als habe er das Krokodil immer noch vor sich. Sein Körper kann sogar die gleiche Haltung einnehmen, als sei er in dieser Szene, und die ganzen Emotionen und Empfindungen werden erinnert, als wenn das Ereignis hier und jetzt geschähe.
Das Wiedererleben der Episode ist jedoch weit davon entfernt, ein Trauma darzustellen, denn der Klient ist sich weiterhin vollkommen bewusst, wer er oder sie jetzt ist, und genauso auch des Raums, in dem die Sitzung durchgeführt wird, der Matratze, auf der er liegt, der Stimme des Verbinders und so fort. Außerdem findet, wenn der IST–Zustand erreicht ist, eine gewisse spirituelle öffnung statt, die der Erfahrung einen Hintergrund großen Ernsts und Friedens gibt, wie intensiv sie auch immer sein mag. Für den Klienten war die emotionale Ladung des Samskara auch eine schwere Belastung, und daher ist das Wiedererleben des vergangenen Traumas vom Gefühl einer großen Erleichterung begleitet, als wenn ein Gift neutralisiert würde.
Kehren wir dazu zurück, wie der Klient in die Rückführungserfahrung hineinkommt. In manchen extremen Fällen leuchtet die gesamte Szene binnen einer Sekunde in ihm auf, mit allen ihren Details. Doch in den meisten Fällen kommen nicht alle Komponenten der Szene zur gleichen Zeit zurück. Die Erfahrung beginnt schrittweise, und im Bewusstsein des Klienten tauchen nur einige wenige Details auf. So spürt der Klient nur den Hauch einer Emotion und erzählt dem Verbinder: »Ich habe Angst«, oder: »Ich hasse diese Person«. Vielleicht beginnt die Erfahrung auch mit einer Empfindung – etwa der von Kälte – , und der Klient beginnt zu zittern, obwohl es ein warmer Sommertag ist. Oder der Klient sagt: »Ich werde in die Rippen getreten«, oder: »Da ist ein schweres Gewicht auf meinen Schultern«. Diese ersten Eindrücke sind oft nur sehr schwach. Sie sind ein erster Leitfaden, dem man sorgfältig folgen muss, um nach und nach mehr Elemente der Szene zurückzugewinnen, bis sie in Gänze vor einem liegt.
Der Verbinder steht vor einer heiklen Aufgabe; ein falsches Verständnis der Mechanismen der Erinnerung kann ihn oder sie dazu führen, den Klienten die falschen Fragen zu stellen, was möglicherweise dazu führt, dass diese den Faden verlieren, anstatt tiefer und fester in den Rückführungszustand hineinzukommen. In diesem Stadium treiben die Klienten zwischen zwei Bewusstseinszuständen – dem gewöhnlichen Wachzustand und dem Rückführungszustand. Sie nehmen nur einige wenige Empfindungen oder Details der jeweiligen Szene wahr. Sie brauchen etwas Hilfe, um tiefer in den Rückführungszustand hineinzukommen, und es ist die Aufgabe des Verbinders, diese Hilfestellung zu leisten, indem er geeignete Fragen stellt. Doch die Fragen müssen sorgfältig gewählt sein.
Nehmen wir an, der Verbinder fragt »Wie heißen Sie?«, oder »In welchem Land befinden Sie sich?« Die Klienten werden nur verwirrt sein, denn auf dieser Stufe haben sie noch nicht die geringste Erinnerung an derartige Details. Sie sehen noch nicht einmal zehn Prozent der Szene. Wie sollten sie daher wissen, was für ein Land das war? Wie wir bereits erörtert hatten, macht man sich für gewöhnlich keine Gedanken über geographische Fragen, wenn man von einem Krokodil angegriffen wird. Von dem Zustand her, in dem sie sich befinden, können Klienten solche Fragen einfach nicht beantworten – derartige Einzelheiten sind jenseits ihrer Reichweite. Was wird also geschehen? Um eine Antwort auf die Frage zu finden, werden die Klienten nachdenken müssen, was bedeutet, dass sie in ihr gewöhnliches Verstandesbewusstsein zurückkehren. Binnen einer Sekunde sind sie aus dem Rückführungszustand heraus, und die Erfahrung ist verloren. Aus den selben Gründen sollten sie in diesem fragilen Zustand nicht auf einer Antwort bestehen, wenn Klienten eine Ihrer Fragen nicht beantworten können – stellen Sie einfach eine andere. Später, wenn Klienten fest im Rückführungszustand verankert sind, stellt sich die Situation ganz anders dar; wenn eine Frage nicht beantwortet wird, dann liegt es mit höherer Wahrscheinlichkeit an einem Mechanismus psychologischen Widerstands, und der Verbinder muss dann auf eine Antwort drängen.
In den ersten Minuten einer Rückführungssitzung sind Fragen angebracht, die zu einer umgehenden und mühelosen Antwort führen. Sie beziehen sich auf Elemente, die sich in Reichweite des Klienten befinden, auch wenn er sich ihrer noch nicht in vollem Maße bewusst ist. Zum Beispiel: »Wie fühlt sich Ihr Körper an, groß oder klein?«, oder: »Wie fühlt es sich um Sie herum an, warm oder kalt?« Um diese Fragen zu beantworten, brauchen die Klienten nicht nachzudenken, sie müssen es einfach nur spüren. Auf diese Art erlauben Sie es ihm, tiefer in die Szene einzudringen, indem nach und nach weitere Elemente hinzukommen, bis er völlig in das Wiedererleben der Episode hineinsinkt. Insgesamt ist der Prozess nicht sehr verschieden davon, ein Kind zur Welt zu bringen.


9.5 Beispiele erfolgreichen Hineinsinkens in den Rückführungszustand

Diese Mechanismen gelten nicht nur für das Erinnern von Episoden aus vergangenen Leben, sondern auch für Szenen der frühen Kindheit, wie das folgende Beispiel zeigt.

Fallstudie – Simone, zweiundfünfzig.
Der Beginn der Sitzung war schmerzhaft und aufgeregt, als ob Simone mit der Erfahrung schwanger wäre, aber unfähig, sie herauszubringen. Nach einer halben Stunde der Arbeit – oder sollte man sagen: der Wehen? – veränderte sich die Atmosphäre im Raum auf einmal, und die ganzen oben genannten Anzeichen eines »Blitzes der Astralität« konnten wahrgenommen werden.

Was fühlen Sie jetzt? – Ich weiß nicht, ich fühle mich ganz sonderbar. [Auf dieser Stufe kann die Klientin nichts von der Episode sehen. Doch die Erfahrung ist nahe, daher das sonderbare Gefühl.]
Kommt es Ihnen eher vor als seien Sie ein Mann oder eine Frau? – Hm... weder männlich noch weiblich. [20] [Diese Frage war verfrüht und hat nicht wirklich geholfen, stärker in den Prozess hineinzukommen. Doch die folgenden Fragen führten zum Erfolg.]

[20 Wenn es um den Kontakt zu einer Erfahrung der frühen Kindheit geht, kommt es recht häufig vor, dass die Klienten es schwierig finden zu entscheiden, ob sie männlichen oder weiblichen Geschlechts sind.]

Haben Sie mehr den Eindruck, es sei Tag oder es sei Nacht. – Nacht.
Fühlt es sich an, als seien sie groß, oder als seien Sie klein? – Klein, klein... leer... ganz allein... [Simone krümmt sich zusammen und kreuzt die Arme vor der Brust. Sie ist einen Schritt weiter in die Erfahrung hineingegangen, doch alles ist noch unscharf. Durch die folgenden Fragen beginnt die Situation für sie deutlicher zu werden.]
Was möchten Sie? – Meine Mutter! Ich will meine Mutter haben!
Ist sie bei Ihnen? – Nein! Nein! Nein! Ich bin hungrig und keiner gibt mir was. [Simone beginnt unter tiefem Schluchzen zu weinen, sie saugt dabei an ihrem Daumen. Von da an kann sie alle Einzelheiten der Szene sehen: die Möbel in dem Raum, in dem sie sich zuträgt, die Farbe der Vorhänge, usw. Von diesem Augenblick an entfaltet sich die Rückführung mehr oder weniger von selbst.]

Fallstudie: Siebenundzwanzigjähriger Mann. Zu Beginn der Sitzung zeigt sich ein sehr schmerzhafter »Fleck« unter seinem linken Schulterblatt. Nachdem an diesem Fleck einige Minuten lang gearbeitet worden ist, beginnt sich die Energie im Zimmer zu verändern. Der Schmerz verschwindet, und der Klient wird sehr ruhig.

Was fühlen Sie? – [Keine Antwort. Alles ist noch extrem unklar.]
Wie fühlt sich Ihr Körper an, groß oder klein? – Groß.
Kommt es Ihnen vor, als würden Sie sich bewegen, oder ruhen sie? – Ich bewege mich nicht.
Was für eine Stellung nehmen Sie ein? – Ich liege auf dem Rücken. Auf einem Bett.
Fühlen Sie sich alt oder jung? – Alt. [Alle diese Antworten kommen unverzüglich und mühelos, ohne Nachdenken. Der Ton der Stimme des Klienten verändert sich dabei nach und nach, was anzeigt, dass er beginnt, sich dessen, was er spürt, sicherer zu sein. Der Durchbruch kommt mit der nächsten Frage.]
Gesund oder krank? – Müde, sehr müde. Es ist, als ob ich sterben würde... und ich nehme es hin. Es ist gut gewesen! Doch gleichzeitig spüre ich ärger. [Der Klient ist vollständig in die Episode hineingekommen und bleibt von nun an darin.]
Gibt es einen Grund für diesen ärger? – Ich wollte meinem Sohn etwas erzählen.
Was denn? – Ich wollte ihm sagen, dass ich ihn lieb habe. Es kommt mir vor, als hätte ich mein Leben vergeudet, weil ich ihm nie sagen konnte, dass ich ihn lieb habe.
Ist es, als seien Sie allein oder als sei jemand bei Ihnen? – Ich bin nicht allein, da sind Geister bei mir.
Wie sehen sie aus? – Freundlich. Sie kennen mich. Sie umgeben meinen Körper und warten darauf, dass ich ganz tot bin. Sie sagen »Du hast das schon einmal mitgemacht«. Sie sind wie Freunde, die man eine Zeit lang nicht gesehen hat. Aber ich will mit meinem Sohn reden.


9.6 Die spirituelle öffnung

Wenn Klienten einmal fest im Rückführungszustand verankert sind, kann man alle Arten von Fragen stellen. Die Art und Weise, wie jeder Satz gewichtet und formuliert ist, ist immer noch wichtig dafür, dass die Sitzung ordentlich weitergeht, doch das Risiko, dass die Erfahrung plötzlich verloren geht, ist weitaus geringer.
Der Bewusstseinsinhalt des Klienten im Rückführungszustand ist eine sonderbare Mischung, in der Vergangenheit und Gegenwart einander überlagern. Die Klienten erleben die Episode, als wenn sie vor ihren Augen geschähe, sie erleben die entsprechenden Emotionen und Empfindungen. Es ist, als würde man in einen anderen Körper hineingehen und eine andere Person sein – doch diese andere Person kommt einem äußerst vertraut vor.
Sie können einen Eindruck von dieser Kontinuität bekommen, wenn Sie sich daran erinnern, wie Sie sich als ein kleines Kind gefühlt haben. Das war ein recht verschiedenes »Sie«, doch da ist immer noch eine innere Gewissheit, jenseits aller Zweifel, dass es sich um Sie selbst handelt. Während der Rückführung tritt eine Erweiterung dieser Erfahrung auf. Sie haben die gleiche innere Gewissheit ihrer Identität, auch wenn das »Sie« im vergangenen Leben in viel stärkerem Maße von der gegenwärtigen Person verschieden ist als das »Sie« der frühen Kindheit. Doch es ist immer noch das gleiche »Sie«. Diese Erfahrung der Identität ist metaphysischer Art und man kann sie nicht in vollem Maße verstehen, bis man sie selbst erfahren hat.
So haben wir während der Rückführung eine überlagerung von zwei »Sies«, zwei persönlichen Identitäten – Sie in der Vergangenheit und Sie in der Gegenwart. Denn in der IST–Methode der Rückführung wird keine Hypnose benutzt, und auch sonst nichts, was darauf abzielte, das Bewusstsein Ihrer Gegenwart herabzusetzen. Sie bleiben sich ihres gegenwärtigen Zustands in vollem Umfang bewusst, und Sie können sich in jedem Augenblick vom Rückführungszustand lösen und sich nur noch des Zimmers, Ihres Körpers und des gegenwärtigen Selbst bewusst sein.
Die überlagerung der beiden »Sie«, des vergangenen und des gegenwärtigen Selbst, ist eine außerordentlich faszinierende Erfahrung. Denn Sie haben sich verändert. Der »Geschmack« Ihres inneren Raums ist ein vollkommen anderer geworden. Und doch ist es das selbe »Sie«, daran kann nicht der geringste Zweifel bestehen. Es kommt nicht darauf an, wie weit zurück in der Vergangenheit die Episode stattgefunden haben mag, ob vor hunderten oder gar tausenden von Jahren – auf die Kontinuität des Selbst hat die Zeit keinen Einfluss.
So stehen Sie also an einem Kreuzungspunkt der Zeiten und erkennen auf einmal, dass »Sie« ganz anders sein können, als Sie es gewohnt sind. Es wird Ihnen auf einmal bewusst, dass Sie Ihr Leben gewissermaßen in einer Streichholzschachtel führen. Sie erkennen, dass Sie dazu neigen, Ihre Existenz auf einen begrenzten Bereich von Emotionen und Gefühlen zu beschränken, immerfort in den gleichen sich wiederholenden Routinen. Gleichzeitig können Sie sehen, dass dies nicht notwendigerweise so sein muss, denn Sie sind unendlich viel größer. Die überlagerung des vergangenen Sie über das gegenwärtige Sie erlaubt es Ihnen, einen Blick in die unglaubliche Tiefe Ihres Selbst zu werfen. Es ist eine Ausdehnung ohne Ende, eine bewegungslose Explosion. Auf einmal sind Sie.
Dies ist die wesentlichste Erfahrung, die die Rückführung jemandem geben kann – und ebenso die am stärksten heilende. Schon ein kurzer Blick auf Ihr wirkliches Wesen kann mehr Veränderung in Ihr Leben bringen, als Jahre voller Diskussionen und Analysen Ihrer Probleme. Denn letzten Endes wird man seine Probleme nicht los, indem man an den Samskaras arbeitet, sondern indem man in sein Selbst hineintritt.



Kapitel 10

Häufige Fragen zur Rückführung und zum IST–Prozess

10.1 Warum sich auf negative Emotionen konzentrieren, anstatt nur am Licht zu arbeiten? Gibt das nicht den negativen Konditionierungen erst Macht, wenn man Energie darauf verwendet, sie sich anzuschauen? Warum nicht einfach das Licht verstärken?

Stellen Sie sich vor, unter Ihrem Sofa liegt eine tote Ratte und verwest. Sie können ein paar hübsche Decken über das Sofa hängen, dann kann keiner die Ratte sehen. Sie können Blumen kaufen und versuchen, den Verwesungsgeruch mit ihrem Duft zu übertönen. Immer, wenn Sie sich in diesem Raum aufhalten, werden Sie sich auf den schönen Duft konzentrieren, damit sie dem schlechten Geruch des Rattenkadavers keine Macht geben. Doch ist das wirklich eine Lösung?
Eine weitere weit verbreitete Haltung besteht darin diesen Raum von nun an zu meiden und nur noch den Rest des Hauses zu bewohnen. Viele spirituell orientierte Menschen gehen so vor; sie sammeln mehr und mehr Licht in bestimmten Teilen von sich an und lassen ein paar dunkle Ecken übrig, wo sie einfach nie hinschauen. Das Ergebnis ist, dass die Unausgewogenheit zwischen der hellen und der dunklen Seite in ihrem Wesen fortwährend zunimmt, was nicht rundheraus befriedigen kann. Wenn einige Menschen einen spirituellen Weg eingeschlagen haben und das Gefühl haben, »alles richtig zu machen«, und sich dennoch die Erleuchtung nie einzustellen scheint, dann liegt es für gewöhnlich daran, dass sie diese Haltung eingenommen haben.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Menschheit ein Stadium erreicht hat, wo es tote Ratten in nahezu jeder Ecke des Hauses gibt, was es immer schwerer macht, den Kopf in den Sand zu stecken. Ihnen bleibt nur ein winziges Schrankfach in der Mansarde übrig, in dem Sie »ganz und gar erleuchtet« sein können.
Vielleicht nehmen Sie auch die Haltung eines Asketen an – »Dieses Haus ist reine Illusion, ich habe es immer gehasst. Ich werde mich ganz oben aufs Dach stellen und nie wieder in dieses Durcheinander zurückkehren.« Dann können Sie sich vollkommen erleuchtet auf Ihr Dach stellen, und brauchen sich keine Sorgen über die Kadaver im Haus mehr zu machen. Doch das ist es dann auch schon! Sie sind für die Welt gestorben, sie sind buchstäblich »aus der Welt«. Das einzige, was Sie für andere Menschen tun können, ist dann, sie zu lehren, wie man das Haus verlässt und auf dem Dach erleuchtet ist.
Die Perspektive der inneren Alchemie ist eine andere: Sie zielt darauf ab, die Träger des Bewusstseins zu transformieren. Sie zielt auf eine Erleuchtung in der Welt ab, nicht außerhalb der Welt. Dann müssen Sie aber auch den Unrat wegräumen. Sie können ihn dann nicht einfach ignorieren. Sie müssen darauf hinarbeiten, Licht in jeden einzelnen Raum des Hauses zu bringen. Es wäre unvernünftig, zu erwarten dass dies gelingt, bevor sie sich die Mühe machen, das Sofa wegzurücken und den Kadaver loszuwerden.

10.2 Müssen wir uns wirklich der Rückführung unterziehen, um von Samskaras frei zu werden? Viele hinduistische Meister haben schließlich die Erleuchtung durch Meditation erreicht, ohne sich um eine emotionale Reinigung zu kümmern.

Sie sollten zunächst bedenken, dass die psychologische Situation von hinduistischen Schülern vor fünfzig Jahren mit der eines suchenden Menschen im heutigen Los Angeles oder Milano gar nicht verglichen werden kann. Unsere Zivilisation hat eine noch nie da gewesene Stufe von Neurose erreicht, und bevor man versucht »mehr als normal« zu werden, ist es weise, daran zu arbeiten, dass man normal wird. Solange die Existenzebene von Papa / Mama, Freund und Freundin nicht geklärt ist, warum sich zum Narren machen, indem man vorgibt, ein auf Heiligung abzielendes Leben zu führen? Solch eine Haltung bringt das Risiko mit sich, fünfzig Jahre zu meditieren, ohne je einen wirklichen Durchbruch zu erleben, einfach weil die verfitzten Fäden Ihres reagierenden Verstandes gar keinen Vergleich mit der emotionalen Einfachheit der Inder vor einigen Jahrzehnten zulassen. Heutzutage hat sich Indien sehr verändert, und der Neurosenpegel der Menschen dort ist von unserem gar nicht so sehr verschieden.
Abgesehen davon wäre es aber vollkommen falsch zu behaupten, dass hinduistische oder buddhistische Schüler sich nicht einem langen und schmerzhaften Prozess emotionaler Reinigung unterziehen mussten, bevor sie sich in ihre berühmte Meditation versenkten. Doch diese Arbeit an den Samskaras wurde auf andere Art geleistet.
Einen Lehrer zu finden war kein leichtes Unterfangen. In Indien oder Tibet mussten Menschen, die Schüler sein wollten, bis vor gar nicht so langer Zeit mehrere Jahre reisen und vielen Gefahren ins Auge sehen, bevor sie einen Lehrer fanden – was für sich schon eine initiatorische Prüfung bedeutete.
Nachdem sie den Guru gefunden hatten, fingen die Mühen der Schüler erst richtig an. Die hinduistische und die buddhistische Tradition ist voll von Geschichten über Meister, die ihre Schüler an den Rand des Wahnsinns trieben, um sie von ihren verstandesmäßigen Vorstellungen und ihren Samskaras zu befreien. Erst nachdem der Schüler jahrelang auf diese Art »gekocht« worden war, wurde ihm die Initiation gegeben.
Nehmen Sie beispielsweise die Geschichte von dem großen Meister Milarepa. Während der Jahre seiner Vorbereitung befahl ihm sein Guru, Marpa, ein rundes Haus auf einem Hügel zu bauen, und danach würde Milarepa die Initiation erhalten. Als Milarepa das halbe Haus gebaut hatte, kam Marpa an und sagte: »Schau her mein Sohn, ich glaube, das ist doch kein guter Platz für ein Haus. Reiß' es daher ab und tu die Steine wieder dahin, wo du sie hergenommen hast.« Milarepa fiel es schwer, sich mit diesem neuen Gebot abzufinden, aber er tat, was ihm aufgetraqen war. Eine Woche später führte Marpa Milarepa auf einen anderen Hügel und erklärte ihm »Hier will ich das Haus haben, und es soll halbrund sein.« Eifrig auf seine Initiation bedacht begann Milarepa sogleich mit dem Bau.
Als Milarepa das halbrunde Haus ungefähr zur Hälfte fertig gebaut hatte, kam Marpa an und sagte: »Was ist das für ein lächerlicher Schuppen, den du hier baust?« Milarepa war verwirrt, und als er schließlich herausbrachte, dass er doch nur den Instruktionen folge, die er bekommen habe, antwortete Marpa: »Habe ich das gesagt? Ich muss an dem Tag betrunken gewesen sein. Doch heute bin ich nicht betrunken, und ich habe gut über das Haus nachgedacht. Ein tantrisches mystisches Gebäude sollte dreieckig sein. Deshalb wirst du deinen Schuppen abreißen, die ganzen Steine auf den anderen Hügel dort tragen, und mir dort ein dreieckiges tantrisches Haus bauen.« Milarepa brach beinahe zusammen, als er diese Worte hörte. Marpa betrunken, wie konnte das sein! Und das Haus sollte wieder neu gebaut werden! Milarepa war erschöpft, seine Hände waren voller Blasen, und er hatte eine große Verletzung am Rücken, die er Marpa nicht zeigen wollte, weil er fürchtete, ihm zu missfallen. Milarepa war entmutigt und verwirrt, doch er wollte wirklich die Wahrheit finden. Er hatte zwei Möglichkeiten zur Auswahl, entweder fortzugehen und die Initiation aufzugeben, oder Marpa bedingungslos zu vertrauen und mit der Bauarbeit weiterzumachen. So nahm er also seine letzten Kräfte zusammen, fing an, sein schönes halbrundes Haus einzureißen und die Steine auf den anderen Hügel zu tragen.
Als Milarepa ungefähr ein Drittel des dreieckigen Hauses fertig gestellt hatte, kam Marpa zu der Baustelle. Er sah sehr ärgerlich aus. Er schrie: »Du dreckiger Zauberer! Begreifst du denn nicht, dass die Form dieses Hauses sämtliche Dämonen dieser Gegend anziehen wird? Willst du mich und meine Familie ruinieren? Wer hat dich geheißen, so ein monströses Haus zu bauen?« Von Verzweiflung ergriffen konnte Milarepa kaum antworten: »Aber du hast es mir doch aufgetragen!« Marpa wurde immer wütender. »Stinkender Lügner!«, schrie er. »Ich habe dir das nie befohlen! Wie kannst du so unverschämt sein? Und du willst, dass ich dich initiiere? Reiß dieses Haus sofort ab und bring die Steine dahin zurück, wo du sie hergenommen hast!« Dann ging Marpa fort. Die folgende Nacht war eine Neumondnacht – die dunkelste Nacht in Milarepas ganzem Leben. Er brach einfach zusammen, seine ganze verstandesmäßige Struktur ging zu Bruch. Doch aus irgendeinem Grund lief er nicht fort.
Am folgenden Morgen schickte Marpa seine Frau, um Milarepa zu holen. Sie gaben ihm ein gutes Essen, und Milarepa dachte schon, seine Mühen würden nun ein Ende haben, er würde nun initiiert werden. Doch dem war durchaus nicht so! Marpa ließ ihn noch jahrelang Häuser bauen und abreißen, einige quadratisch, andere neun Stockwerke hoch, und er benutzte noch viele andere Tricks und Schliche, um Milarepa immer wieder in Verzweiflung zu stürzen. Milarepa hätte sich einige Male beinahe umgebracht.
Dann war eines Tages der Weg der Auflösung vollends zurückgelegt, und zu seiner größten überraschung erhielt Milarepa plötzlich die Initiation, auf die er so lange gewartet hatte. Danach wurde Milarepa zu einem der am stärksten erleuchteten Gurus der tibetanischen Tradition.
Mit ähnlichen Erzählungen, in denen Gurus ihre Schüler in unmögliche Situationen bringen, um ihnen zu helfen, ihre Samskaras aufzuarbeiten, könnte man ganze Bücher füllen. Diese Mühen und Prüfungen kann man als ein äquivalent der Arbeit in der Rückführung ansehen – die aus diesem neuen Blickwinkel betrachtet schließlich gar nicht so hart ist!


10.3 Wie kommt es, dass so viele Menschen herauszufinden scheinen, dass Sie in einem früheren Leben jemand Bedeutendes gewesen sind?

Ganz einfach – sie tun das gar nicht! Nachdem ich tausende von Rückführungsprozessen mit Klienten und mit Schülern der Clairvision School miterlebt habe, bin ich nur einer Person begegnet, die in der Rückführung erlebte, dass sie Mitglied einer königlichen Familie in Europa gewesen sei. Die Behauptung, dass jeder entdeckt, er sei in einem vergangenen Leben etwas Wichtiges gewesen, ist aus der Luft gegriffen und wird für gewöhnlich von Leuten verbreitet, die nicht die geringste Ahnung von wirklicher Rückführung haben.

10.4 Wie erklärt es sich, dass Menschen nicht beginnen, in ihrer früheren Sprache zu sprechen, wenn sie eine Episode aus einem früheren Leben erinnern?

Bevor ich nach Australien kam, habe ich 27 Jahre in Frankreich gelebt. Französisch war meine Muttersprache. Dann habe ich Englisch als die Sprache angenommen, die mir natürlicher vorkommt.
Ich habe mehrere Male eine Erfahrung gemacht, die vielleicht etwas Licht auf diese Frage wirft. Wenn ich mich an Episoden oder Gespräche erinnere, die in Frankreich – und auf Französisch – stattgefunden haben, dann geschieht es oft, dass mir die damals gesprochenen Worte auf Englisch wieder einfallen! Wenn ein solcher Wechsel der Sprache innerhalb eines Lebens stattfinden kann, dann ist es leicht sich vorzustellen, dass es auch von einer Inkarnation zur anderen so geschehen kann.
Vielleicht erkennen wir auch nicht richtig, worum es sich bei Sprache handelt. Wir denken, dass eine Sprache aus Wörtern besteht. Doch vielmehr bestehen Sprachen aus Kräften, und die Worte, die wir diesen Kräften überstülpen, um sie zum Ausdruck zu bringen, sind weniger wichtig als die Kräfte selbst. Wenn wir sterben, fallen die Worte weg, doch die Kräfte bleiben, und wir tragen sie von Leben zu Leben mit uns. Menschen, die daran gewöhnt sind, ständig in mehr als einer Sprache zu sprechen, werden es wahrscheinlich leicht finden, sich mit diesem Konzept anzufreunden.




Schlussbemerkung

Indem ich diese Studie über die Mechanismen der Rückführung abschließe, möchte ich sowohl eine Einladung als auch eine Warnung aussprechen.
Zuerst die Einladung. Wie wäre es, wenn Ihr Leben durch einen Rückführungsprozess vollkommen verwandelt werden könnte? Könnte es sein, dass das, was wir in diesem Buch erörtert haben, auch auf Sie zutrifft? Könnte es sein, dass ohne Ihr Wissen Ihr Leben gegenwärtig von einigen Hauptsamskaras beeinflusst wird, und dass sich völlig neue Aussichten und Wege in Ihrem Leben öffnen würden, wenn diese Samskaras aufgedeckt und bearbeitet würden?
Dann die Warnung. Wenn Sie vorhaben, sich einem Rückführungsprozess zu unterziehen, dann versichern Sie sich, dass es mit einem qualifizierten Verbinder geschieht. Insbesondere sollte der Prozess auf Klarheit in Ihrem gegenwärtigen Leben ausgerichtet sein, nicht darauf, Romane über Ihre vergangenen Leben zu schreiben. Wenn Sie die in diesem Buch dargestellten grundlegenden Prinzipien verstanden haben, werden Sie in der Lage sein, weniger seriöse Praktiken und Anwender zu erkennen (solche, die nur zu glücklich sind, Ihnen zu erzählen, dass Sie in Ihren früheren Leben ein König oder eine Königin waren), und sich von ihnen fern zu halten.
Wenn Sie mehr über IST wissen möchten, so können Sie Veröffentlichungen und anderes Lehrmaterial über die Internetsite der Clairvision School bekommen – Sie finden die Adresse am Ende der Einleitung.
Ich wünsche Ihnen das Beste für Ihre Suche.